Vizekanzler Werner Kogler und Bundeskanzler Karl Nehammer
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Causa Schmid/Kurz

„Neuer Stresstest“ für die Koalition

Mit seinen Aussagen hat der Ex-Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, viele frühere und amtierende Spitzenpolitiker der ÖVP zum Teil schwer belastet. Diese widersprechen den Vorwürfen des langjährigen ÖVP-Vertrauten vehement – es gilt die Unschuldsvermutung. Auf der Ebene des Strafrechts muss noch einiges geklärt werden, auf einer politischen Ebene kommt laut Fachleuten ein „neuer Stresstest“ auf die ÖVP-Grünen-Koalition zu.

Schmid hat an insgesamt 15 Tagen neuen Stoff in den Causen um Postenbesetzungen, Steuer- und Inseratendeals geliefert. Vieles war in seinen Grundzügen bereits bekannt, der frühere Generalsekretär im Finanzministerium war allerdings noch das fehlende Puzzlestück. Denn bisher hatte er sich nicht zu Wort gemeldet, dem ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss blieb er trotz Ladungen des Parlaments fern.

Ob Schmids Aussagen der Wahrheit entsprechen, muss geklärt werden. Der frühere Chef der Staatsholding ÖBAG will den Kronzeugenstatus, weshalb er auch daran Interesse haben muss, alles zu erzählen. Ob er Kronzeuge wird, hängt davon ab, ob die Staatsanwaltschaft in seinen Aussagen einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung sieht. Bis zu einer Entscheidung dürfte es noch dauern – auch weil die Justizspitze mit der Sache befasst werden wird.

Für die Regierungsparteien sei die aktuelle Entwicklung hingegen jetzt schon eine neue Belastungsprobe, sagt Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle im Gespräch mit ORF.at. Schon bisher seien ÖVP und Grüne in vielen Fragen unterschiedlicher Meinung gewesen, was die schon schlechte Stimmung innerhalb der Koalition verschlimmerte. Bereits bekannte, aber nun von Schmid untermauerte Vorwürfe gegen ÖVP-Klubobmann August Wöginger und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) verschärften die Lage, so die Expertin.

Abwarten und hoffen

Politikberater Thomas Hofer sieht es wie seine Kollegin: „Es ist ein massiver Stresstest, der auf die Regierung zukommt“, sagt er im Gespräch mit ORF.at. Freilich müsse man warten, wie die weiteren Entwicklungen aussehen, aber das, was jetzt auf dem Tisch liegt, sei ein „weiterer Imageschaden für die ÖVP", betont Hofer und verweist sowohl auf die Aussagen Schmids als auch auf die Konter von Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz. Dieser hatte nämlich nach Hausdurchsuchung im Zuge der Causa Beinschab/"Österreich“ im vergangen Jahr ein Telefonat mit Schmid aufgezeichnet und veröffentlichte es am Mittwoch.

ÖVP-Klubchef August Wöginger und die Grüne-Klubchefin Sigrid Maurer
APA/Robert Jaeger
August Wöginger (ÖVP) und Sigrid Maurer (Grüne) bilden das Klubobleuteteam der Regierung

„Gespräche aufzunehmen und das innerhalb der eigenen Gruppe – wir dürfen nicht vergessen, dass Schmid jahrelang ein enger Begleiter von Kurz war – wird der Glaubwürdigkeit der Politik schaden“, sagt Stainer-Hämmerle. Nach Ansicht der Politikwissenschaftlerin müsse Kanzler Karl Nehammer nun stärker als ÖVP-Obmann auftreten und klare Linien ziehen. „Das macht er nicht. Er hat sich auf seine Rolle als Bundeskanzler zurückgezogen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Er ist auch Chef einer Partei, die mit vielen Vorwürfen konfrontiert ist.“

Nehammer forderte nach der Veröffentlichung von Schmids Einvernahmen eine „volle Aufklärung“ durch die Justiz. Aktuellen Handlungsbedarf in der Partei sah Nehammer offenbar nicht: Die Vorwürfe von Schmid gegen Kurz und andere würden „die Vergangenheit betreffen“, meinte Nehammer in einer knappen schriftlichen Stellungnahme. „Wenn diese Vorwürfe stimmen, dann ist das nicht in Ordnung.“ Die Justiz soll diese Ermittlungen „sorgfältig führen, ich habe das Land durch eine Krise zu führen“, führte der Kanzler aus.

Stainer-Hämmerle: Zu wenig für Parteichef

Für Stainer-Hämmerle ist das zu wenig. „Sich als Parteichef nur auf die strafrechtliche Ebene zu beschränken passt nicht zur Position“, sagt sie. Es gehe nämlich auch um die politisch-moralische Ebene. Von einem Obmann der stimmenstärksten Partei würde man sich klarere Worte erwarten. Die Politikwissenschaftlerin sagt allerdings auch, dass man abwarten werde, um nicht weiters Öl ins Feuer zu gießen.

Denn eine „Tabula rasa“ sei im Fall von Nehammer schwierig. Immerhin hatte der heutige Kanzler und ÖVP-Chef unter Kurz eine wichtige Funktion in der Partei inne: Generalsekretär. „Es wäre dann doch schwierig, einen Schlussstrich unter allem zu ziehen, wenn man selbst auf einen Entscheidungsposten saß“, sagt die Politikexpertin. Aber ein Verweis auf die Justiz, die ihre Arbeit tun soll, reiche nicht.

Dass Nehammer auf die Vergangenheit verweist, sei kurzfristig die richtige Strategie, aber ob sie langfristig hält, sei fraglich, so Hofer. Die Teuerungskrise gehe der Bevölkerung auch in der Tat „deutlich näher“ als Schmid. Die Causa verschärfe aber das Gefühl, wonach Parteien verkommen seien. Hofer: „Die ÖVP wird das, um mit Toni Pfeffer zu sprechen, nicht mehr hoch gewinnen.“ Zur Erinnerung: 1999 lagen Österreichs Fußballer gegen Spanien nach 45 Minuten mit fünf Toren im Rückstand. Teamspieler Pfeffer sagte in der Halbzeit: „Hoch wer’n ma’s nimma gewinnen.“ Man kassierte vier weitere Tore.

Wer will Neuwahlen? ÖVP und Grüne jedenfalls nicht

Bei den Grünen sehe es in der Sache zwar anders aus, aber in der Strategie ähnlich, so Hofer. Man versuche zwischen Partei und Regierung zu differenzieren: „Die Grünen wollen klarstellen, dass es in der Regierung zwar Differenzen gibt, aber die Arbeit funktioniert. Mit der Partei ÖVP hat man quasi nix zu tun“, sagt der Politikberater. Aber natürlich gehe es auch bei den Grünen als Aufdeckerpartei um die Glaubwürdigkeit. „Wenn man hohe moralische Ansprüche stellt, dann wird man von den Wählern auch an diesen gemessen.“

„Runder Tisch“: Schmids Geständnis

Der ehemalige ÖBAG-Vorstand und Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, will den Status als Kronzeuge und hat deshalb bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ausgesagt.

An Neuwahlen wie von der Opposition gefordert haben ÖVP und Grüne derzeit kein Interesse. Offiziell heißt es, man wolle in Krisenzeit für Stabilität sorgen. Zudem würden viele Projekte, die man sich vorgenommen habe, nicht umgesetzt werden, sollte es zu Neuwahlen kommen. Die jüngste Wahl in Tirol, bei der die ÖVP enorme Verluste einfuhr und die Grünen aus der Landesregierung flogen, und Umfragen, wonach ÖVP und Grüne keine Mehrheit mehr haben, spielen im Hintergrund natürlich eine Rolle.

Laut Hofer funktionieren noch die wesentliche Achsen der Koalition. Auf der einen Seite vermitteln nämlich Kanzler Nehammer und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), dass sie zusammenarbeiten wollen. Auf der anderen Seite würden die Klubobleute Wöginger und Sigrid Maurer (Grüne) ein „Tandem“ bilden, das sich gut versteht. Wichtiger in Sachen Machtpolitik sei jedoch: „Das, was die Koalitionsparteien am Laufen hält, ist ihre gemeinsame Abneigung oder Angst vor vorgezogenen Neuwahlen.“