Christian Lindnerund Robert Habeck
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Deutsche „Ampel“

Grüne und FDP im Dauerclinch

Seit Ende 2021 ist die deutsche „Ampelkoalition“ aus SPD, Grünen und FDP im Amt. Bisher hat sie den Unkenrufen, die Partner seien zum Regieren zu verschieden, getrotzt. Nun aber tun sich gleichzeitig mehrere Streitpunkte auf. Öffentlich gestritten wird meist über den Spagat zwischen Wirtschaftsfreundlichkeit und Klimaschutz.

Eine Regierungskoalition mit drei Parteien ist freilich schwieriger als im Duo – doch nach der Bundestagswahl im Herbst 2021 wollte man keine Rückkehr der Großen Koalition. Vor allem zwischen Grünen und FDP taten sich bisher noch keine deutlichen Brüche auf – der bis dato größte Koalitionszwist der „Ampel“ dreht sich um Panzerlieferungen für die Ukraine, mit der SPD im Zentrum der Kritik. Doch nun scheint die Harmonie verschlissen: In etlichen aktuellen Fragen streiten die beiden Juniorpartner entlang ihrer traditionellen Parteilinien vor allem über Klimafragen.

Ein weitreichendes Thema ist der europäische Plan, dass ab 2035 keine neu zugelassenen Autos mit Diesel- oder Benzinantrieb mehr verkauft werden sollen. Dazu gab es im vorigen Herbst eine Einigung auf EU-Ebene. Für die deutschen Grünen jedoch überraschend legte sich die FDP zuletzt quer, ihr Verkehrsminister Volker Wissing drohte kurz vor dem formalen Beschluss gar mit einem Veto in Brüssel. Die FDP drängt schon länger auf den Einsatz von klimaneutralen E-Fuels, mit denen der Verbrennermotor weiterbetrieben werden könnte. Ohne eine Ausnahme für solche E-Fuels werde man nicht zustimmen, so Wissing.

Unterstützung erhielt er dabei nicht nur vom Verband der Automobilindustrie (VDA), sondern auch von FPD-Chef Christian Lindner. Damit geriet das gesamte EU-Vorhaben ins Wanken, der grüne Koalitionspartner reagierte öffentlich verärgert.

E-Fuels: Deutschland fordert Ausnahmen

Das EU-Parlament und die EU-Kommission haben beschlossen, dass ab 2035 in der EU keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr neu zugelassen werden dürfen. Jedoch gibt es nun Probleme bei der finalen Abstimmung darüber, da die große Autonation Deutschland nun Ausnahmen für E-Fuels fordert.

EU-Kommission soll es richten

Während sich der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck zurückhielt, drängte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) darauf, Zusagen einzuhalten, die „in langen Verhandlungen abgestimmt und beschlossen“ worden seien. Die Bremer Mobilitätssenatorin Maike Schaefer (Grüne) sagte, die Autolobby treibe Wissing und die FDP angesichts von sinkenden Umfragen vor sich her. Dieser habe aber gar kein Mandat für die Vetoankündigung.

Debatte über Verbrenner

E-Fuels werden unter Einsatz von Strom hergestellt, wichtig ist die Herkunft des Stroms. E-Fuels gelten jedoch als teuer und ineffizient. Die endgültige Abstimmung der EU-Mitgliedsstaaten zum Ende von Verbrennermotoren sollte am 7. März stattfinden, wurde aber verschoben. Nötig ist eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 15 Ländern, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Versöhnlicher gab sich der grüne Wirtschaftsstaatssekretär, Sven Giegold. Er forderte die EU-Kommission zur Streitschlichtung auf.

Die Bundesregierung teilte am Mittwoch mit, bisher noch keine einheitliche Haltung in der Frage gefunden zu haben. Auch Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte, die Kommission solle schnell aktiv werden. Die Einigung von Parlament und Mitgliedsstaaten zum Verbrenner-Aus enthält schließlich auch einen Prüfauftrag für die Kommission: Sie soll ergebnisoffen untersuchen, ob Fahrzeuge mit E-Fuel-fähigem Verbrennungsmotor zukünftig doch noch zugelassen werden könnten.

„Technologieoffen“ und klimaneutral

In der Verbrennerfrage wird sich also vielleicht ein Kompromiss finden lassen, zu groß ist die Causa international. Rein auf Deutschland bezogen ist jedoch ein weiterer Streitpunkt, der die Wogen zwischen den Parteien hochgehen lässt: das Verbot von Öl- und Gasheizungen, auf das man sich im Koalitionsvertrag verständigt hatte. Die ursprüngliche Vereinbarung sah ein Verbot ab 2025 vor, später hieß es, dass „möglichst“ im kommendem Jahr jede neue eingebaute Heizung zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll.

Nun schreckte aber ein Gesetzesentwurf der zuständigen Ministerien von SPD und Grünen die FDP auf, der das Verbot ab 2024 festschreiben sollte. Die Liberalen warfen SPD und Grünen vor, weit über die getroffenen Absprachen hinauszugehen. „Der FDP-Fraktion liegt kein Entwurf zum Verbot von Öl- und Gasheizungen vor. Dazu wird es auch nicht kommen“, sagte etwa der FDP-Fraktionschef im Bundestag, Christian Dürr, dem „Tagesspiegel“ (Mittwoch-Ausgabe). Man wolle die Preise nicht in die Höhe treiben und „technologieoffen“ bleiben, auch klassische Heizungen könnten klimaneutral betrieben werden.

Ideologie und Vergesslichkeit

Das grüne Wirtschaftsministerium versuchte, zu kalmieren. Es werde Übergangsfristen und Ausnahmen geben. Die Neuregelung solle „pragmatisch und sozial ausgewogen“ gestaltet werden, hieß es. Der grüne Parteichef Omid Nouripour reagierte weniger verständnisvoll auf die Einwände der FDP, handle es sich doch um eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag. „Die FDP soll vielleicht schauen, wo sie überall zugestimmt hat, was sie jetzt plötzlich nicht mehr wissen will.“

Der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing
Reuters/Christian Mang
Volker Wissing

Kontroversen gibt es auch zwischen FDP und Grünen beim Thema Verkehrswege: Schnellere Planungsverfahren sind erwünscht. Während die FDP neben Bahnstrecken und Brücken auch Autobahnen schneller bauen lassen möchte, lehnen das die Grünen unter Verweis auf den Klimaschutz ab. Wissing mahnte zuletzt einen baldigen Kompromiss ein: „Die Diskussion als Dauerthema ist nicht hilfreich.“ Man solle sich „nicht mit ideologischen Vorstellungen selbst blockieren“.

Auch in der Außenpolitik gibt es Reibereien: Die FDP lehnte es ab, die Grünen in ihren kürzlich präsentierten Leitlinien für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik zu unterstützen. Einen gemeinsamen Koalitionsantrag werde es nicht geben, „da wir das Thema ohnehin die ganze Zeit begleiten“, so der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Ulrich Lechte. Die Grünen reagierten enttäuscht. „Es kann nicht sein, dass man als Koalitionspartner nur die Anträge vorantreibt, auf die man selbst Lust hat“, sagte Fraktionsvizin Agnieszka Brugger der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

30 Vorhaben in Warteschleife

Ein Streitpunkt ist auch das Bundesbudget: Kürzlich warnte der deutsche Rechnungshof vor einem finanziellen Kontrollverlust. Der Schuldenberg sei mittlerweile auf 2,1 Billionen Euro angewachsen. Finanzminister Lindner ringt derzeit um die Aufstellung des Bundeshaushalts für das nächste Jahr. Die Ausgabewünsche der Ministerien übertreffen Lindners Pläne dabei um rund 70 Milliarden Euro. Die Grünen haben zur Finanzierung Steuererhöhungen ins Spiel gebracht, was die FDP aber strikt ablehnt.

Uneinigkeit und ungeklärte Finanzierungsfragen blockieren nach Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ derzeit insgesamt rund 30 „Ampel“-Vorhaben. Bei mindestens acht Projekten gibt es demnach Einwände des FDP-geführten Finanzministeriums, etwa bei der Kindergrundsicherung und Änderungen beim Baugesetz.

Gesprächsbedarf auf Schloss Meseberg

Die zahlreichen Auseinandersetzungen sollen auf Schloss Meseberg ein Ende finden. Ab Sonntag treffen einander dort die Ministerinnen und Minister der Koalition zu einer zweitägigen Klausur. Das Treffen biete Zeit und Ruhe, „vielleicht das ein oder andere Thema am Rande, bei dem es leichte Reibungen geben könnte, auch miteinander zu klären“, so Regierungssprecher Hebestreit. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird dort erwartet – das Thema Verbrennungsmotoren wird wohl auch der Themenliste stehen. Die Klausur soll den Abschluss finden in einem gemeinsamen Auftritt von Kanzler Olaf Scholz (SPD), Habeck und Lindner.