Autos an der Grenze von Kroatien zu Slowenien
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EU-Innenminister

Nur Kroatien wird neuer Schengen-Staat

Der Weg für den Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen ist frei. Darauf verständigten sich die zuständigen Ministerinnen und Minister der 26 Schengen-Staaten am Donnerstag bei einem Treffen in Brüssel. Der ebenfalls anvisierte Beitritt von Rumänien und Bulgarien wurde aber blockiert – maßgeblich von Österreich.

Die Kontrollen an den Landgrenzen Kroatiens zu anderen Schengen-Staaten sollen bereits Anfang des kommenden Jahres wegfallen. An den Flughäfen soll es ab Frühjahr keine Kontrollen mehr geben. Für Touristinnen und Touristen dürfte die Reise in das Land an der Adria also deutlich einfacher werden. Bislang stehen Reisende im Sommer oft stundenlang im Stau, um über die Grenze zu kommen. Kroatien führt Anfang 2023 zudem den Euro als Zahlungsmittel ein.

Die Freude in Kroatien war angesichts der Entscheidung groß. „Auf unserem Weg nach Europa gibt es keine Grenzen mehr“, twitterte Innenminister Davor Bozinovic. Ministerpräsident Andrej Plenkovic befand, vom Wegfall der Grenzkontrollen würden sowohl die Bürgerinnen und Bürger als auch die Wirtschaft Kroatiens profitieren. Ihm zufolge kommen 80 Prozent der Waren und 75 Prozent der ausländischen Gäste aus Schengen-Ländern nach Kroatien.

Analyse zu Österreichs Schengen-Veto

Welche Tragweite das Veto Österreichs hat und warum die Kritik so laut ist, erörtert ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter.

Enttäuschung in Rumänien und Bulgarien

Eine große Enttäuschung mussten dagegen Rumänien und Bulgarien hinnehmen. Ihre Aufnahme in den Schengen-Raum wurde vor allem durch Österreich blockiert. Die derzeitige tschechische Ratspräsidentschaft versuchte zwar noch mit mehreren Kompromissvorschlägen, einen Beschluss für alle drei Länder zu erzielen – letztlich aber erfolglos. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson sprach von einem „Tag der Enttäuschung“.

Die bestehenden Schengen-Mitglieder müssen einer Aufnahme eines weiteren Landes einstimmig zustimmen. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) begründete Österreichs Ablehnung eines Beitritts von Rumänien und Bulgarien mit der hohen Zahl von Asylanträgen in Österreich und forderte weitere Maßnahmen der EU-Kommission.

Gerhard Karner mit dem spanischen Innenminister Fernando Grande-Marlaska
AP/Thierry Monasse
Innenminister Karner blieb bei seinem Nein zu einem Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien

Es habe heuer mehr als 100.000 illegale Grenzübertritte nach Österreich gegeben, davon seien 75.000 nicht registriert gewesen, so der Innenminister vor dem Treffen. Ein weiterer Beweis dafür, dass das System derzeit nicht funktioniere, seien die zahlreichen Kontrollen an den Binnengrenzen im Schengen-Raum. Karner sprach sich für eine Verschiebung der Abstimmung über den Beitritt Bulgariens und Rumäniens aus: „Es ist jetzt die Unzeit dazu, diesen Schritt zu machen.“

Kritik aus Bukarest

Die restlichen EU-Staaten sehen das allerdings anders. Nur in Bezug auf Bulgarien hatten auch die Niederlande Bedenken angemeldet, für Rumänien und Kroatien aber grünes Licht signalisiert. Scharfe Kritik an Österreichs Veto kommt aus den betroffenen Ländern. Rumäniens Regierungschef Nicolae Ciuca (Liberale Partei/PNL) stellte am Donnerstag in einer ersten Reaktion fest, „die Inflexibilität der österreichischen Bundesregierung beim besten Willen nicht nachvollziehen zu können“. Wien habe mit „komplett falschen Zahlen“ argumentiert.

Ciuca sagte, dass Österreich enttäuschenderweise alle vorgeschlagenen Lösungen und Kompromisse abgelehnt habe. Nichtsdestoweniger werde sein Land nicht aufgeben – im Gegenteil, man sei noch motivierter, zumal sich alle anderen EU-Staaten für Rumäniens Schengen-Beitritt ausgesprochen hätten, so Ciuca.

Bulgarien: Veto politisch motiviert

Als politisch motiviert bezeichnete Bulgariens Innenminister Iwan Demerdschiew das Veto Österreichs und der Niederlande gegen den Schengen-Beitritt. „Derzeit wollen wir keine Gegenmaßnahmen ergreifen“, sagte Demerdschiew in Brüssel, nachdem die bulgarische Regierung zuvor damit gedroht hatte.

„Österreich hat signalisiert, dass es kompromissbereit ist“, sagte Demerdschiew. Es gibt Möglichkeiten, die Bulgarien in den Raum gestellt habe, einschließlich gemischter Grenzpatrouillen mit österreichischen Grenzbeamten, so der Innenminister. „Im Gegensatz zu Österreich ist es mit den Niederlanden schwieriger“, sagte er.

„Ich hätte mir heute nicht nur eine andere Entscheidung gewünscht, bei der auch Bulgarien und insbesondere Rumänien mit in den Schengen-Raum aufgenommen würden, sondern es ist eine schwere Enttäuschung“, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Beaerbock (Grüne). „Dass das jetzt aufgrund des österreichischen Vetos und dieser erzwungenen Entscheidung anders gekommen ist, halte ich europapolitisch und geopolitisch für mehr als falsch.“

Nehammer: Entscheidung verschieben

Noch Mittwochabend hatte sich Rumänien erfolglos bemüht, Österreich umzustimmen. Der rumänische EU-Abgeordnete Eugen Tomac meinte nach der EVP-Fraktionssitzung in Wien, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) habe „jedes rationale Argument“ zurückgewiesen, so Tomac. Auch Rumäniens Regierungschef Ciuca hatte versucht, Nehammer in einem Telefonat umzustimmen.

Nur Kroatien wird neuer Schengen-Staat

Der Weg für den Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen ist frei. Österreich und die Niederlande blockieren aber die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien.

Nehammer selbst plädierte Mittwochabend bei einem gemeinsamen Presseauftritt mit dem EVP-Vorsitzenden, Manfred Weber, dafür, die Entscheidung auf den nächsten Herbst zu verschieben. Der Kanzler wiederholte die Argumente, wonach der Schengen-Raum nicht funktioniere. Wenn Österreich als Schengen-Binnenland heuer bereits 75.000 nicht registrierte Migrantinnen und Migranten aufgegriffen habe, sei das eine „Sicherheitsfrage, die wir nicht wegwischen können“, so Nehammer. Zugleich verwies er darauf, dass bei dem Innenministertreffen am Donnerstag auch die Niederlande „nicht zustimmen bei Bulgarien“.

Weber äußerte Verständnis für die Sorgen und Anliegen Österreichs, nicht aber für das Veto. Bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem slowakischen Ministerpräsidenten Eduard Heger sagte Weber am Donnerstag, dass die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien „den gesamten Raum stärken“ werde. Deshalb sei die größte europäische Parteienfamilie, der auch Nehammers ÖVP angehört, für die Erweiterung. Auch Heger hielt fest, dass er die österreichische Blockade für kontraproduktiv halte.

Kritik von SPÖ, NEOS und Karas

Kritik an der Haltung von Nehammer und Karner kam von SPÖ, NEOS und dem grünen Koalitionspartner. Die Regierung habe Österreich ins „europapolitische Aus geschossen“, sagte NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon. Auch Nehammers Parteikollege Othmar Karas (ÖVP), Vizepräsident des EU-Parlaments, sagte, eine Schengen-Blockade trage nichts zur Lösung bei den Asylzahlen bei und habe damit auch nichts direkt zu tun. Beides zu vermischen, sei „unverantwortlich und unsäglich“, so Karas.

Der grüne Europasprecher Michel Reimon verpackte am Donnerstag seine Kritik an der Haltung der ÖVP in Ironie: Im Zentrum Europas stünden „die wichtigsten Wahlen auf dem Kontinent seit mindestens fünf Jahren an“, spielt die Aussendung auf die kommende Landtagswahl in Niederösterreich an. Da zeuge es von geringem politischen Verständnis, die Erweiterung des Schengen-Raumes zum jetzigen Zeitpunkt umsetzen zu wollen. „Wie soll Europa funktionieren, wenn es keine Rücksicht auf jede föderale Struktur nimmt?“, so Reimon ironisch.