Bild von einem Kind, das einen Schnurrbart auf eine Statue klebt
Public Domain
Kobuk, Heller & Co.

Schabernack als riskantes Spiel mit Grenzen

War es nur ein Bubenstreich, oder hat Österreich seit Mitte dieser Woche einen „Fall Heller“ in Schtonk-Dimension, wie der Blick auf die Aufmacher vieler Zeitungen vermuten lässt? Im Feld des Kunsthandels sind sehr viele über den gefälschten Basquiat-Rahmen aus alten Besenstielen erbost, in sozialen Netzwerken blüht der Hoax um vorgeblich eigene und gefälschte Werke. Und Moral diskutierte das Land medial lieber am Fall Heller als an den Abgründen der Schmid-Chats.

Man schreibt den Sommer 1951 in Wien, als man einen großen, wie man mittlerweile sagt, Inuit-Poeten erwartete und ihm einen ebenso würdigen „Bahnhof“ errichten wollte. Kobuk sei sein Name, will etwa die „Arbeiterzeitung“ vom damaligen PEN-Club-Präsidenten Franz-Theodor Csokor erfahren haben.

Und so wurde er auf dem Bahnsteig des Wiener Westbahnhofs erwartet, der Autor, der versprochen hatte, in Wien mindestens zwei Hörspiele aufzunehmen, und der, wie es hieß, „den magischen Realismus mit der arktischen Mystik“ zu verschmelzen versprach. „Meisterwerke wie ‚Brennende Arktis‘, aber auch ‚Die Republik der Pinguine‘“ seien Teil seines literarischen Vermächtnisses zu Lebzeiten. Und bald schon würde sein Essay „Adalbert Stifter – a study in humanism“ bei „Harvard-Press“ erscheinen.

Bericht über das Kommen Kobuks
Public Domain
Österreich 1951, das Land erwartet den Dichter Kobuk und hofft auf das Hörspiel „Einsames Iglu“

Als Kobuk aus dem Zug stieg und schon auf die Frage, wie er sich fühle unter dickem Fellkleid und Pelzkappe, von sich gab: „Haaß is“, da wurden die Ähnlichkeiten mit dem Schauspieler und Kabarettisten Helmut Qualtinger evident. Trotzdem hatten es nicht alle gleich auf dem Boden des Feuilletons mitbekommen und die Kunde vom legendären Mann aus dem Eis mit dem ach so großen Publikum weitergetragen.

Qualtinger hatte vor seinem Kobuk-Coup bei einem Empfang in der Wohnung Csokors Briefpapier des PEN-Clubs entwendet und die Kulturredaktionen des Landes im Namen des PEN über die Ankunft des weltberühmten „Eskimodichters Kobuk“ informiert. Die „Arbeiterzeitung“ rief Qualtinger noch extra mit verstellter Stimme an und gab vor, der PEN-Präsident zu sein. Von einer beträchtlichen Leserschaft Kobuks wurde berichtet – und alle Tageszeitungen des Landes befanden sich in gespannter Erwartung zur Ankunft des als legendär gedachten Dichters, der ja auch versprochen hatte, die Wiener Eisrevue auf Grönland-Tournee zu nehmen.

Private Märchen, öffentliche Folgen

Andre Heller, Jahrgang 1947 und im Kobuk-Jahr gerade einmal vier Jahre alt, war Bewunderer wie späterer Freund Qualtingers – und wie dieser Anhänger des Sammelns abgründiger Geschichten. Im Cafe Hawelka, so zitiert der „Falter“, der den Bericht über den gebastelten Schein-Basquiat-Rahmen am vergangenen Dienstag öffentlich gemacht hatte, habe sich immer eine Runde zusammengefunden, die unter der Rubrik „Privates Märchen“ Geschichten zusammenkomponiert habe. Teil der Runde: Helmut Qualtinger, Hans Carl Artmann – „und einmal auch Thomas Bernhard“, der ja später im Band „Der Stimmenimitator“ eine Serie erfundener Kurzgeschichten versammeln wird, die alle am Grenzgang von Fiktion und Spiel angesiedelt sind.

Eine solche Geschichte will Andre Heller, der selber über eine Kunstsammlung großer Namen, darunter auch Andy Warhol und eben auch Jean-Michel Basquiat, verfügt, dem Kunsthistoriker Dieter Buchart erzählt haben. Basquiat, so der Kern der Geschichte, wie sie zuletzt in den Medien kolportiert wurde, habe auch selber einen Rahmen geschaffen – einen, so stellt sich nun heraus, den Heller selbst fabriziert hat.

Gerald Matt spricht über Fall Heller

Der langjährige Direktor der Kunsthalle Wien und aktueller Direktor des Vienna Art Institute, Gerald Matt, spricht darüber, welche Auswirkungen der aktuelle Fall rund um Andre Heller auf die Kunstwelt hat.

„Basquiat hat nie Rahmen gemacht“

Einen Basquiat-Experten mit einer Geschichte über einen Rahmen zu prüfen sei ein absurdes Unterfangen. Das sagt der Kunsthändler Lui Wienerroither gegenüber ORF.at, dessen Galerie das Blatt von Basquiat gemeinsam mit dem Rahmen auf der Kunstmesse Tefaf 2017 in New York angeboten hatte. „Jeder wusste“, so Wienerroither, „dass Basquiat selbst nie Rahmen gemacht und von seinen Assistenten immer nur Bildträger aus unterschiedlichen Materialien erhalten hat.“

Heller hatte der Wiener Galerie das Blatt mit dem gemalten Kopf von Basquiat samt Rahmen angeboten – und dieses sei dann, so Wienerroither, auf verschiedenen Kunstmessen gezeigt worden. Verkauft wurde es vorerst nicht. Nie sei behauptet worden, so der Kunsthändler, dass der Rahmen von Basquiat stamme – „weil es dafür gar kein Zertifikat gab“.

„Wir wussten, dass die Zeichnungen auf dem Rahmen ident waren mit Entwürfen, die Basquiat für Hellers ‚Luna Luna‘-Projekt gemacht hatte – aber wie diese Zeichnungen auf den Rahmen gekommen sind und wer die roten Umrandungen darauf gemacht hat, lässt sich nicht sagen; insofern ist es auch sinnlos, damit einen Kunstexperten prüfen zu wollen“, so Wienerroither.

Basquiat-Zeichnung und ein Künstlerrahmen
Katalog Wienerroither & Kohlbacher
Ein Blatt von Basquiat aus dem Jahr 1983 und viel Aufregung um das Rundherum

Heller verwunderte sich zuletzt gegenüber dem „Falter“ darüber, dass alle Kunstexperten, die über den Basquiat-Rahmen auf der Kunstmesse gestritten hatten, nicht erkannt hätten, dass die darin „eingearbeiteten“ Zeichnungen „zu hundert Prozent echt sind“.

„Boom for Real“

Basquiats Blatt wurde im Herbst/Winter 2017/18 im Barbican Center in London im Zuge einer Retrospektive unter dem bezeichnenden Titel „Boom for Real“ (ein Ausdruck, den Basquiat selbst gerne verwendet hatte) gezeigt. Nach der Ausstellung sei das Blatt über die Vermittlung des Managers und Kunstexperten Amir Shariat verkauft worden – und erst später habe der Käufer auch den Rahmen dazu erworben, erzählt Wienerroither.

Den Preis von drei Millionen Dollar für einen Rahmen verweist Wienerroither in den Bereich der Fantasie. Man habe Bild und Rahmen immer nur gemeinsam angeboten – damals um den Preis von sechs Millionen Dollar.

Zeitungscovers mit Heller-Headlines
heid/ORF.at
Aufmacher auf einem Zeitungsständer am vergangenen Donnerstag

Es hätte viel mehr Material gegeben

Für das „Luna Luna“-Projekt Hellers ist ja neben den eingearbeiteten Zeichnungen im vermeintlichen Basquiat-Rahmen ein ganzes Konvolut an Entwürfen übrig geblieben. Die Mappe soll Heller bei einem Salzburger Galeristen gegen ein Bild von Georg Baselitz eingetauscht haben – ein, wie auch Heller zugeben sollte, „schlechtes Geschäft“.

Am Ende dieser Woche bleibt neben einer vertrackten Geschichte, einem angeschlagenen Image und einem teils verärgerten Kunstmarkt das Bild einer medialen Landschaft übrig, die sich mit Verve auf diesen „Fälschungsskandal“ und nicht zuletzt die moralischen Implikationen gestürzt hatte. Andere Aufreger wie Chats von Journalisten über ihr eigenes Fortkommen mit Thomas Schmid gerieten da schon in Vergessenheit.

Der Versuch Hellers, den Fall auf eine besondere Form von „Streich“-Kultur zu schieben, scheint für den Moment nicht aufgegangen zu sein, obwohl ja die Geschichte der jüngeren Literatur voll von Spielen mit dem Kunstmarkt ist. In Kurt Vonneguts Kultroman „Bluebeard“ hat der Exilarmenier Rabo Karabekian auf seinem Blaubart-„Schloss“ einen Friedhof von Meisterwerken der klassischen Moderne angehäuft – alle will er für ein Appel und ein Ei erhalten haben, weil er den Großen wie Jackson Pollock in schwierigen Zeiten geholfen habe.

Als eine Frau namens Circe Berman ihn besucht und ihn dem Blaubart-Mythos gemäß zwingt, die letzte Türe seines Reiches zu öffnen (hier ist es ein Erdäpfelstall), fällt der Groschen: Hinter den erwarteten, noch größeren Werken der Moderne schlummern am Ende nur die eigenen Arbeiten, die aber mehr über die Person ausdrücken als der angehäufte Kunstballast.

Thomas Bernhard: Nur die Anekdote taugt als Gegenstück

Will man ein glaubhaftes Gegenstück zu allem Gesagten und Behaupteten errichten, brauche man die Anekdote, soll Thomas Bernhard gemeint haben, als er 1978 seine Sammlung von 104 erfundenen Geschichten unter dem Titel „Der Stimmenimitator“ versammelte. Für eine Anekdote scheint der „Fall Heller“ zu sehr aus dem Ruder gelaufen – oder tatsächlich aus dem Besenstielrahmen gefallen. In den Rahmen der richtigen Dimensionen bekommt man den Bestenstiel-Hoax für den Moment nicht. Dass er medial höher eingeschätzt wurde als manch andere Entwicklung in Österreich, macht aus der Heller-Aufregung am Ende auch wieder ein Sittenbild.