Ukrainische Flagge vor beschädigtem Wohnhaus in Borodianka
Reuters/Gleb Garanich
Waffenstillstand

Skepsis gegenüber Chinas Ukraine-Plan

China hat zu einem Waffenstillstand im Ukraine-Krieg aufgerufen. In einem mit Spannung erwarteten Positionspapier, veröffentlicht am Freitag zum Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine, wird eine baldige Wiederaufnahme von Verhandlungen gefordert. NATO und EU reagierten zurückhaltend auf Chinas Initiative, auch da China wiederholt auf der Seite Russlands Partei ergriffen habe.

„Dialog und Verhandlungen sind die einzig machbare Lösung für die Ukraine-Krise“, heißt es in dem Papier. „Alle Parteien sollten Russland und die Ukraine unterstützen, in die gleiche Richtung zu arbeiten und letztlich einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen“, heißt es in dem vom Außenministerium veröffentlichten Papier.

„Alle Parteien müssen rational bleiben, Zurückhaltung üben, vermeiden, die Flammen anzufachen, und verhindern, dass sich die Krise weiter verschlechtert oder sogar außer Kontrolle gerät.“ Mit dieser Argumentation wendet sich China gemeinhin immer gegen Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine.

Selenskyj sieht in Initiative keinen Friedensplan

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht in Chinas Initiative keinen echten Friedensplan. Es sei aber schon „nicht schlecht“, dass China angefangen habe, über die Ukraine zu sprechen, sagte Selenskyj. Wichtig sei, dass die territoriale Unversehrtheit von Staaten und die atomare Sicherheit zum Thema gemacht würden.

„Es gibt ein paar Punkte, die ich verstehe. Es gibt Gedanken, mit denen ich nicht übereinstimme, mit denen die ganze Welt nicht einverstanden ist. Aber trotzdem ist es schon einmal etwas.“ Details nannte er nicht. Das Papier sei eine Grundlage. „Unsere Aufgabe ist es, alle zu versammeln, um den einen (Russland, Anm.) zu isolieren“, sagte Selenskyj.

Von der Leyen: Nur Reihe von Grundsätzen

NATO und EU reagierten zurückhaltend auf Chinas Initiative. „China hat nicht viel Glaubwürdigkeit, weil es nicht in der Lage war, die illegale Invasion in der Ukraine zu verurteilen“, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor Journalisten in Estland. Schließlich habe China nur Tage vor dem Einmarsch russischer Truppen eine Vereinbarung mit Russland unterzeichnet.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte, dass die Volksrepublik mit dem Freundschaftsvertrag mit Russland Partei ergriffen habe. Der Vorstoß Chinas werde geprüft, aber eben vor diesem Hintergrund. Bei der Initiative handle es sich nicht um einen Friedensplan, sondern um eine Reihe von Grundsätzen, so von der Leyen.

Chinas Position laut EU mit „falschem Fokus“

Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte in Brüssel, Chinas Position beruhe auf einem falschen Fokus auf den „legitimen Sicherheitsinteressen“ der Parteien, die eine Rechtfertigung der illegalen Invasion Russlands implizierten. Zwar betone das Papier bestimmte Grundsätze der UNO-Charta, sei mit Blick auf ihre Auswirkungen auf den Krieg jedoch selektiv und unzureichend.

Jeder bedeutsame Friedensvorschlag müsse mit der gesamten UNO-Charta vereinbar sein. „In dem Positionspapier wird nicht berücksichtigt, wer der Aggressor und wer das Opfer eines illegalen, ungerechtfertigten Angriffskrieges ist“, sagte die Sprecherin.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell relativierte die Bedeutung des chinesischen Vorstoßes für Frieden in der Ukraine. „Ich würde es nicht als Friedensplan bezeichnen. Tatsächlich ist es kein Friedensplan, sondern ein Positionspapier, in dem China alle seine Positionen zusammengestellt hat“, sagte Borrell am Freitag vor der UNO-Sicherheitsratssitzung in New York zum Jahrestag des russischen Einmarsches. Dennoch gebe es in dem Papier interessante Beobachtungen. Borrell forderte China auf, auch mit der Ukraine über seine Absichten zu sprechen.

Weder USA noch NATO namentlich genannt

Zu Beginn des Papiers fordert China, dass die Grundsätze der Vereinten Nationen streng beachtet werden müssten. „Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Länder muss wirksam aufrechterhalten werden.“

Dass sich Russland dafür zurückziehen müsste oder was mit russisch besetzten Gebieten geschehen soll, wird allerdings nicht thematisiert. Das Dokument bekräftigt, dass die „legitimen Sicherheitsinteressen aller Länder ernst genommen“ werden müssten. Dahinter sehen Diplomaten einen Hinweis auf Russlands Argumentation, sich gegen die USA und die NATO verteidigen zu müssen.

Die „Mentalität des Kalten Krieges“ müsse beendet werden, fordert China. Die Sicherheit eines Landes sollte nicht auf Kosten anderer gehen. „Block-Konfrontation“ müsse vermieden werden, heißt es – ein Vorwurf, den China meist gegen die USA erhebt. Ohne die NATO namentlich zu nennen, postuliert das Papier, die Sicherheit einer Region sollte nicht durch die Stärkung oder Ausweitung militärischer Blöcke erreicht werden.

Gegen Atomwaffeneinsatz und Sanktionen

„Atomwaffen dürfen nicht eingesetzt werden, und Atomkriege dürfen nicht ausgefochten werden.“ Auch die Drohung mit dem Einsatz nuklearer Waffen sei abzulehnen – eine Formulierung, die sich indirekt gegen Moskau richten könnte. Entschieden fordert China zugleich ein Ende der Sanktionen gegen Russland, „die nur neue Probleme schaffen“. China lehnt einseitige Sanktionen ab, die nicht vom UNO-Sicherheitsrat autorisiert sind. In dem höchsten UNO-Gremium sitzen Russland und China als Vetomächte.

China als Friedensvermittler?

ORF-Korrespondent Josef Dollinger berichtet aus Peking über Chinas Rolle als möglicher Vermittler im russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

Das Dokument ist als „Position Chinas zur politischen Lösung der Ukraine-Krise“ überschrieben. Diplomaten in Peking waren allerdings vorsichtig, die Vorschläge als „neue Friedensinitiative“ oder „Friedensplan“ zu beschreiben. Es wurde auf die Nähe Chinas zu Russland verwiesen. Seit Beginn der Invasion hat China dem russischen Präsidenten Wladimir Putin immer Rückendeckung gegeben und die USA und die NATO als eigentliche Verursacher der Krise beschrieben.

Keine Vermittlermission Chinas

Eine Journalistenfrage, warum Russland nicht aufgerufen wird, seine Truppen zurückzuziehen, beantwortete Außenamtssprecher Wang Wenbin nicht. Eine Vermittlungsmission stellte er auch nicht in Aussicht. Er sprach nur von „einer konstruktiven Rolle“ Chinas, das von dem Positionspapier ausgehend mit dem Rest der Welt zusammenarbeiten wolle.

Experten sahen in dem Papier eher den Versuch Chinas, sein – wegen der Unterstützung Russlands – ramponiertes Image zu reparieren. „Wir stehen für Frieden und Dialog auf der richtigen Seite der Geschichte“, sagte der Außenamtssprecher denn auch.

Experte: Nichts Neues

In dem Papier stehe nichts Neues, sagte der China-Experte Manoj Kewalramani von der US-Denkfabrik Center for Strategic International Studies (CSIS). Die zwölf Punkte seien Teil bekannter chinesischer Positionen. China betrachte den Konflikt „als Produkt einer, wie es sagt, Mentalität des Kalten Krieges und einer veralteten europäischen Sicherheitsarchitektur“.

Es scheine in Peking auch sehr wenig Interesse zu geben, in irgendeine Art von Friedensprozess eingebunden zu werden. „Das Dokument deutet an, dass Peking möchte, dass sich Friedensgespräche lieber um eine neue europäische Sicherheitsarchitektur drehen als um den Krieg selbst.“