Yevgeny Prigozhin
AP/Alexander Zemlianichenko
Streit in Moskau

Wagner-Chef legt gegen Armeeführung nach

Der Gründer und Chef der russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, legt im Streit mit dem Verteidigungsministerium und der Armeespitze nach. Am Mittwoch veröffentlichte Prigoschin ein Foto, das nach seinen Angaben die Leichen Dutzender seiner Kämpfer zeigt. Sie seien getötet worden, weil ihnen die Munition entzogen worden sei, erklärte Prigoschin dazu.

Zu sehen waren Leichen, die in der Ostukraine ausgestreckt auf dem gefrorenen Boden liegen. Dort sind Wagner-Einheiten seit Monaten im erbitterten Kampf um die Stadt Bachmut im Einsatz. „Das ist einer der Orte, an denen die Leichen der Verstorbenen gesammelt werden“, sagte Prigoschin in einem Interview mit einem bekannten russischen Militärblogger.

„Das sind Kerle, die gestern am Hunger nach Munition gestorben sind. Mütter, Ehefrauen und Kinder werden ihre Leichen bekommen. Es sollte nur ein Fünftel von ihnen sein. Wer ist schuld daran, dass sie gestorben sind? Die Schuldigen sind diejenigen, die die Frage hätten klären sollen, wie wir genug Munition bekommen.“

Fehlende Unterschriften für Munitionslieferungen

Zudem veröffentlichte Prigoschin die Kopie einer offiziellen Wagner-Anfrage für Munition an das Verteidigungsministerium. Genannt sind darin detaillierte Listen von verwendeten, angeforderten und erhaltenen Granaten. „Sie geben uns noch immer keine Munition“, sagte Prigoschin. „Es wurden keine Schritte unternommen, uns Munition zu geben.“

Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow, der Oberbefehlshaber des Einsatzes in der Ukraine, hielten ihre Unterschriften auf den Genehmigungen für Munitionslieferungen zurück, sagte Prigoschin. Trotz des Mangels an Munition würden seine Wagner-Söldner weiterhin versuchen, Bachmut einzunehmen. „Es werden doppelt so viele von uns sterben, bis keiner von uns mehr übrig ist“, sagte er. „Und wenn von Wagner alle tot sind, dann müssen Schoigu und Gerassimow wahrscheinlich selber zur Waffe greifen.“

Aufruf an Bevölkerung

Prigoschin rief seine Landsleute auf, ihn in seiner Forderung nach Munition zu unterstützen und Druck auf die Armee auszuüben. „Wenn jeder Russe (…) einfach nur sagen würde: ‚Gebt Wagner Munition‘, (…) dann wäre das schon sehr bedeutend“, sagte er in einer am Mittwoch veröffentlichten Tonaufnahme.

Prigoschin forderte Russen, „vom Fahrer bis zur Flugbegleiterin“ auf, Munition für die Wagner-Söldner zu verlangen und sagte, entsprechende Forderungen würden im Internet bereits verbreitet. „Wir werden sie kleinkriegen und sie dazu bringen, mit dem Quatsch aufzuhören“, sagte Prigoschin. Es gebe genügend Geschoße, „aber karrieregeile Politiker, Dreckskerle, Mistviecher müssen erst ihre Unterschrift leisten“, damit diese geliefert würden, schimpfte er in der Audiobotschaft.

Attacke gegen Minister schon am Dienstag

Erst am Dienstag hatte er Schoigu und Gerassimow Hochverrat vorgeworfen, weil sie absichtlich den Wagner-Einheiten keine Munition zukommen ließen und ihnen auch beim Lufttransport Hilfe verweigerten. „Es gibt einfach eine direkte Opposition“, hatte Prigoschin in einer auf Telegram veröffentlichten Sprachnachricht gesagt. „Das ist Hochverrat gleichzusetzen.“ Das Verteidigungsministerium hatte darauf am Dienstagabend reagiert und die Anschuldigungen als komplett unwahr bezeichnet.

Schoigu steht loyal zu Präsident Wladimir Putin und ist ein enger Verbündeter. In Gerassimow, der erst im Jänner den Oberbefehl über den Ukraine-Einsatz erhielt, hat Schoigu einen engen Vertrauten. Beide haben öffentlich nicht auf die Anschuldigungen des Söldnerchefs reagiert, der ihnen bereits zuvor mehrmals Inkompetenz vorgeworfen und sich wiederholt beklagt hatte, die Leistungen seiner Söldnertruppe, die weitgehend unabhängig vom russischen Militärkommando agiert, würden nicht ausreichend gewürdigt.

Kein Draht mehr zu Putin?

Für die Söldnertruppe hatte Prigoschin ab dem Herbst 2022 auch Gefangene aus ganz Russland rekrutiert und ihnen im Gegenzug Amnestie versprochen. Prigoschins zunehmend häufigere und heftigere öffentliche Äußerungen in jüngster Zeit wertete die Politologin Tatjana Stanowaja als Hinweis darauf, dass der Söldnerchef „keinen direkten Zugang“ zu Präsident Putin mehr hat: „Das ist ein Akt der Verzweiflung und ein Versuch, über die Öffentlichkeit Kontakt aufzunehmen und die Militärführung aufzuschrecken“, sagte sie.