Ausweichquartier des Österreichischen Parlaments am Wiener Heldenplatz
ORF.at/Roland Winkler
„Anderes“ Parlament

Rekorde und Premieren in fünf Jahren

Mehr als fünf Jahre lang haben der Nationalrat und der Bundesrat wegen der Sanierung des historischen Parlaments in der Hofburg getagt. Während dieser Zeit registrierte die Parlamentsdirektion viele Rekorde und Premieren. Mit ihnen lassen sich die vergangenen Politjahre detailliert nacherzählen.

Wenn das historische Parlament kommende Woche mit einem Festakt nach mehr als fünf Jahren seine Tore wieder öffnet, ist es für die meisten Abgeordneten und Mitglieder des Bundesrats allerdings keine Rückkehr, sondern ein neuer Arbeitsplatz. „Nur“ 75 der aktuellen 183 Abgeordneten arbeiteten schon einmal im Gebäude an der Ringstraße. Die restlichen 108 Personen erhielten ihr Mandat während der Zeit im Ausweichquartier. Von den 61 Bundesräten und Bundesrätinnen kennt nur knapp ein Fünftel das historische Parlament als Arbeitsplatz.

Das Ausweichquartier in der Hofburg war hingegen für alle eine ganz neue Erfahrung: Denn es war das erste Mal seit 1918, dass Gesetze außerhalb des Hohen Hauses beschlossen wurden. Begonnen hat die „Übergangszeit“ in der Hofburg im September 2017, geendet im Dezember 2022. Die Nationalratsabgeordneten, Bundesratsmitglieder und die Beschäftigten im Parlament blicken auf ereignisreiche Jahre zurück.

Viele Sitzungen, viele Beschlüsse

2020 wurden etwa die meisten Plenarsitzungen des Nationalrats in einem Kalenderjahr abgehalten. Insgesamt kamen die Abgeordneten 68-mal zusammen, was freilich auch mit der Coronavirus-Gesetzgebung zusammenhing. Ein Jahr später fasste der Nationalrat 223 Gesetzesbeschlüsse, so viele wie noch nie zuvor in einem Jahr. Auch hier war die Pandemie ein wesentlicher Treiber.

Innenansicht des Ausweichquartiers des Österreichischen Parlaments
ORF.at/Roland WInkler
Der Große Redoutensaal wurde die neue Heimat für die öffentliche Seite der Gesetzgebung

Im selben Jahr wurden auch die meisten schriftlichen Anfragen (4.467) an Mitglieder der Bundesregierung gestellt. Insgesamt wurden in den mehr als fünf Jahren 17.873 schriftliche Anfragen gestellt, die meisten stammten dabei vom Klub der FPÖ (6.787).

Der Bundesrat stellte 2021 mit fünf Sondersitzungen ebenfalls einen Rekord auf. Eine davon behandelte etwa die Coronavirus-Situation, eine andere die Regierungsumbildung nach dem Rückzug von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Herbst 2021.

„Hofburg-Zeit“

Die erste Sitzung des Nationalrats im Ausweichquartier fand am 20. September 2017 statt, die letzte am 15. Dezember 2022. Der Bundesrat tagte erstmals am 5. Oktober 2017 in der Hofburg, das letzte Mal am 21. Dezember 2022.

Erste Kanzlerin und nur 96 Abgeordnete

Neben den Rekorden gab es auch einige Premieren: Erstmals wurde ein Misstrauensantrag gegen die gesamte Bundesregierung angenommen. Mit Brigitte Bierlein hatte erstmals eine Bundeskanzlerin eine Regierungserklärung im Nationalrat abgegeben. „In diesem Hohen Haus als erste Bundeskanzlerin zu sprechen stand nicht in meiner Lebensplanung“, sagte die frühere Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs.

Während der fünf Jahre dürfen auch die – zumeist coronavirusbedingten – Besonderheiten nicht vergessen werden: So tagte der Nationalrat teilweise in reduzierter Zusammensetzung – statt 183 Abgeordneten waren nur 96 „zugelassen“. Damit gab man Klubs noch einen Puffer für mögliche Verfassungsgesetze, bei denen ja mindestens 92 Mandatare anwesend sein müssen.

TV-Hinweise

ORF III zeigt am Dienstag um 20.15 Uhr die Dokumentation „Ein Ringstraßenbau in neuem Glanz“ und am 14. Jänner um 20.15 Uhr die Dokumentation „Säule der Demokratie – Geschichte des Parlaments“.

Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik fanden Sitzungen beider Kammern am selben Tag statt: Am 15. März 2020 beschloss der Nationalrat zu Mittag unter anderem das CoV-Maßnahmengesetz, kurze Zeit später winkte der Bundesrat den Beschluss durch. Manchmal kam es auch vor, dass Abgeordnete von der Galerie aus die Debatte beobachten mussten. Damit wollte man die Sitzordnung lockern.

Mehr Anträge über Abgeordnete eingebracht

Die Parlamentsdirektion erstellte eine Zahlenbilanz der vergangenen fünf Jahre und drei Monate in der Hofburg. Insgesamt fanden 287 Nationalrats- und 78 Bundesratssitzungen statt. Die Abgeordneten debattierten 1.480 Stunden und 35 Minuten lang, die Mitglieder des Bundesrats 650 Stunden und 43 Minuten. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurden in insgesamt 1.824 Fachausschusssitzungen die eingelangten Gesetzesvorschläge beraten.

Grafik zu Beschlüssen im Nationalrat
Grafik: ORF.at; Quelle: Parlament

In Dritter Lesung wurden von September 2017 bis Dezember vergangenen Jahres 842 Gesetzesbeschlüsse gefasst. Seit 2019 geht laut Daten des Parlaments die überwiegende Zahl der Beschlüsse auf Initiativanträge von Abgeordneten und nicht mehr auf Regierungsvorlagen zurück (eine eher kleine Rolle spielen seit jeher Ausschussanträge).

2020 und 2021 dominierten die CoV-Gesetze, 2022 kamen Maßnahmen hinzu, um die Inflation abzufedern. Initiativanträge können in der Regel schneller beschlossen werden als Regierungsvorlagen.

Vergessen darf hierbei nicht werden, dass 2019 die Bierlein-Regierung selbst keine Akzente setzte, aber der Nationalrat mit unterschiedlichen Mehrheiten vor der Wahl selbst noch einige Beschlüsse fasste. Das war auch deshalb möglich, weil es wegen des erfolgreichen Misstrauensantrags gegen die Regierung unter Kurz kein Koalition-Opposition-Schema im Parlament gab (Stichwort freies Spiel der Kräfte).

Damalige Regierung verlässt Parlament, 27.5.2019
APA/Roland Schlager
Nach dem Misstrauensvotum 2019 verließ die Regierung das Parlament

35 Misstrauensanträge, fünf Untersuchungsausschüsse

Apropos Misstrauensanträge: Davon gab es 35 im Ausweichquartier des Parlaments. Von diesen war eben jener gegen die ganze Regierung vom 27. Mai 2019 erfolgreich, 31 wurden hingegen abgelehnt. Zwei landeten im Verfassungsausschuss und einer war hinfällig geworden, weil dem damaligen Bundeskanzler Kurz bereits das Vertrauen entzogen wurde.

Insgesamt fünf Untersuchungsausschüsse tagten im Ausweichquartier: zwei Eurofighter-U-Ausschüsse, wobei beim ersten keine Befragungen mehr stattfanden, und ein BVT-, ein „Ibiza“- und ein ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss. In 179 Sitzungen wurden 359 Befragungen mit 329 Auskunftspersonen gepackt. Gedauert haben die Sitzungen der parlamentarischen Kontrolle 1.366 Stunden und 44 Minuten.