Menschen bei einer U-Bahn-Station in London
Reuters/Henry Nicholls
Drei Jahre nach Brexit

Schlechte Aussichten für britische Wirtschaft

Vor genau drei Jahren hat Großbritannien auf eigenen Wunsch die EU verlassen. Immer noch kämpft London mit den wirtschaftlichen Folgen: Pünktlich zum Jahrestag am Dienstag gab der Internationale Währungsfonds (IWF) einen düsteren Ausblick. Als einziges G-7-Land werde die Wirtschaft Großbritanniens heuer schrumpfen, heißt es in einer Prognose, selbst Russland schnitt besser ab. Neben Kritik wurden zuletzt auch Rufe nach einer Rückkehr in die EU lauter.

Anders als in vielen anderen Teilen der Welt werde die britische Wirtschaft in diesem Jahr nicht wachsen, sondern um 0,6 Prozent schrumpfen, heißt es in der IWF-Prognose. Dabei wurde das Ergebnis nach unten korrigiert, zuletzt wurde noch Wachstum erwartet, schreibt die BBC. Das Land bildet das Schlusslicht in der Konjunkturprognose für die G-7-Staaten 2023 und schneidet selbst schlechter ab als das wegen seines Angriffskriegs gegen die Ukraine mit Sanktionen belegte Russland.

Hintergrund für die düsteren Aussichten seien die Steuerpolitik der Regierung, die straffere Geldpolitik der Zentralbank und noch immer hohe Energiepreise, die den Geldbeutel der Haushalte belasteten, erklärte der IWF. Der Brexit wird zwar nicht wörtlich erwähnt. Doch Fachleuten zufolge sind es in nicht unerheblichem Maße Brexit-Folgen, die der Konjunktur zu schaffen machen.

Ökonomen: „Akt der wirtschaftlichen Selbstbeschädigung“

So sei die Wachstumsschwäche vor allem auf den Mangel an Arbeitskräften zurückzuführen, sagte der Direktor des Institute for Fiscal Studies, Paul Johnson, der BBC. Auslöser dafür sei unter anderem der Brexit gewesen, der die Einwanderung aus der EU erheblich erschwere. Der EU-Austritt habe aber auch andere Probleme gebracht, die das Wirtschaftswachstum hemmten. Unter anderem leide die Konjunktur unter der politischen Instabilität.

Ursula von der Leyen und Boris Johnson
Reuters/Olivier Hoslet
Unter dem ehemaligen Premier Boris Johnson wurde der Austritt aus der EU fixiert

Und der Finanznachrichtendienst Bloomberg schreibt in einer Analyse, der Brexit koste die britische Wirtschaft jährlich 100 Milliarden Pfund (rund 114 Mrd. Euro). Die Ökonomin Ana Andrade und der Ökonom Dan Hanson gehen davon aus, dass die Wirtschaft um vier Prozent kleiner ist, „als sie hätte sein können“, so Bloomberg. „Hat Großbritannien einen Akt der wirtschaftlichen Selbstbeschädigung begangen, als es 2016 für den Austritt aus der EU stimmte? Die bisherigen Anzeichen deuten weiter darauf hin, dass es das tat“, so Hanson und Andrade.

Sunak verweist auf „große Fortschritte“

Die triste Prognose dürfte den ohnehin bereits großen Druck auf Großbritanniens Premier Rishi Sunak noch erhöhen. Anlässlich des Brexit-Jahrestages sagte er, dass man „große Fortschritte“ gemacht habe, die „durch den Brexit gewonnenen Freiheiten zu nutzen“. Er führte etwa die schnellste Einführung von Impfstoffen in Europa an und verwies auf Handelsabkommen mit 70 Ländern. Nach hundert Tagen im Amt habe diese „Dynamik nicht nachgelassen“.

Rishi Sunak
Reuters/Toby Melville
Der britische Premier Sunak ist erst seit hundert Tagen im Amt, doch schon von Beginn an unter Druck

Nicht angesprochen hat er dabei aber die anhaltenden Probleme mit der Grenze zu Irland, die auch die Beziehung mit der EU belasten. „Wenn man mit seinem größten Handelspartner Handels-, Investitions- und Migrationsbarrieren aufbaut, dann werden das Handelsvolumen, die Investitionen und das Bruttoinlandsprodukt ziemlich stark beeinträchtigt“, sagte John Springford vom Londoner Thinktank Centre for European Reform gegenüber Reuters.

Hunt: „Nicht immun gegen Druck“

Finanzminister Jeremy Hunt sagte zu der IWF-Prognose: „Der Gouverneur der Bank of England hat kürzlich gesagt, dass eine etwaige Rezession in Großbritannien heuer wahrscheinlich geringer ausfallen wird als bisher angenommen, aber diese Zahlen bestätigen, dass wir nicht immun sind gegen den Druck, der auf fast allen hoch entwickelten Volkswirtschaften lastet.“

Und er verweist auch darauf, dass für die Zeit nach 2023 mit wirtschaftlichem Wachstum gerechnet wird. „Kurzfristige Schwierigkeiten sollten unsere langfristigen Aussichten nicht trüben – das Vereinigte Königreich hat im vergangenen Jahr viele Prognosen übertroffen, und wenn wir an unserem Plan festhalten, die Inflation zu halbieren, wird Großbritannien in den kommenden Jahren voraussichtlich immer noch schneller wachsen als Deutschland und Japan“, so Hunt.

Auf den Brexit folgt „Bregret“

In der Bevölkerung gibt es sieben Jahre nach dem ursprünglichen Votum und drei Jahre nach dem endgültigen Ausscheiden aus der EU Skepsis, was den Brexit anbelangt. Umfragen zeigen, dass ein wesentlicher Teil der Britinnen und Briten den Ausstieg als Fehler bezeichnen würde, auch ein Wiedereintritt wird von vielen befürwortet. Selbst der konservative „Telegraph“ schreibt, es gebe „ein wachsendes Gefühl von ‚Bregret‘ (Brexit und regret, engl. für Bedauern, Anm.), das sich in Großbritannien breitmacht“, und fragte anlässlich des Jahrestages: „Gibt es wirklich viel Grund zum Feiern?“

Lkw-Stau vor dem Hafen von Dover
Reuters/Henry Nicholls
Lkw-Kolonnen waren nur eine der sichtbaren Auswirkungen des Brexits

Eine Rückkehr Großbritanniens in die EU ist nach Einschätzung des britischen Politikwissenschaftlers Anand Menon in den kommenden 15 Jahren ohnehin ausgeschlossen. Er sehe keine Chance, sagte der Leiter des Londoner Thinktanks UK in a Changing Europe der dpa.

Das würde sich auch durch einen Richtungswechsel in der britischen Innenpolitik nicht ändern. Zwar liegt Labour-Chef Keir Starmer in Umfragen vor den konservativen Torys. Einen Rückzieher vom EU-Rückzieher plant er aber zumindest momentan nicht – stattdessen will er bei den mit der EU verhandelten Konditionen nachbessern. Und auch der amtierende Premier Sunak wird, auch wenn das positive Auswirkungen auf die Wirtschaft haben könnte, keinen Kurswechsel Richtung Europa vollziehen. Dazu ist der Flügel der Brexit-Anhänger in der eigenen Partei zu mächtig – und könnte nur zu einem weiteren Wechsel an der Position des Premiers führen.