Ein Mullah
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Iranische Kleptokratie

Korruption als Zündstoff für Proteste

Armut, Unruhen, Repressalien: Die Lage im Iran gilt schon seit Jahren als volatil – nicht zuletzt ob der Wirtschaftskrise, die zum „Katalysator“ der aktuellen Proteste geworden sei, sagt der iranische Wirtschaftsexperte Mahdi Ghodsi zu ORF.at. Denn während die Bevölkerung stets ärmer wird, nehmen Korruption und Freunderlwirtschaft an der Spitze des islamischen Regimes zu.

„Milliarden an Mülltonnen“ schulde die korrupte Regierung den Iranerinnen und Iranern, klagte das Nachrichtenportal AftabNews jüngst an. Es reagierte damit auf Kritik von „oben“, der zufolge Demonstrierende dem Land mit dem Anzünden von Mülltonnen viel Geld koste. Seit Wochen stemmen sich die Demonstrantinnen und Demonstranten gegen jahrelange Repressionen des islamischen Regimes – und auch gegen systematische Korruption, die der Bevölkerung teuer zu stehen kommt. Die Inflation liegt mittlerweile bei über 50 Prozent. Die nationale Währung Rial verliert weiterhin an Wert, zugleich lebt rund ein Drittel der Menschen in absoluter Armut. Viele sind arbeitslos.

Und das, während die Zahl der Millionäre im Land explodiert, wie „Forbes“ im Vorjahr berichtete. 2021 waren es bereits 250.000. Obwohl die Wirtschaftskrise vor allem durch internationale Sanktionen ausgelöst wurden, geben nicht wenige Iranerinnen und Iraner dem Regime die Schuld dafür. Der Grund? Weite Teile der iranischen Wirtschaft sind verstaatlicht. Schätzungen zufolge sind es zwischen 70 und 87 Prozent, so Ghodsi vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw).

Brennende Mülltonnen bei Protesten in Teheran
AP
Brennende Mülltonnen sorgten für Debatten im Iran

Wirtschaft im Griff von Regierung, Militär und Stiftungen

Die Wirtschaft wird in großem Ausmaß von der Regierung, religiösen Stiftungen und militärischen Konglomeraten kontrolliert – auch private Unternehmen entkommen den Verflechtungen kaum. Von jüngsten Berichten über Korruptionsskandale rund um Mullahs, Politiker und Militärs, die bedeutenden Konzernen und Stiftungen vorstehen, sehen sich Regimekritikerinnen und -kritiker jedenfalls bestätigt. Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International findet sich der Iran ohnehin regelmäßig im untersten Viertel. 2021 belegte er unter den 180 gelisteten Ländern Platz 150.

Kleptokratie

Kleptokratie wird eine Herrschaftsform genannt, bei der die Herrschenden willkürliche Verfügungsgewalt über Besitz und Einkünfte der Beherrschten haben und sich oder ihre Klientel auf Kosten der Beherrschten bereichern.

Für Fachleute wie Ghodsi besteht kein Zweifel daran, dass der Iran eine Kleptokratie sei. Der oberste Führer Ajatollah Ali Chamenei, der nicht nur in vielen Fragen das letzte Wort hat, sondern auch einem Milliardenkonglomerat vorsteht, spiele darin eine zentrale Rolle, heißt es.

Chameneis Reichtum soll enorm sein. 2013 deckte die Nachrichtenagentur Reuters auf, dass der oberste Führer des Iran über ein Firmenimperium mit einem Wert von damals knapp 100 Milliarden Dollar verfügte. Schon 2013 war sein Vermögen größer als jenes des 1979 gestürzten Schahs.

Irans Oberster Führer Ayatollah Ali Chamenei
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Der oberste Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, kontrolliert ein Milliardenkonglomerat

Chameneis Milliardengeschäft mit Zwangsenteignungen

Sein Imperium – genannt Setad bzw. Hauptquartier zur Durchsetzung der Befehle des Imams (EIKO) – fußt auf der systematischen Beschlagnahmung des Eigentums iranischer Bürgerinnen und Bürger – seien es religiöse Minderheiten, Schiiten, Geschäftsleute oder Exiliraner. Mittlerweile ist es in vielen weiteren Wirtschaftszweigen aktiv – von der so wichtigen Ölindustrie über Telekommunikation bis zum Finanz- und Gesundheitswesen. Von den USA wurde es mit Sanktionen belegt.

Chamenei komme sein Reichtum aber nur indirekt zugute, meint Ghodsi. „Es gibt keine Beweise dafür, dass er ein luxuriöses Leben lebt“, sagt er. Vielmehr versuche Chamenei, mit seiner wirtschaftlichen Macht die Loyalität seiner Untergebenen, die er mit angesehenen Posten belohnt, zu gewinnen.

Der Hardliner Ebrahim Raisi, der 2021 mit Chameneis Unterstützung zum Präsident gewählt worden war, war zuvor einige Jahre Leiter der größten der rund 120 religiösen Stiftungen im Land Astan-e Kods-e Rasawi. Die Stiftung ist der größte Grundbesitzer Irans und wie alle anderen Stiftungen steuerbefreit.

Imam Reza Schrein in Mashhad, Iran
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Der Imam-Reza-Schrein wird von der größten iranischen Stiftung Astan-e Kods-e Rasawi verwaltet

Dubiose Impfstoffpolitik

Raisi machte wiederum niemand geringeren als den langjährigen Setad-Leiter, Mohammed Mokhber, zu seinem ersten Stellvertreter. Mokhber war zuvor ob seiner Linie in Sachen Impfstoffpolitik in die Schlagzeilen geraten. Konkret hatte die mit Setad und damit auch Chamenei verbundene Barekat-Stiftung einen eigenen Impfstoff entwickelt, der von der Regierung trotz Imageproblemen und höchst fragwürdigem Zulassungsverfahren gekauft und gegenüber anderen heimischen Vakzinen laut „Washington Post“ bevorzugt wurde.

Aller Irritationen zum Trotz sprachen sich Mochber und Chamenei – ausgerechnet aufgrund von „Sicherheitsbedenken“ – für einen Importstopp britischer und US-amerikanischer Vakzine aus. Für das Barekat-Vakzin sollte die damals noch von dem Reformer Hassan Rohani geführte Regierung nach Mokhbers Vorstellungen auch einen deutlich höheren Preis als etwa für das Vakzin von AstraZeneca zahlen. „Sie haben einen riesigen Gewinn damit erzielt“, so Ghodsi. Vorstände hätten am Ende des Jahres Boni ausgezahlt bekommen, während das einfache Volk durch die Finger schaute, kritisiert der Experte.

Barekat-Impfstoff
Reuters/Wana News Agency
Der Impfstoff der mit Chameneis Organisation verbundenen Barekat-Stiftung sei Kritikern zufolge von der Regierung bevorzugt worden

Revolutionsgarde als Wirtschaftsmacht

Für Spekulationen sorgen immer wieder auch die Machenschaften der Revolutionsgarde: Die Pasdaran, die Oberbefehlshaber Chamenei unterstellt sind, stellen eine weitere keineswegs zu unterschätzende Wirtschaftsmacht im Land dar. Unter dem früheren Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad seien sie stark gewachsen, sagt Ghodsi.

Die 2010 verhängten US-Sanktionen stärkten die Pasdaran, weil sich internationale Konzerne zurückzogen und die Revolutionsgarden deren Projekte übernommen hatten. Und unter Raisi würden ihnen nun noch mehr Projekte zugeschanzt, so Ghodsi.

Für den verzwergten Privatsektor bleibe kaum noch etwas übrig, berichten iranische Geschäftsleute dem „Wall Street Journal“. Die Revolutionsgarden besitzen das Konglomerat Chatam-Ol-Anbia. Chatam-Ol-Anbia ist in der Öl- und Gasindustrie, im Bau- und Bankgewerbe, aber auch in der Landwirtschaft und Schwerindustrie aktiv.

Abadan Ölraffinerie
Reuters/Essam Al-Sudani
Die Revolutionsgarden, die im Ölgeschäft aktiv werden, gelten als wirtschaftliche Großmacht – ihnen wird Korruption angelastet

Medien: Korruptionsskandal erschüttert Regime

Wie groß das Vermögen der Pasdaran ist, ist unklar. Es gebe keine staatliche Aufsicht darüber, woher das Geld der Revolutionsgarden komme und wofür es ausgegeben werde, sagte Roham Alvandi von der London School of Economics etwa zur „New York Times“.

Allerdings: Die Revolutionsgarde sei wie auch der staatliche Rundfunksender IRIB, die Polizei, Geistliche und viele andere in den Korruptionsskandal rund um den staatlichen Stahlkonzern Mobarakeh verwickelt, berichtete der TV-Sender Iran International (ihm wird eine Nähe zur saudischen Regierung nachgesagt) im August. Der Konzern soll einer jahrelangen parlamentarischen Untersuchung zufolge drei Milliarden US-Dollar veruntreut haben.

Die Rolle internationaler Sanktionen

Die Korruption habe in den letzten Jahrzehnten bzw. seit der Zeit unter dem ersten obersten Führer des Iran, Ruhollah Chomenei, stark zugenommen, sagt Ghodsi. Chomenei hatte mit mehreren Dekreten vor gut drei Jahrzehnten den Grundstein für die gewachsenen Machtstrukturen im Iran gelegt.

Doch auch die Rolle der internationalen Sanktionen dürfe nicht außer Acht gelassen werden, betont der Ökönom. Laut dem Wirtschaftsexperten hätten diese die Korruption im Land verschlimmert. Ein Effekt sei nämlich, dass regimenahe Firmen noch intransparenter agieren würden, um Sanktionen zu entgehen. Die großteils verstaatlichte Wirtschaft des Iran würde freilich die „Infrastruktur“ für die schwelende Korruption darstellen, sagt der Experte.

Zu den seit Jahren bestehenden Sanktionen im Zusammenhang mit dem Atomstreit kamen aufgrund der Gewalt gegen Demonstrierende zuletzt neue hinzu. Die EU verhängte unter anderem Strafen gegen die Sittenpolizei und die Cybereinheit der Revolutionsgarden. Weitere Strafen brachte die EU im Zusammenhang mit dem Einsatz iranischer Drohnen im Ukraine-Krieg auf den Weg. Auch von den USA wurden weitere Sanktionen verhängt.

Experte: Machtkampf unter Hardlinern

Die ins Stocken geratenen Gespräche zur Wiederbelebung des Atomabkommens in Wien dürften damit jedenfalls nicht vorankommen. Von iranischer Seite seien diese – zum Nachteil der iranischen Bevölkerung – ohnehin immer wieder blockiert und verzögert worden, kritisiert Ghodsi. „Die Islamische Republik hat seit Tag eins kein Interesse am Wohlbefinden der Bevölkerung“, sagt der Ökonom.

Nicht zuletzt ortet er auch interne Verstimmungen: Berichte wie jener über den Stahlkonzern Mobarakeh, aber auch über einzelne vermeintlich exzessiv lebende Mullahs sei nach dessen Einschätzung auf interne Machtkämpfe unter den Chamenei nahestehenden Hardlinern zurückzuführen. Was das für die Zukunft des Landes bedeutet, ist unklar. Sicher scheint dieser Tage nur, dass der Kampf gegen das Regime längst nicht am Ende angelangt ist.