FIFA Präsident Gianni Infantino
Reuters/Matthew Childs
Fußball-WM in Katar

Kritik an Infantinos Rundumschlag

„Heute fühle ich sehr starke Gefühle, heute fühle ich mich als Katarer, heute fühle ich mich als Araber, heute fühle ich mich afrikanisch. Heute fühle ich mich schwul. Heute fühle ich mich behindert, heute fühle ich mich als Arbeitsmigrant.“ Mit diesen Worten hat der Chef des Weltfußballverbands (FIFA), Gianni Infantino, am Samstag eine teils für Verwunderung sorgende Rede eingeleitet. Was folgte, war ein Rundumschlag gegen Kritiker der WM. Menschenrechtsorganisationen zeigten sich irritiert und kritisierten Infantinos Auftritt.

„Indem er die berechtigte Kritik an den Menschenrechten beiseiteschiebt, ignoriert Gianni Infantino den enormen Preis, den die Wanderarbeiter zahlen, um sein Vorzeigeturnier zu ermöglichen – und die Verantwortung der FIFA dafür“, hieß es am Samstagabend in einer Aussendung von Amnesty International (AI).

„Forderungen nach Gleichheit, Würde und Entschädigung können nicht als eine Art Kulturkampf behandelt werden – es handelt sich um universelle Menschenrechte, zu deren Einhaltung sich die FIFA in ihren eigenen Statuten verpflichtet hat“, wie Steve Cockburn, Leiter der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit bei AI weiter ausführte.

FIFA-Fonds als „Hoffnungsschimmer“

Cockburn ortet aber auch „einen winzigen Hoffnungsschimmer“ – konkret in Infatinos Ankündigung, dass die FIFA den Legacy Fund, in den WM-Einnahmen fließen, nun globaler anlegen will.

„Bei früheren FIFA-Fussballweltmeisterschaften lag der Schwerpunkt des Fonds auf der Entwicklung des Fußballs im Gastgeberland der Endrunde, aber angesichts der Möglichkeiten Katars wird die FIFA bei dieser Ausgabe eine globalere Richtung einschlagen“, heißt es dazu vonseiten der FIFA. Diese wolle nun „eine internationale Dimension verfolgen, sodass besonders gefährdete Menschen weltweit unterstützt werden“.

Laut Cockburn könne die FIFA damit durchaus noch etwas aus diesem Turnier retten. Allerdings müsse sie auf die Ankündigung auch Taten folgen lassen und „einen erheblichen Teil der sechs Milliarden Dollar, die sie mit diesem Turnier einnehmen wird, in die Zukunft investieren“.

„Ungeschickt“

Auch die Menschenrechtsorganisation Fairsquare kritisierte Infantinos Auftritt am Tag vor dem WM-Anpfiff. Die Äußerungen des FIFA-Chefs „waren ebenso krass wie ungeschickt und lassen darauf schließen, dass der FIFA-Präsident seine Argumente direkt von den katarischen Behörden erhält“, zitierte das Nachrichtenportal 20min Fairsquare-Direktor Nicholas McGeehan.

Rede von FIFA-Chef Gianni Infantino

FIFA-Präsident Gianni Infantino hat einen Tag vor dem Eröffnungsspiel eine „Doppelmoral“ westlicher Nationen gegenüber Fußball-WM-Gastgeber Katar angeprangert. „Ich denke, was wir Europäer in den vergangenen 3.000 Jahren weltweit gemacht haben, da sollten wir uns die nächsten 3.000 Jahre entschuldigen, bevor wir anfangen, moralische Ratschläge an andere zu verteilen“, sagte der 52-Jährige auf einer Pressekonferenz.

In den letzten sechs Monaten habe eine „Koalition von Menschenrechtsorganisationen“ eine globale Kampagne zur Aufklärung und Verhinderung von Missständen auf den WM-Baustellen angeführt, erinnerte am Samstag zudem Human Rights Watch (HRW). Allerdings habe sich für Arbeitsmigranten auch am Vorabend der WM hier weiterhin nichts getan, wie die Menschenrechtsorganisation in einer Aussendung kritisiert.

Rundumschlag gegen WM-Kritiker

Infantino wies zuvor mit einem Rundumschlag Kritik an der WM in Katar als „Heuchelei“ zurück „Für das, was wir Europäer in den vergangenen 3.000 Jahren getan haben, sollten wir uns für die nächsten 3.000 Jahre entschuldigen, bevor wir anderen Moralpredigten halten“, wie Infantino auf der Eröffnungspressekonferenz zur WM in Doha ausführte.

Angesichts der massiven Kritik, die die FIFA wegen der Arbeitsbedingungen der Arbeiter auf den WM-Baustellen einstecken musste, sagte Infantino, der Weltverband habe sich um das Schicksal der Arbeiter gekümmert. Mit Blick auf LGBTQ-Rechte hätten ihm die katarischen Behörden zudem versichert, dass „jeder“ während der Weltmeisterschaft „willkommen“ sei. Homosexualität ist in Katar per Gesetz verboten.

„Glaube, man kann drei Stunden ohne Bier überleben“

Infantino erklärte sich zudem solidarisch mit diskriminierten Gruppen. Er fühle sich heute „als Katarer“, „als Araber“, „als Homosexueller“, „als Behinderter“ und „als Arbeitsmigrant“, sagte er. Dafür, dass er nicht angeführt hatte, sich als Frau zu fühlen, entschuldigte sich Infantino mit einer Geste und sagte: „Ich habe vier Töchter.“

Als Sohn italienischer „Wanderarbeiter“ in der Schweiz wisse er, was Diskriminierung bedeute. Auch Medienberichte der letzten Tage, wonach „gekaufte Fans“ für volle WM-Stadien sorgen sollen, wies Infantino zurück. „Wenn einer aussieht wie ein Inder, darf er nicht für England oder Spanien jubeln? Das ist Rassismus!“, wie Infantino dazu sagte.

Schließlich zeigte er auch für die Kritik am Bierverkaufsverbot an den acht WM-Stadien kein Verständnis. Er persönlich glaube, „dass man drei Stunden ohne Bier überleben“ könne. Schließlich würden in Frankreich, Spanien und Schottland die gleichen Regeln gelten.

„Zutiefst ungerecht“

Die am Sonntag beginnende Fußball-WM ist die erste in einem arabischen Land. Katar als WM-Gastgeber steht seit Jahren wegen seines Umgangs mit ausländischen Arbeitskräften, mit Frauen und Vertretern der LGBTQ-Gemeinschaft in der Kritik.

„Was im Moment passiert, ist zutiefst, zutiefst ungerecht“, sagte Infantino und verwies angesichts der Kritik an der WM auf deren sich abzeichnenden kommerziellen Erfolg. Insgesamt werde die Veranstaltung der FIFA etwa „600 bis 700 Millionen Dollar mehr einbringen als die letzte WM“ im Jahr 2018 in Russland. Wenn so viele Menschen auf der ganzen Welt „so viel Geld in die WM in Katar“ investierten, dann deshalb, „weil sie an die FIFA glauben“ und Katar „vertrauen“.