Frau beim Einkaufen in einem Supermarkt
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Marketing

Grün ist das neue Rosa

Nachhaltiger Konsum gilt als einer der wichtigen Hebel im Kampf gegen die Klimakrise. Zwischen den Geschlechtern zeigen sich hier große Unterschiede: Etwa bei Ernährung und Mobilität wird Frauen eine Vorreiterrolle zugeschrieben, Männern hingegen im Kleidungsbereich. Um Nachhaltigkeit zu fördern, sei nicht nur gendersensibles Marketing, sondern allgemein ein Umdenken gefragt, fordern Expertinnen. Denn die Motive dafür sind bei Frauen und Männern unterschiedlich – und Klischees oft der Grund dafür, dass nachhaltiger Konsum unmöglich scheint.

Ein Team um Sibel Eker vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg berechnete im Rahmen einer Studie 2018, welche Faktoren Menschen zu einer nachhaltigeren und fleischloseren Ernährungsweise bewegen könnten. Denn der hohe Fleischkonsum vor allem in den Industriestaaten fördere nicht nur Krankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sondern verursache auch mehr Treibhausgase als alle Autos, Lastwagen und Flugzeuge auf der Welt zusammen.

Die Umstellung auf eine umweltfreundliche Ernährung würde vor allem von Frauen getragen werden, lautete eine der wichtigsten Erkenntnisse der Studie. Ihre „Selbstwirksamkeit“ sei ausschlaggebend – also ihre Entschlossenheit, ihr Verhalten zu ändern. Auch in einer Motivanalyse der AMA zeigte sich, dass Frauen besonders häufig Bioprodukte kaufen, um ein Zeichen für die Umwelt zu setzen.

In Österreich gaben 2020 laut einer Marketagent-Studie 62,3 Prozent der weiblichen Befragten an, Mischkost und wenig Fleisch zu konsumieren – bei Männern waren es 43,8 Prozent. Frauen können sich zudem häufiger vorstellen, generell auf Fleisch zu verzichten.

„Geheimwaffe“ im Kampf gegen die Klimakrise?

Aber auch in anderen Bereichen werden Frauen als „Geheimwaffe“ im Kampf gegen die Klimakrise gesehen. Sowohl beim Wahlverhalten als auch bei den Studienrichtungen und bei der Wahl der Arbeitgeber sehe man, dass Nachhaltigkeit für sie ein wichtiges Argument sei, sagt Unternehmensberaterin und Coach Martina Angela Friedl, die im Auftrag des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie 2020 die Studie „Frauensache Umwelt- und Klimaschutz“ erstellte, im Gespräch mit ORF.at.

Obwohl die Einbeziehung der Perspektiven von Männern und Frauen für sämtliche Bereiche relevant sei, sei die Fokussierung auf Frauen beim Thema Umwelt- und Klimaschutz doppelt sinnvoll, heißt es in der Studie weiter. Denn sie würden sich bezüglich Mobilität und Konsum tendenziell umwelt- und klimafreundlicher verhalten und daher im Klimaschutz als „Multiplikatorinnen“ fungieren, weshalb Österreich gut beraten sei, Frauen im Umwelt- und Klimaschutz zu stärken. Auch für Unternehmen ist es sinnvoll, sie als Zielgruppe bewusst anzusprechen, so Friedl.

Nachhaltigkeit als Verkaufsargument

Das ist durchaus schon gelebte Praxis: 2021 gab etwa der Sportartikelhersteller Adidas an, verstärkt auf Nachhaltigkeit und die Zielgruppe Frauen setzen zu wollen. Laut dem Onlineportal Newswires würde auch etwa der Markt für nachhaltige Hygieneprodukte wie Menstruationstassen boomen, „da Frauen nachhaltige und kosteneffektive Alternativen zu herkömmlichen Menstruationsprodukten bevorzugen“.

Auch die Kosmetik- und Körperpflegebranche wirbt vermehrt mit Nachhaltigkeitsargumenten, vor allem in den sozialen Netzwerken. Für 2026 wird etwa in Deutschland bei nachhaltiger Kosmetik ein Jahresumsatz in der Höhe von 17,7 Milliarden Euro erwartet. Für die Umwelt sei dieses Streben nach Nachhaltigkeit in den Supermarktregalen erfreulich, Männern würde das aber unter Umständen kaum auffallen, schreibt der „Guardian“: Grünes Branding könnte oft genauso gut rosa sein. Das britische Männerpflegeunternehmen Bulldog falle mit seinen Tuben aus Zuckerrohr und Rasierern mit Bambusgriff als Seltenheit auf.

Gütesiegel auf Kosmetikprodukt
ORF/Patrick Bauer
Kosmetikartikel in Frauenabteilungen werben verstärkt mit Nachhaltigkeitsargumenten

„Delegation von Verantwortung“

Dass grüne Produkte automatisch auch als rosa Produkte vermarktet werden, kann Susanne Stark, Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Marketing an der deutschen Hochschule in Bochum, nicht bestätigen. Prinzipiell sieht sie jedoch einen Fokus auf Frauen als Strategie, um nachhaltigen Konsum zu fördern, kritisch. Da Frauen immer noch tendenziell für den Haushalt zuständig sind, wie das Marktforschungsinstitut Mintel 2018 aufzeigte, würden sie auch wesentlich mehr Kaufentscheidungen treffen als Männer.

So könnte die Botschaft vermittelt werden: Nachhaltigkeit ist Frauensache – ein Umstand, den Mintel als „ökologischen Gendergap“ bezeichnet. „Dann haben wir es mit einer Delegation von Verantwortung und Zuständigkeit zu tun, mit einer Klischeehaftigkeit: Frauen sind ja immer für das Soziale zuständig, zum Beispiel Pflege und Kinder, und dann auch noch zusätzlich für Nachhaltigkeit“, so die Professorin.

Biogütesiegel auf Verpackung
ORF.at/Zita Klimek
Frauen sind noch mehrheitlich für den Haushalt – und damit auch für Lebensmittel – zuständig

Produktgruppen und Motivation unterscheiden

Zudem könne man nicht von Konsum allgemein sprechen – es gelte, nach Branchen und Produktgruppen zu unterscheiden. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt, das sich mit nachhaltigem Konsum aus einer Genderperspektive beschäftigt, stehe der Bekleidungssektor im Vordergrund, weil dieser ökologisch und sozial betrachtet besonders kritisch zu sehen sei. „Und hier lässt sich eine nachhaltige Orientierung von Frauen nicht bestätigen, wenn man Kaufmengen betrachtet.“ Bei Männern seien wiederum andere Bereiche problematisch – eben Ernährung und Technologie.

Entscheidend für gendersensible Kommunikation sei es, die jeweilige Motivation für nachhaltiges Verhalten bei Männern und Frauen herauszufinden – und diese dann auch entsprechend zu adressieren. „Unsere Forschung zeigt deutlich, dass Frauen stärker von sozialen Motiven geleitet sind – das heißt, sie wollen die Menschheit retten, die Systeme erhalten für die nächste Generation“, so Stark. „Männer sind eher von Biosphärenmotiven geleitet und wollen Natur, Pflanzen und Tiere retten.“

Klischees und Stereotype hinterfragen

Auch die Gründe für die individuellen Hindernisse, die einen von nachhaltigem Konsum abhalten, gelte es zu hinterfragen. Bei einer Diskussion in Fokusgruppen habe etwa eine Frau angegeben, dass sie bei dem Neujahrsempfang ihrer Firma zwei Jahre hintereinander im selben Outfit erschienen sei, was zu Irritationen und negativen Kommentaren geführt habe. „Gerade bei Bekleidung haben wir es mit starken Geschlechterklischees zu tun. Frauen sehen das Thema ganz anders und haben auch einen ganz anderen Erwartungsdruck.“

Dass Frauen in manchen Bereichen weniger Emissionen verursachen würden als Männer, sei „eine Folge von gesellschaftlichen Tatsachen“, so auch Friedl. Studien würden zeigen, dass Frauen mehr auf den öffentlichen Verkehr angewiesen seien als Männer. „Sie sind schon auch umweltbewusster, aber das ist oft eine Folge von sozioökonomischen Faktoren – Frauen sind auch deswegen häufiger mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß unterwegs, weil sie sich als alleinerziehende Mutter oder als Pensionistin schlicht und einfach kein Auto leisten können bzw. in Familien das einzige Auto oft vom Mann genutzt wird.“

Vegane Ernährung werde unter Männern als „schwach“ empfunden, so der Konsumforscher Hans-Georg Häusel gegenüber dem SWR. „Fleisch wurde schon immer mit Gefahr assoziiert, weil man früher jagen musste, um es zu bekommen“, so der Psychologe Steven Heine im Gespräch mit der BBC. Durch Marketing sei dieser Status bewusst aufrechterhalten worden. Männer würden nachhaltige Verhaltensweisen vermeiden oder gar ablehnen, um „ihre Geschlechteridentität zu bewahren“, hieß es 2016 im „Journal of Consumer Research“. Auch wiederverwendbare Einkaufstaschen würden als „unmännlich“ gelten, heißt es im Journal „Sex Roles“.

Konsumentinnen und Konsumenten selbst am Zug

Marketing als Schnittstelle zwischen Unternehmen und Konsumenten habe bei der Umsetzung nachhaltiger Wirtschaftsstrategien eine besondere Verantwortung – gleichzeitig sei es aber auch einfach ein Spiegel der Gesellschaft, erinnert Stark. Werbung setze auf „Bilder, die funktionieren“ und helfe, Produkte zu verkaufen. Um Stereotype zu umgehen und einen bewussten und damit auch reduzierten Konsum bei beiden Geschlechtern zu erreichen, seien alle gefordert.

„Wenn wir die großen ökologischen und sozialen Probleme unserer Zeit wirklich lösen wollen, müssen wir zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem kommen, das ist klar“, so Stark. Hier seien Unternehmen und Politik in der Verantwortung, um Rahmenbedingungen zu schaffen, „aber eben auch die Konsumentinnen und Konsumenten“.