Nachtaufnahme des EU-Parlaments in Straßburg
AP/Jean-Francois Badias
Warten auf Konsequenzen

EU-Parlament im Sog von Korruptionsaffäre

Nach Bekanntwerden von schwerwiegenden Korruptionsvorwürfen im EU-Parlament sind am Sonntag vier Verdächtige, darunter laut der französischen Nachrichtenagentur AFP auch die griechische Vizeparlamentspräsidentin Eva Kaili, in Untersuchungshaft genommen worden. Wie es in der Causa weitergeht, bleibt offen. Quer durch alle politischen Lager gibt es aber bereits Rufe nach Konsequenzen – erste könnten bereits am Montag bei der Plenarsitzung in Straßburg folgen.

Im Fokus steht dabei ein von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola für den Nachmittag geplantes informelles Treffen mit den Fraktionsvorsitzenden, bei dem es nach AFP-Informationen „um Kailis Absetzung und weitere Schritte“ gehen soll. Bei einem der vermutlich größten Korruptionsskandale in der Geschichte des EU-Parlaments geht es um Ermittlungen wegen mutmaßlicher Bestechung und Bestechlichkeit, Geldwäsche und versuchter Einflussnahme auf politische Entscheidungen durch ein Golfemirat.

Am Freitag waren Kaili und fünf weitere Verdächtige von belgischen Behörden nach übereinstimmenden Medienberichten festgenommen worden. Bei der Durchsuchung von 16 Häusern seien auch 600.000 Euro Bargeld sichergestellt worden. Vier der Festgenommenen bleiben nun weiter in Haft. Ob sich die Vorwürfe erhärten, bleibt abzuwarten – es gilt die Unschuldsvermutung.

Korruptionsaffäre im EU-Parlament

Im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal im Europaparlament sind am Sonntag vier Verdächtige per Haftbefehl in Untersuchungshaft genommen worden. Mehrere Medien berichteten, dass sich darunter auch die suspendierte Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili befinden soll.

Als Reaktion auf die Festnahme entzog Metsola Kaili bereits am Samstag alle Befugnisse, Pflichten und Aufgaben als eine der 14 stellvertretenden Präsidentinnen und Präsidenten des EU-Parlaments. Über Kailis Absetzung können nur die EU-Parlamentarier gemeinsam entscheiden. Das dürfte aber trotz der erforderlichen Zweidrittelmehrheit wohl nur noch eine Formsache sein.

Vizepräsidentin des EU-Parlaments Eva Kaili
IMAGO/Eurokinissi
Die Abgeordneten des EU-Parlaments könnten bereits am Montag über Kailis Absetzung entscheiden

Visaliberalisierung für Katar wackelt

Da sich Kaili vor allem lobend über Katar geäußert hatte, könnte laut belgischen Medien der Golfstaat hinter den Korruptionsvorwürfen stecken. Das Außenministerium in Katar wies das allerdings scharf zurück. „Jede Verbindung der katarischen Regierung mit den berichteten Vorwürfen ist grundlos und gravierend uninformiert.“ Katar operiere nach den gültigen internationalen Gesetzen und Regeln.

Dennoch könnte der Vorfall Auswirkungen auf das Land haben. Konkret sprachen sich Vertreter mehrerer EU-Parlamentsfraktionen am Sonntag dafür aus, die Verhandlungen über Visaerleichterungen für Bürgerinnen und Bürger des Emirats, die eigentlich am Montag beginnen sollten, aufzuschieben.

„Wenn das Europaparlament möglicherweise mit Geld von Kräften aus dem Ausland beeinflusst wurde, muss man das Verfahren im Parlament erst einmal stoppen“, forderte etwa der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe bei der konservativen EVP-Fraktion im EP, Daniel Caspary. „In dieser Situation kann es natürlich keine Visaliberalisierung für Katar geben“, sagte der deutsche Grünen-EP-Abgeordnete Erik Marquardt: „Die geplante Abstimmung darüber wird entweder in den Innenausschuss zurücküberwiesen, um die richtigen Konsequenzen zu ziehen, oder wir stimmen als Parlament gegen die Visaliberalisierung.“

Katar-Reise abgesagt

Ein Sprecher des EU-Parlaments bestätigte laut AFP am Sonntag zudem, dass eine geplante Katar-Reise von Europaabgeordneten des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten „wegen der derzeitigen Umstände“ abgesagt werde. In zwei Wochen hätte eine Gruppe von Abgeordneten nach Katar und Saudi-Arabien reisen sollen. Die Reise nach Saudi-Arabien soll wie geplant stattfinden.

„Sehr ernst“

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte dem italienischen Fernsehsender Rai 3, dass der Fall „sehr ernst“ zu sein scheine. „Wenn sich bestätigen sollte, dass jemand Geld genommen hat, um die Meinung des Europäischen Parlaments zu beeinflussen, wäre das wirklich eine der dramatischsten Korruptionsgeschichten der letzten Jahre.“

Mit Blick auf Kaili sagte die deutsche EU-Parlamentsvizepräsidentin Katarina Barley gegenüber Reuters: „Die sozialdemokratische EP-Fraktion hat sie bereits suspendiert und wird auch ihre Abwahl als Parlamentsvizepräsidentin beantragen.“ Laut Barley gehe es „um einen offenbar kriminellen Einzelfall“, den man nie ausschließen könne.

Unter anderem sagte auch der österreichische EP-Vizepräsident Othmar Karas (ÖVP), dass Kaili ihr Amt entzogen werden solle. ÖVP-Delegationsleiterin Angelika Winzig stellte sogar den Abgeordnetensitz der Griechin zur Disposition. „Sollten sich die Anschuldigungen bewahrheiten, darf sie auch nicht weiter als Abgeordnete des Hauses tätig sein“, teilte Winzig am Sonntag mit.

Schaidreiter (ORF) zu Verhaftungen

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter spricht unter anderem über die Verhaftung von Eva Kaili, und wie diese abgelaufen ist. Des Weiteren berichtet sie über die am Montag startende Plenarwoche, und wie man dort auf das Ereignis reagieren wird.

Belgische Sozialdemokraten laden Abgeordneten vor

Caspary forderte zuvor von den Sozialisten schließlich auch Aufklärung darüber, ob noch weitere Abgeordnete oder Mitarbeiter der Fraktion betroffen sein könnten bzw. wer möglicherweise Kenntnis von den im Raum stehenden Korruptionsvorwürfen hatte.

In Belgien hat die Sozialistische Partei (PS) in Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal im Europaparlament bereits ihren Europaabgeordneten Marc Tarabella vor ein parteiinternes Gremium zitiert. Der Europaabgeordnete werde in den kommenden Tagen angehört, wie die Partei am Sonntag via Twitter mitteilte.

Die belgische Staatsanwaltschaft hatte zuvor mitgeteilt, dass in dem Korruptionskomplex um das Europaparlament am Samstagabend das Haus eines weiteren Abgeordneten durchsucht worden sei, jedoch keinen Namen genannt. Medienberichten zufolge handelt es sich um Tarabella. Dieser beteuerte in einer ersten Reaktion gegenüber der Nachrichtenagentur Belga, er habe „absolut nichts zu verbergen“.

Borell: Keine Hinweise auf Diplomatenbeteiligung

Nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell gibt es bisher keine Hinweise auf eine Verwicklung von EU-Diplomaten in den Korruptionsskandal. „Wir sind davon nicht betroffen“, sagte der Spanier am Montag am Rande eines Treffens der Außenminister der Mitgliedsstaaten in Brüssel.

Niemand aus dem Auswärtigen Dienst oder den EU-Vertretungen im Ausland werde im Zusammenhang mit den Geschehnissen genannt, so Borrell. Auf die Frage, ob der Skandal Auswirkungen auf die Beziehungen der EU zu Katar haben werde, sagte Borrell, er müsse auf Grundlage eindeutiger Beweise handeln. Derzeit laufe ein Verfahren, und er könne nicht weiter gehen als die Justizbehörden. Über die Vorwürfe an sich zeigte sich Borrell allerdings bestürzt. „Die Nachrichten sind sehr, sehr besorgniserregend“, sagte er.