Oft werde gefragt, wozu es die jährlichen Klimakonferenzen überhaupt noch brauche. Doch „der Multilateralismus lebt und funktioniert“, findet Renate Christ, Klimawissenschaftlerin und ehemalige Leiterin des Sekretariats des Weltklimarats (IPCC). Sie selbst war bei den Verhandlungen dabei – heuer zum bereits 25. Mal. Man sehe sehr wohl, dass aufgrund der internationalen Verhandlungen in der Vergangenheit eine „gewisse Emissionsreduktion“ stattgefunden habe.
Mittlerweile sei das Thema Klima auch „ganz oben angekommen und zur Chefsache“ geworden. Das zeige sich etwa daran, dass bei der Klimakonferenz eine Reihe von Staats- und Regierungsspitzen anwesend waren. Und: Fast alle Industriestaaten stünden beim Klimaschutz mittlerweile auf der progressiven Seite. Zudem werde trotz großer Widerstände am 1,5-Grad-Ziel festgehalten. All das sind „Entwicklungen, die man nicht unterschätzen darf“, so Christ am Montag bei einem Onlinepressegespräch von „Scientists for Future“ und „Diskurs, das Wissenschaftsnetz“.

„Wichtiges Zeichen“ für Klimagerechtigkeit
Lobende Worte fand auch Risikoforscher Reinhard Mechler vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA). Gerade die „überraschende“ Einigung auf die Einrichtung eines Hilfsfonds für klimabedingte Schäden („Loss and Damage“) an ärmere Länder stelle einen wichtigen Baustein in der Architektur der Klimawandelmaßnahmen dar.
Hierbei handle es sich um eine Forderung, die besonders Länder des Globalen Südens und Inselstaaten bereits seit Jahrzehnten erhoben hatten. Nicht nur könne durch diesen Fonds eine große Lücke im Klimaschutz geschlossen, sondern zugleich ein „wichtiges Zeichen“ für Klimagerechtigkeit gesetzt werden.
Expertin zu Hilfsfonds: Kann Menschenleben nicht ersetzen
Christ sprach bei dieser Form der Klimafinanzierung von einem großen Erfolg, sei es doch ein Schritt, der das Vertrauen zwischen den Ländern des Globalen Südens und des Nordens stärke.
Tatsächlich handelt es sich bei Klimagerechtigkeit um eine Debatte, die vor allem zwischen dem Globalen Norden und Süden ausgetragen wird. Daten zum weltweiten Emissionsausstoß zeigen, dass es primär Länder des Globalen Nordens sind, die für den Großteil des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich sind. Je nach Berechnung teilen sich die ersten drei Plätze der weltweit größten Klimasünder China, die USA und die EU.
Beide Fachleute verwiesen jedoch darauf, dass bei dem Fonds viele Fragen noch offen seien – etwa, wer wie viel an wen zahlen müsse. Die Details sollen im kommenden Jahr von Fachleuten erarbeitet werden, konkrete Beschlüsse könnte es etwa bei der nächsten Klimakonferenz geben. Klar ist für Christ aber auch: „Verluste und Schäden sind ja nicht nur materieller Natur, sondern auch Verluste von Menschenleben. Und die kann man durch keinen Fonds ersetzen. So gut der auch datiert ist.“

Kein Ausstieg von Öl und Gas „bedauerlich“
Umso dringlicher sei es, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten – also das vorindustrielle Temperaturniveau bis 2100 um nicht mehr als 1,5 Grad Celsius zu überschreiten. Dafür brauche es allerdings enorme Anstrengungen und ein Nachbessern aller Länder bei ihren nationalen Klimaschutzplänen, so Christ. Sie kritisiert, dass Staaten in der heurigen Abschlusserklärung aber lediglich nur „in schwacher Sprache“ dazu aufgefordert werden, ihre Klimapläne bis zur nächsten Konferenz nachzubessern – ohne jegliche Verpflichtung.
Ebenso nicht im Abschlussdokument findet sich der Ausstieg aus Öl und Gas. „Bedauerlich“, wie die beiden Experten gegenüber ORF.at festhielten. Gerade eine Reihe von arabischen Staaten hätten hier gebremst, so Christ. Zwar sei die Wichtigkeit von erneuerbaren Energien betont worden, zugleich habe es die „dezidierte Weigerung“ der Länder gegeben, Zugeständnisse bei der Wahl ihrer Energiequellen zu machen.
Für Mechler sei das Fehlen von Öl und Gas in der Abschlusserklärung zwar deprimierend, aber zu erwarten gewesen. „In einer Energiekrise ist es nicht überraschend, dass Gas und Öl nicht auftaucht“, sagte Mechler mit Blick auf den Ukraine-Krieg. Dieser ist es laut Christ auch gewesen, der als „großer Elefant im Raum“ ambitionierte Schritte erschwert habe.
Klimakonferenz: Kompromiss lässt viele Fragen offen
Bei der UNO-Klimakonferenz in Scharm al-Scheich wurde nach jahrelangem Ringen ein Hilfsfonds für klimabedingte Schäden in besonders verletzlichen Staaten auf den Weg gebracht. Die Klärung zentraler Streitfragen wurde aber vertagt, zum Beispiel, welche Länder Geld einzahlen müssen.
1,5-Grad-Ziel noch erreichbar?
Doch ist vor dem Hintergrund all dieser fehlenden Beschlüsse das 1,5-Grad-Ziel überhaupt noch in Reichweite? Die Klimaexpertinnen und -experten zeigen sich skeptisch, werde es doch von Jahr zu Jahr „schwieriger und unrealistischer“. Dennoch sei es wichtig, daran festzuhalten und Druck aufzubauen, sodass entsprechende emissionsmindernde Maßnahmen getroffen werden, meint etwa Christ. Für Melcher ist das Ziel in weiter Ferne, derzeit bewege sich die Menschheit auf ein Plus von bis zu 2,5 Grad zu, 1,5 Grad seien aber möglich – zumindest noch.
Will Österreich dieses Ziel einhalten, macht aber weiter wie bisher, so ist das Treibhausgasbudget Mitte 2025 erschöpft, wie Fachleute berechnet haben. Das Climate Change Centre Austria (CCCA) erinnert daran, dass der Plan der Regierung eigentlich wäre, die Treibhausgasemissionen in Österreich erst bis 2040 auf „netto null“ zu reduzieren – mehr dazu in science.ORF.at.