Lichtglocke über dem Steinernen Meer bei Leogang und Saalfelden in der Nacht
picturedesk.com/Andreas Tischler
Zu viel Licht

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Vier von fünf Menschen weltweit können die Milchstraße nicht mehr mit bloßem Auge sehen. In Europa und Nordamerika sind es sogar 99 Prozent der Bevölkerung. Obwohl die UNESCO den dunklen Nachthimmel bereits 1992 zum Welterbe erklärt hat, nimmt die Lichtverschmutzung weltweit zu – mit allen negativen Konsequenzen für Menschen und Umwelt. Die Energiekrise bringt die Verschwendung von Licht nun so stark ins öffentliche Bewusstsein wie selten zuvor. Das ist nicht nur in Österreich, sondern auch auf EU-Ebene spürbar.

Über Österreich ist aufgrund der besonderen Lage der Alpen in vielen Regionen der dunkelste Himmel Mittel- und Westeuropas zu beobachten. „Das macht Österreich einzigartig“, sagt der an der Universität Wien tätige Astrophysiker Stefan Wallner gegenüber ORF.at. Es gibt einige Initiativen, die sich für den Schutz und Ausbau dieser Dunkelgebiete einsetzen, darunter das Kompetenzzentrum Helle Not der Tiroler Umweltanwaltschaft und Österreichs erster von der International Dark-Sky Association anerkannter Sternenpark Attersee-Traunsee in Oberösterreich.

Auf gesetzlicher Ebene hat Österreich aber noch Aufholbedarf. 16 von 27 EU-Staaten haben bereits direkt oder indirekt Gesetze gegen die Lichtverschmutzung. In Österreich behelfe man sich mit den Naturschutzgesetzen, die Ländersache sind, verweist der Tiroler Umweltanwalt Johannes Kostenzer gegenüber ORF.at auf Behelfsmittel, um Fragen der Lichtverschmutzung zumindest indirekt zu regeln.

Screenshot von lightpollutionmap.info zeigt die Lichtverschmutzung in Europa
https://www.lightpollutionmap.info
Aufgrund der besonderen Lage der Alpen hat Österreich in einigen Regionen noch besonders dunkle Gebiete

Gesundheitliche Auswirkungen

Die Zahlen zur Zunahme der Lichtverschmutzung variieren. Der Weltatlas der Lichtverschmutzung von 2016 machte etwa eine jährliche globale Steigerung von 2,2 Prozent aus, für Europa und Nordamerika eine von sechs Prozent. Mehrere Studien belegen die schädlichen Auswirkungen von zu viel Licht auf die menschliche Gesundheit und die Biodiversität.

So werden etwa Insekten von Straßenlaternen angezogen, ermüden und verbrennen dort. Das stört die gesamte Nahrungskette. Mehrfach belegt sind zudem schädliche Auswirkungen auf Nachtfalter, Vögel und Fledermäuse. Bei Menschen kann sich die Verschiebung des Tag-Nacht-Rhythmus auf die Gesundheit auswirken. Die Unterdrückung des Schlafhormons Melatonin etwa stört den natürlichen Schlafrhythmus. Für die Fachleute besteht Handlungsbedarf.

„So bald wie möglich“ Thema im Nationalrat

Als „wichtigen Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnet Wallner die vor Kurzem novellierte ÖNORM O-1052. Dabei werden strengere Grenzwerte vorgegeben, zwischen Naturräumen und Ortskernen unterschieden und die Auswirkungen von Licht auf Mensch und Umwelt berücksichtigt. Die Norm bedeutet eine deutliche Verschärfung der Rahmenbedingungen, ist aber gesetzlich nicht bindend, erklärt Stefanie Pontasch. Sie ist Projektleiterin von Skyscape, einem EU-geförderten Projekt für Schutz und Förderung des Nachthimmels. Es brauche aber gesetzliche Bestimmungen.

Die derzeitige ÖVP-Grünen-Koalition schrieb sich das Thema Lichtverschmutzung als erste Regierung sogar ins Regierungsprogramm. Getan hat sich bisher aber noch wenig. Die grüne Abgeordnete Astrid Rössler will das Thema im Nationalrat nun über eine Petition angehen – „so bald wie möglich“. Aus dem Klimaschutzministerium gab es gegenüber ORF.at keine Informationen über konkrete Pläne gegen Lichtverschmutzung.

EU erkennt Lichtverschmutzung als Schadstoff an

Bereits in den vergangenen zwei, drei Jahren sei Bewegung in diesen Bereich gekommen, erinnert sich Wallner. Das macht sich auch auf EU-Ebene bemerkbar. Der im Rahmen des „Green Deal“ 2021 verabschiedete „Zero Pollution Action Plan“ nimmt erstmals Lichtverschmutzung als Schadstoff auf und fordert weitere Untersuchungen.

Tschechien räumte während seiner EU-Ratspräsidentschaft (bis 31. Dezember) der Lichtverschmutzung große Bedeutung ein – mit einem Appell an die EU-Kommission, Lichtverschmutzung auf europäischer Ebene zu regulieren. Pontasch sieht das als „große Chance“: „In der EU wurde dieses Thema bisher stiefmütterlich behandelt.“ Es fehlen EU-weite Regeln für den Umgang mit und die Eindämmung von verschwenderischem Umgang mit Licht.

Einheitliche Messungen fehlen

„Wir müssen Licht wie Luft behandeln“, fordert Wallner. Für Luftverschmutzung gebe es ein umfassendes Messnetzwerk. Das fehle für Licht noch, sei aber unerlässlich für Politik und Wissenschaft. EU-weit brauche es einen einheitlichen Messstandard. Selbst in Österreich, wo es in Oberösterreich und Wien zwei Lichtmessnetzwerke gibt, werden unterschiedliche Systeme verwendet.

Es brauche auch einen eigenen Satelliten, der die Lichtverschmutzung messen könne. Wallner: „Der derzeit verwendete Satellit erkennt kein blaues Licht. Daten von oben durch Satelliten in Bezug auf Lichtverschmutzung sind daher nicht aussagekräftig.“

Satelittenaufnahme von Spanien und Portugal bei Nacht
ESA/NASA
Die Iberische Halbinsel, aufgenommen von der Raumstation ISS im September 2022

Als Basis für die Forschung werden vielfach Bilder aus dem All herangezogen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten dokumentierten Astronauten der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) in Millionen Bildern die Zunahme der globalen Lichtverschmutzung. Mit dem verstärkten Einsatz von LED ist in diesen Bildern eine deutliche Aufhellung des künstlichen Lichts erkennbar. Besonders drastisch zeigt sich etwa die Lichtverschmutzung in Mailand. Die norditalienische Stadt war die erste in Europa, die ihre Straßenbeleuchtung vollständig auf weiße LEDs umstellte.

Bumerangeffekt bei LED-Beleuchtung

Die Umrüstung auf LED führte zum Teil zu mehr Lichtverschmutzung. Fachleute beobachteten einen Bumerangeffekt (Reboundeffekt). Da diese Leuchtquelle noch heller strahlt und zugleich weniger Energie verbraucht, stieg gerade in Zeiten günstiger Energie die Nachfrage. Potenzielle Einsparungen wurden dadurch zunichtegemacht.

Das von LEDs erzeugte Licht ist mit Tageslicht vergleichbar. Besonders schädlich sind LEDs mit starkem Blauanteil. Dadurch gerät die biologische Uhr von Menschen und Tieren besonders stark durcheinander. Eine Unterscheidung in Tag und Nacht wird schwierig. Der Blaulichtanteil sollte reguliert werden, fordern Fachleute. Auch die technische Weiterentwicklung kann helfen, Licht zu reduzieren. „Wir können ohne Komfortverlust mit besserer Technik Lichtverschmutzung reduzieren“, ist Kostenzer, dessen Kompetenzzentrum an einigen Innovationen in puncto Licht beteiligt war, überzeugt.

Umdenken im öffentlichen Sektor

Ein Umdenken beim Umfang der Beleuchtung hat vor allem mit der Energiekrise eingesetzt. Denkmäler und Gebäude werden spärlicher beleuchtet. Einige Gemeinden und Städte ergriffen bereits zuvor Maßnahmen bei der Beleuchtung. Die Stadt Wien begann 2017 mit der Umrüstung der Straßenbeleuchtung auf LED. Nicht umgestellt werden die vom Bund geführten Straßen wie die Tangente.

Für Auswirkungen auf die Lichtverschmutzung sei der Anteil der Straßenbeleuchtung zu gering, meint der Astronom Günther Wuchterl, der sich als Leiter der Kuffner Sternwarte seit Jahren gegen Lichtverschmutzung einsetzt, gegenüber ORF.at, lobt aber, dass die ausgewechselten Lampen nur noch auf den Boden und nicht nach oben strahlen. Zudem merke man Effekte etwa durch Teilnachtabschaltungen. Wien sei aber weißer geworden, so der Astronom und kritisiert einen hohen Blaulichtanteil. Vor allem der hohe Lichtanteil aus dem Werbe- und Eventbereich sei problematisch.

Wien von einem Hügel aus mti Sternen fotografiert
Getty Images/iStockphoto/Amriphoto
Die Lichtglocke von Wien kann bei entsprechenden Bedingungen auch in 200 Kilometer Entfernung gemessen werden

Wiens Lichtglocke weithin sichtbar

Wuchterl führt mit einigen Freiwilligen und der Stadt Wien die Lichtmessungen für die Stadt durch. Er beobachtet eine jährliche Zunahme der Lichtverschmutzung in der Stadt von sechs bis 20 Prozent am Stadtrand. Die Lichtglocke von Städten kann sich weit ausbreiten. Das Licht von Wien könne etwa bei für den Lichttransport optimalen Bedingungen auch noch in einer Entfernung von etwa 200 Kilometern gemessen werden, sagt Wallner.

In Wuchterls letztem Bericht aus dem Jahr 2020 über das Licht in Wien zeigt sich eine Stabilisierung der Werte ab 2018. Konkrete Ursachen dafür kann er nicht nennen. Er geht von einer Kombination mehrerer Effekte wie einer schnelleren Dimmung der Beleuchtung von Supermärkten und Parkplätzen aus. Die Daten aus den vergangenen drei Jahren harren – auch pandemiebedingt – noch ihrer Auswertung.

Nachholbedarf bei Privaten

Auch andere Städte in Österreich haben auf LED-Beleuchtung umgestellt. In Innsbruck etwa werden teilweise auch Sensoren für eine stärkere Anpassung an den Lichtbedarf eingesetzt. „Es ist eine mühsame Arbeit der Sensibilisierung – viel Klinkenputzen bei Bürgermeistern und kommunalen Betreibern“, erzählt Kostenzer, der sich seit rund 20 Jahren gegen Lichtverschmutzung einsetzt. Im öffentlichen Sektor gebe es großes Interesse. Auch im Tourismus sei das Thema Lichtverschmutzung und der Schutz davor angekommen.

„Problematischer ist der private Sektor“, so Kostenzer. Bei Sportplätzen, Einkaufs- und Gewerbezentren gebe es noch Aufholbedarf. Das zeigt sich deutlich am Beispiel Eisenstadt. Große Wirkung in puncto Reduktion der Lichtverschmutzung erzielte die burgenländische Landeshauptstadt bei der Umstellung der Straßenbeleuchtung, so Wallner: „Private sowie Werbe- und Industriebeleuchtung haben die Reduktion inzwischen aber wieder wettgemacht.“