die designierte britische Premierministerin Liz Truss
Reuters/Hannah Mckay
Nach Kür

Johnson-Nachfolgerin Truss will „liefern“

Nach Margaret Thatcher und Theresa May bekommt Großbritannien mit Liz Truss nun seine dritte Premierministerin. Die bisherige Außenministerin, die nach ihrer Kür zur Tory-Vorsitzenden de facto auch als neue Regierungschefin gesetzt gilt, tritt ein schwieriges Erbe an. Die Energiekrise, die Folgen des Brexits, aber auch Sorgen um den nationalen Gesundheitsdienst NHS plagen das Land. In ihrer kurzen Siegesrede erklärte Truss, nun „liefern“ zu wollen. Die Kritik an der 47-Jährigen ist bereits groß.

Ohne Details zu nennen, bekräftigte Truss einige ihrer Versprechen, die sie in den vergangenen Wochen gemacht hatte. „Ich habe als Konservative Wahlkampf gemacht und ich werde als Konservative regieren.“ Sie versprach etwa einen „kühnen Plan“, der Steuerkürzungen und Wirtschaftswachstum vorsehe. „Ich werde in der Energiekrise liefern, indem ich die Energierechnungen der Menschen angehe, aber mich auch den langfristigen Problemen mit der Energieversorgung annehme“, sagte Truss weiter.

Wie die Zeitungen „Times“ und „Telegraph“ berichteten, erwägt sie, die explodierenden Strom- und Gaskosten auf dem aktuellen Stand einzufrieren. Auch beim NHS, dessen Zustand schon vor der Pandemie immer wieder für Wirbel gesorgt hatte, werde sie „liefern“, so Truss.

Die Mitglieder der regierenden Konservativen Partei wählten die bisherige Außenministerin Liz Truss mit mehr als 81.000 Stimmen zu ihrer neuen Vorsitzenden und damit auch zur Premierministerin Großbritanniens. Truss zieht also als Nachfolgerin von Boris Johnson in den Regierungssitz Downing Street ein. In dem parteiinternen Votum erhielt sie 57,4 Prozent der Stimmen, ihr Rivale, der früheren Finanzminister Rishi Sunak, kam mit rund 60.000 Stimmen auf 42,6 Prozent. Die 47-Jährige galt im Vorfeld bereits als klare Favoritin im Rennen um die Nachfolge von Premier Boris Johnson.

Sie zeigte sich überzeugt, dass die Ziele ihrer Partei von der Mehrheit der Briten und Britinnen unterstützt würden. „Meine Freunde, ich weiß, dass wir liefern werden, wir werden liefern, wir werden liefern“, sagte sie. Bei der für 2024 geplanten Parlamentswahl glaubte sie an einen großen Triumph. Umfragen sehen derzeit allerdings die oppositionelle Labour-Partei deutlich in Führung.

Bescheidenes Ergebnis für Truss

In einem parteiinternen Votum erhielt die 47-Jährige zuvor 57,4 Prozent der Stimmen, ihr Rivale Rishi Sunak kam auf 42,6 Prozent. Von einem triumphalen Empfang für die bisherige Außenministerin ist keine Rede. Seit einer Änderung der parteiinternen Wahlregeln erhielt ein Sieger nie weniger als 60 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Der offizielle Wechsel an der Regierungsspitze wird am Dienstag vollzogen: Königin Elizabeth II. wird Truss am Nachmittag auf ihrem Schloss Balmoral in Schottland zur Premierministerin ernennen. Zuvor wird sich Johnson am Vormittag ein letztes Mal als Premier an die Bevölkerung wenden. Der 58-Jährige scheidet nach zahlreichen Skandalen auf Druck seines Kabinetts und der Fraktion aus.

die designierte britische Premierministerin Liz Truss
APA/AFP/Daniel Leal
47-jährige Truss tritt ein schweres Erbe an

Die 47-jährige Truss, die dem rechten Parteiflügel zugeordnet wird, konnte im innerparteilichen Wahlkampf vor allem mit dem Vorhaben überzeugen, trotz enorm hoher Inflation sofort die Steuern zu senken. Außerdem sammelte sie bei der Parteibasis – die deutlich älter, männlicher und wohlhabender ist als der Durchschnitt der britischen Bevölkerung – Punkte mit einer konfrontativen Linie gegenüber der EU und populistischen Äußerungen zu Flüchtlingen, Linken, Umweltaktivisten und gesellschaftlichen Minderheiten. Truss galt einst als entschiedene Brexit-Gegnerin.

Energiekrise als größte Herausforderung

Die hohen Energiepreise gelten jedenfalls als größte Herausforderung für die designierte Regierungschefin. Der staatliche Energiepreisdeckel in Großbritannien war kürzlich erheblich angehoben worden. Von Oktober an beträgt er für einen durchschnittlichen Haushalt 3.549 Pfund (rund 4.100 Euro) im Jahr. Prognosen zufolge soll er weiter steigen. Befürchtet wird, dass Millionen Haushalte im Vereinigten Königreich im Winter in Schwierigkeiten geraten werden, ihre Strom- und Gasrechnung zu zahlen.

Die mehrfach von Truss versprochenen Steuerkürzungen riefen zuletzt einige Fachleute auf den Plan. Viele von ihnen befürchten nämlich, dass die Inflation durch Steuerkürzungen weiter angetrieben werden könnte. Auch in der Finanzwelt machte sich Skepsis breit, besonders nachdem Truss sagte, sich die Rolle der für die Geldpolitik zuständigen Notenbank genauer ansehen zu wollen. Einige Investoren zogen sich daraufhin aus britischen Staatsanleihen und Anlagen in Pfund zurück.

Grafik zu britischen Premiers seit 1951
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA; Foto: AFP

Brüssel besorgt

In der Außenpolitik wird befürchtet, dass Truss den Streit mit der EU über Brexit-Regeln für Nordirland weiter eskaliert. Für Skepsis sorgen in Brüssel britische Berichte, wonach sich Truss auf das Erbe der früheren Premierministerin Thatcher beruft. Unter anderem in Finanzfragen legte sich Thatcher wiederholt mit den anderen EU-Staaten an. Ende 1979 forderte sie nach einem EU-Gipfel für die Briten „einen sehr großen Teil unseres Geldes zurück“ – berühmt wurde die verkürzte Wiedergabe „I want my money back“.

Wie Johnson erwägt Truss der Presse zufolge, das Nordirland-Protokoll einseitig aufzukündigen. Es ist einer der strittigsten Punkte in den Beziehungen zur EU. In dem Protokoll erklärte sich London zwar zu Warenkontrollen zwischen Großbritannien und der britischen Provinz bereit, ging aber wiederholt dagegen vor. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte per Twitter, sie freue sich auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit der neuen Premierministerin und erwarte, dass unter Truss Großbritannien alle Aspekte der Brexit-Vereinbarung einhalten werde. Die Unterstützung der Ukraine dürfte Truss fortsetzen.

Johnson und Sunak hoffen auf geschlossene Reihen

Fraglich ist angesichts der eher niedrigen Zustimmung aber auch, ob die bisherige Außenministerin es schaffen wird, die Konservative Partei nach einem harten Wahlkampf zu einen. Johnson selbst rief die Torys auf, sich geschlossen hinter seiner designierten Nachfolgerin zu sammeln. Die bisherige Außenministerin habe den richtigen Plan, um die Energie- und Inflationskrise zu bewältigen und die Partei zu einen, twitterte Johnson am Montag. „Jetzt ist es an der Zeit, dass alle Konservativen zu 100 Prozent hinter ihr stehen.“

Dem pflichtete der unterlege Sunak bei: „Es ist richtig, dass wir uns jetzt hinter der neuen Premierministerin Liz Truss vereinen, während sie das Land durch schwierige Zeiten steuert.“ Das Ergebnis bedeute, dass „Truss die Wirtschaftskrise ohne überwältigendes Mandat ihrer Partei bewältigen muss“, sagte der Politologe und Autor Mark Garnett der dpa. „Ihre Position wird wahrscheinlich innerhalb von Monaten in Gefahr geraten, wenn sich die Aussichten für Großbritannien und die Konservativen nicht dramatisch verbessern.“

Erstmals habe die Parteibasis einen anderen Kandidaten gewählt als die Fraktion, zitierte „Politico“ einen Staatssekretär. Dort hatte Ex-Finanzminister Sunak mehr Unterstützung.

Innenministerin Patel erklärt Rücktritt

Nicht mehr an Bord der britischen Regierung ist Innenministerin Priti Patel, die am Montagabend ihren Rücktritt erklärte. „Es war die Ehre meines Lebens, unserem Land als Innenministerin in den vergangenen drei Jahren zu dienen“, heißt es in Patels Rücktrittsschreiben an den scheidenden Premierminister Boris Johnson.

„Es ist meine Entscheidung, meinen öffentlichen Dienst für das Land und den Wahlkreis Witham von den Hinterbänken aus fortzusetzen, sobald Liz Truss offiziell ihr Amt antritt und ein neuer Innenminister ernannt wird“, wie der „Guardian“ aus Patels Brief weiter zitiert. Der Zeitung zufolge dürfte die ehemalige Generalstaatsanwältin Suella Braverman Patel als Innenministerin ablösen.

Opposition und Kommentatoren kritisieren Truss

Führende britische Oppositionspolitiker kritisierten die designierte Premierministerin direkt nach ihrer Kür. Man habe von Truss weitaus mehr über eine Kürzung der Unternehmensteuer als über Erleichterungen für Privathaushalte gehört, sagte Oppositionschef Keir Starmer von der Labour Party am Montag. „Das zeigt, dass sie nicht nur abgehoben ist, sondern auch nicht auf der Seite der arbeitenden Bevölkerung steht.“

Auch der Chef der britischen Liberaldemokraten, Ed Davey, sparte nicht mit Kritik. Von Truss sei mehr von den Krisen und dem Chaos zu erwarten, das bereits Boris Johnson gebracht habe, schrieb Davey auf Twitter. Es sei Zeit, eine Neuwahl einzuberufen.

Für wenig Euphorie sorgte Truss auch bei Kommentatoren: Die kurze Siegesrede sei „überraschend schlecht“ gewesen, hölzern und langweilig, urteilte die Zeitung „Guardian“. „Abgesehen davon, dass sie die nächste Parlamentswahl für 2024 erwartet, sagte sie nichts Denkwürdiges.“ „Riesig“ sei das Postfach, das Truss nun übernehme, sagte Baroness Emma Pidding, die für die Torys im Oberhaus sitzt, der dpa. Der „Independent“-Reporter Andrew Woodcock twitterte: „Die meisten neuen Premierminister erhalten eine Zeit der Flitterwochen – sie tritt mitten in einen Hurrikan.“