Olaf Scholz und Narendra Modi
Reuters/Adnan Abidi
Ukraine-Krieg

Scholz auf heiklem Besuch in Indien

Indien steht nach Worten von Premierminister Narendra Modi mit Blick auf den Ukraine-Krieg bereit, „einen Beitrag zu jeglichen Friedensbemühungen zu leisten“. Indien habe seit Kriegsbeginn vor einem Jahr zu einer Lösung durch Dialog und Diplomatie aufgerufen, sagte Modi nach einem Treffen mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Samstag in Neu-Delhi. Der Besuch von Scholz ist heikel, gilt doch Indien als russlandfreundlich – aus mehreren Gründen.

Der deutsche Botschafter in Neu-Delhi, Philipp Ackermann, hatte im Vorfeld des Besuchs von Scholz erklärt, Indien könne ein geeigneter Kandidat für das Finden einer Lösung im Ukraine-Krieg sein – jedoch nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Indien nimmt in Bezug auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eine neutrale Haltung ein und trägt westliche Sanktionen nicht mit.

Das Land mit der weltweit zweitgrößten Bevölkerung hat gute Beziehungen zu westlichen Ländern und zu Russland. Scholz forderte bei seinem Indien-Besuch eine klare Haltung zum russischen Angriffskrieg. „Die Welt leidet unter dieser Aggression“, sagte Scholz nach einem Treffen mit Modi weiter. Der Krieg sei auch „vor allem eine große Katastrophe“, weil Russland den internationalen Grundsatz verletzt habe, „dass man nämlich nicht mit Gewalt Grenzen verschiebt“.

Der indische Premierminister Narendra Modi
APA/AFP/Sajjad Hussain
Der indische Premier Modi

Indien enthielt sich wieder bei UNO-Abstimmung

Revisionismus dürfe nicht die Grundlage des Handelns von Staaten sein, betonte Scholz. „Und insofern ist es sehr wichtig, dass wir auch in den Vereinten Nationen immer wieder ganz klare Feststellungen zu diesem Thema gefunden haben“, so der deutsche Kanzler weiter. Am Donnerstag enthielt sich Indien erneut bei einer Abstimmung der UNO-Vollversammlung über eine Resolution, die den Abzug der russischen Truppen forderte. 141 der 193 UNO-Mitgliedsstaaten stimmten für den Text.

Zusammenfassung statt G-20-Abschlusserklärung

Indien hat in diesem Jahr den Vorsitz in der G-20, einer Gruppe führender Wirtschaftsmächte. Die Finanzminister der führenden Industrie- und Schwellenländer konnten sich bei ihrem Treffen im indischen Bengaluru nicht auf ein gemeinsames Abschlussstatement verständigen. Stattdessen veröffentlichte Indien am Samstag eine eigene Zusammenfassung zum Ministertreffen. Nach Angaben aus Verhandlungskreisen verhinderten China und Russland eine Einigung auf ein gemeinsames Dokument. Differenzen hatte es in zwei Punkten gegeben: Bei der Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine als Krieg und bei einem Paragrafen zu Schuldenerleichterungen für arme Länder.

Die Finanzminister rangen zudem darum, ob das Wort „Krieg“ ins Abschlussdokument aufgenommen werden sollte. Deutschland und Frankreich machten klar, dass sie keine Formulierung dulden wollten, die hinter der Aussage der Staats- und Regierungschefs beim Gipfel 2022 auf Bali zurückbleibt. Dort hatte die G-20 formuliert: „Die meisten Mitglieder verurteilten den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste.“ Für gewöhnlich werden nach einem G-20-Treffen gemeinsame Bewertungen und Ziele in einem Abschlussstatement festgehalten. Seit dem Ukraine-Krieg stocken die Gespräche aber immer wieder, weil auch Russland Mitglied der Gruppe der 20 ist.

Laut Indien verurteilten die meisten Mitglieder der Staatengruppe aber den Krieg in der Ukraine und forderten erneut einen Abzug der russischen Truppen. Russland und China hätten im Gegensatz zu den übrigen Mitgliedern einer entsprechenden Erklärung nicht zugestimmt, teilte Indien zum Ende des G-20-Finanzministertreffens mit.

Delhi soll aus enger Bindung mit Moskau gelöst werden

Scholz will unterdessen die wirtschaftlichen und strategischen Beziehungen zu Indien ausbauen – um eigene Abhängigkeiten von China zu verringern, aber auch, um Indien aus seiner engen Bindung an Russland zu lösen. Er will bei seinem ersten Besuch auf dem Subkontinent als deutscher Kanzler aber auch nicht belehrend daherkommen, hieß es.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz
Reuters/Adnan Abidi
Der deutsche Kanzler Scholz legt einen Kranz bei dem Mahatma Gandhi Memorial nieder

„Die Investitionen sollen ausgebaut, die Zahl der Beschäftigten soll massiv erhöht werden“, sagte Scholz. Zudem müssten die Handelsbeziehungen zwischen der EU und Indien verstärkt werden. „Deswegen setzen wir uns beide dafür ein, dass es jetzt endlich klappt mit dem Freihandelsabkommen unserer Länder“, betonte Scholz. Er werde sich „persönlich engagieren“. Allerdings beklagen deutsche Firmen seit Jahren Protektionismus und Bürokratie, was etwa Investitionen deutscher Autokonzerne sehr schwierig macht.

Gemeinsamkeiten statt Differenzen betont

Seine Reise bereitete Scholz vergangenes Wochenende in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz mit einem Zitat des indischen Außenministers Subrahmanyam Jaishankar vor, das er sich zu eigen machte: „Europa muss aus der Mentalität herauswachsen, dass die Probleme Europas die Probleme der Welt sind, aber die Probleme der Welt nicht die Probleme Europas sind.“ Bei indischen Medien kam das sehr gut an.

Auch in einem Interview der „Times of India“ kurz vor seiner Reise vermied Scholz Kritik am Russland-Kurs Indiens und betonte die Gemeinsamkeiten. „Gemeinsam stehen wir für die Souveränität von Staaten und die friedliche Beilegung von Konflikten weltweit ein. Wir stehen fest hinter der Botschaft, dass der Neo-Imperialismus nicht siegen wird – die Geschichte hat dies schon mehrfach bewiesen“, sagte er.

Wirtschaftliche und militärische Nähe zu Russland

Indien arbeitet wirtschaftlich eng mit Russland zusammen. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat es seine Importe von relativ günstigem russischen Öl ausgeweitet. Kritiker werfen dem Land vor, so die Sanktionen des Westens auszuhebeln. Die deutsche Regierung will das nicht problematisieren, wie es im Vorfeld hieß. „Es wäre falsch, wenn wir das als Provokation begreifen würden“, heißt es aus Regierungskreisen. Angesichts der Größe Indiens mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern und der Herausforderungen, vor denen das Land stehe, sei es „rein marktwirtschaftlich kein unvernünftiges Verhalten“ Indiens.

Fischerboot vor Verladestation eines Frachthafens
Reuters/Sivaram V
Ein Blick auf den Hafen Vallarpadam in Kochi

Auch militärisch steht Indien Russland sehr nahe. Ein Großteil der Ausrüstung der indischen Streitkräfte stammt von dort. „Dass das so bleibt, kann nicht in unserem Interesse sein“, heißt es aus deutschen Regierungskreisen. Die Kooperation im Rüstungsbereich werde bei der Reise daher „eine wichtige Rolle“ spielen. Es gebe da auch schon „einige interessante Projekte“, vor allem im maritimen Bereich.

U-Boot-Deal wäre Milliarden wert

Indischen Medienberichten zufolge sucht die deutsche Regierung in Neu-Delhi einen Kooperationspartner für die Produktion von sechs U-Booten. Aus Deutschland käme dafür ThyssenKrupp Marine Systems infrage, aber auch Südkorea soll im Rennen sein. Ein solches Geschäft wäre mehrere Milliarden Euro wert.

Marktszene in Kolkata, Indien
Reuters/Rupak De Chowdhuri
Ein Marktstand in Kolkata – Indien erhofft sich ein größeres Wirtschaftswachstum

Derzeit verfügt Indien über 16 konventionelle und ein nukleares U-Boot. Das Land zählt zu den mutmaßlich insgesamt neun Ländern, die über Atomwaffen verfügen, und steht seit Jahrzehnten in einem Konflikt mit dem ebenfalls nuklear bewaffneten Nachbarland Pakistan. Waffenexporte nach Indien sind daher umstritten.

Scholz sieht Potenzial in vermehrter Zusammenarbeit

Scholz wird auf der Reise von einem Dutzend Wirtschaftsvertretern begleitet. In Indien sind bereits 1.800 deutsche Unternehmen tätig. Scholz sieht Potenzial für eine verstärkte Zusammenarbeit vor allem bei erneuerbaren Energien, Mobilität, der Pharmaindustrie und der Digitalwirtschaft. Zu den in Neu-Delhi am Samstag unterzeichneten Abkommen zählt etwa eine Regierungsvereinbarung über die engere Zusammenarbeit im Energiebereich, vor allem beim Wasserstoff.

Auch Klimaschutz sollte eine wichtige Rolle bei der Reise spielen. „Ohne Schlüsselländer wie Indien werden wir es nicht schaffen, den weltweiten Temperaturanstieg so weit zu begrenzen, dass das 1,5-Grad-Ziel des Übereinkommens von Paris in Reichweite bleibt, und den grünen Wandel zu meistern“, sagte Scholz der „Times of India“.

Indien ist nach China und den USA der drittgrößte Produzent klimaschädlicher Treibhausgase, hinkt beim Klimaschutz aber hinterher. So stuft das Analyseportal Climate Action Tracker die Pläne Indiens im Kampf gegen die Erderwärmung als „hochgradig unzureichend“ ein.