Ein Uigure hat sein Gesicht mit der uigurischen Flagge bemalt
Reuters/Dilara Senkaya
„Verbrechen“ gegen Uiguren

UNO-Bericht stellt China an den Pranger

Berichte über Folter, Vergewaltigungen und Zwangsinternierungen: Die Vereinten Nationen haben „schwere Menschenrechtsverletzungen“ in der chinesischen Region Xinjiang angeprangert. Die scheidende UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet legte am späten Mittwochabend nur Minuten vor dem Ende ihrer Amtszeit den mit Spannung erwarteten Bericht zur Lage der muslimischen Minderheit der Uiguren in Xinjiang vor. China wies die Vorwürfe vehement zurück.

„Vorwürfe von Mustern von Folter oder Misshandlung, einschließlich erzwungener medizinischer Behandlung und schlechter Haftbedingungen, sind glaubhaft“, heißt es in dem 49-seitigen Bericht. Das Gleiche gelte für Vorwürfe sexueller und geschlechtsbasierter Gewalt.

„Das Ausmaß der willkürlichen und diskriminierenden Inhaftierung von Angehörigen der Uiguren und anderen überwiegend muslimischen Gruppen (…) könnte internationale Verbrechen, insbesondere Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darstellen“, heißt es. Den Menschen seien von 2017 bis 2019 und möglicherweise darüber hinaus fundamentale Rechte vorenthalten worden.

Die internationale Staatengemeinschaft müsse sich „dringend“ mit der Menschenrechtslage in Xinjiang befassen. Der Vorwurf des Genozids, wie ihn unter anderem die USA erheben, wird in dem Bericht nicht erhoben.

Berichte über Vergewaltigungen

In den von China als Berufsbildungseinrichtungen bezeichneten Anstalten sei es „zu willkürlichen Inhaftierungen in großem Umfang“ gekommen, heißt es in dem Bericht. Die Einweisung sei „eine Form des Freiheitsentzugs“ gewesen. Es habe glaubhafte Berichte über Vergewaltigungen gegeben, aber das Ausmaß sei nicht festzustellen gewesen.

Auch gebe es glaubwürdige Hinweise auf Verletzungen der reproduktiven Rechte durch die zwangsweise Durchsetzung der Familienplanungspolitik seit 2017. Ein Mangel an Regierungsdaten würde es jedoch erschweren, „Schlussfolgerungen über das volle Ausmaß der aktuellen Durchsetzung dieser Politik und der damit verbundenen Verletzungen der reproduktiven Rechte zu ziehen“.

„Das pauschale Leugnen aller Anschuldigungen durch die Regierung sowie (…) Angriffe auf diejenigen, die über ihre Erfahrungen berichtet haben, haben die Demütigung und das Leid der Überlebenden noch verstärkt“, heißt es in dem Bericht.

Die scheidende UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet
APA/AFP/Fabrice Coffrini
UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet legte den Bericht zehn Minuten vor dem Ende ihrer Amtszeit vor

Unzählige Menschen inhaftiert

Die genaue Zahl der Betroffenen sei nicht zu ermitteln gewesen. Das Menschenrechtsbüro zitiert Quellen, die von bis zu einer Million Inhaftierten sprechen. Die Menschen, mit denen das Büro sprach, hätten berichtet, dass sie von Bewaffneten bewacht wurden und sie die Einrichtungen entgegen chinesischer Darstellung nicht nach freiem Willen verlassen konnten. Sie hätten keinen oder kaum Kontakt zu ihrer Familie gehabt und seien vor Gesprächen gezwungen worden, sich positiv zu äußern.

Die Behörden hätten weitgehende Macht über die Inhaftierten gehabt, und es habe keine Garantien für einen Schutz vor Missbrauch gegeben. Die chinesischen Definitionen von Terrorismus und Extremismus, mit denen Peking seine Vorgehensweise in der Region gerechtfertigt habe, seien vage, moniert das UNO-Menschenrechtsbüro.

Karte zeigt die uigurische Volksgruppe in China
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: dpa

Jahrelange Spannungen

In der Nordwestregion gibt es schon lange Spannungen zwischen den herrschenden Han-Chinesen und ethnischen Minderheiten. Seit blutigen Unruhen 2009 und Terroranschlägen greifen die Sicherheitskräfte hart durch. Uiguren beklagen kulturelle und religiöse Unterdrückung, während Peking uigurischen Gruppen Extremismus und Separatismus vorwirft.

Nach Angaben von Menschenrechtlern sind Hunderttausende Uiguren und Mitglieder anderer Minderheiten in Umerziehungslager gesteckt worden. Auch gehen Beobachter von systematischer Zwangsarbeit aus. Nach ihrer Machtübernahme 1949 in Peking hatten die Kommunisten das frühere Ostturkestan der Volksrepublik einverleibt.

UNO: Menschenrechte von Uiguren verletzt

Das UNO-Menschenrechtsbüro sieht Anhaltspunkte für Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der chinesischen Region Xinjiang. Das geht aus einem Bericht hervor, den die scheidende UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, am Mittwoch kurz vor Mitternacht – zehn Minuten vor dem Ende ihrer Amtszeit – unter Druck veröffentlichte.

Bachelet-Reise verzögerte Veröffentlichung

Der Bericht sollte schon im vergangenen Jahr veröffentlicht werden. Bachelet zögerte aber, weil sie mit China monatelang darüber verhandelte, ins Land reisen zu können. Sie habe immer auf Dialog gesetzt, teilte sie am Mittwochabend mit. „Dialog (…) bedeutet nicht, dass ich etwas dulde, übersehe oder die Augen verschließe“, sagte Bachelet. „Und es schließt nicht aus, seine Meinung zu sagen.“

Die Reise kam im Mai 2022 zustande. Knackpunkte waren unter anderem, dass das UNO-Menschenrechtsbüro selbst entscheiden wollte, wo Bachelet hinfährt und mit wem sie ohne Aufsicht durch Behörden sprechen kann. Ihr Büro sagte zwar, China sei auf die Forderungen eingegangen. Sie reiste auch nach Xinjiang, doch hielt sie sich zum Ende des Besuchs mit Kritik an Pekings Vorgehen in der Region stark zurück. Das brachte Bachelet Kritik ein.

Bachelet berichtete von enormem Druck

Kurz vor Bachelets Reise hatten mehrere Medien über Belege für die Anschuldigungen berichtet. Fotos aus dem Inneren, geheime Reden und Behördenweisungen zeigten, dass es sich bei den Lagern nicht wie von China behauptet um „berufliche Fortbildungseinrichtungen“ handle, erklärten an der Recherche beteiligte Medien im Mai.

Bachelet stand unter immensem Druck, wie sie vergangene Woche berichtete. Während viele Regierungsvertreter mit wachsender Ungeduld auf die Veröffentlichung gepocht hätten, habe sie auch einen Brief von rund 40 Regierungen erhalten, die sie drängten, von der Veröffentlichung abzusehen. Einzelne Länder nannte sie nicht. Bachelet war seit 2018 im Amt. Sie bewarb sich nicht um eine zweite Amtszeit. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hat noch keine Nachfolgerin und keinen Nachfolger benannt.

China: „Sammelsurium von Fehlinformationen“

China wies die Vorwürfe vehement zurück: Hinter dem Bericht stünden in Wirklichkeit „die USA und einige weitere westliche Kräfte“, er sei „komplett unrechtmäßig und ungültig“, sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin, am Donnerstag in Peking. Er bezeichnete den Bericht als „ein Sammelsurium von Fehlinformationen“. China hatte sich zuletzt gegen eine Veröffentlichung des Menschenrechtsberichts gestemmt.

NGOs begrüßen Veröffentlichung des Berichts

Menschenrechtsorganisationen begrüßten die Veröffentlichung des Berichts dagegen. Der Bericht lege die „schweren Grundrechtsverletzungen durch China“ offen, erklärte Sophie Richardson von Human Rights Watch. Der UNO-Menschenrechtsrat müsse den Bericht nutzen, um eine tiefgehende Untersuchung zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die chinesische Regierung zu lancieren. Amnesty International forderte vom Menschenrechtsrat die Einrichtung eines unabhängigen internationalen Mechanismus, um zu Verbrechen in Xinjiang zu ermitteln.

„Offen gesagt, den Bericht zu veröffentlichen, während sie zur Tür hinausgeht, untergräbt den Bericht“, kritisierte Kenneth Roth von Human Rights Watch aber auch. „Indem sie den Bericht veröffentlicht und abtritt, gibt sie auf, sie macht nichts damit, (sie) wirft ihn einfach in den Mistkübel und verlässt das Büro.“