Israelischer Politiker Itamar Ben-Gvir
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Israel

Umstrittene Nationalgarde rückt näher

Israel kommt trotz des verschobenen Regierungsvorhabens zum Umbau der Justiz nicht zur Ruhe. Nach neuen Massenprotesten gegen die rechts-religiöse Regierung ebnete diese am Sonntag den Weg zur Gründung einer Nationalgarde, die dem rechtsextremen Minister für innere Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, unterstellt werden könnte. Zur Finanzierung des umstrittenen Vorhabens genehmigte die Regierung, die Budgets aller Ministerien zu kürzen.

Oppositionsführer Jair Lapid verurteilte die Regierungsentscheidung am Sonntag als „lächerlich und verabscheuungswürdig“. Die Minister hätten für „eine private Armee von Schlägern“ gestimmt – zulasten von anderen Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Sicherheit. Medienberichten zufolge sollen sich mehrere Minister während der Sitzung noch dagegen ausgesprochen haben – letztlich hätten sie aber auf Drängen von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dann doch dafür gestimmt.

Nach den Plänen soll die Nationalgarde parallel zu Polizei und Militär arbeiten und sich um „zivile Unruhen“ landesweit kümmern. Kritiker und Kritikerinnen warnen davor, dass die Einheit mit rund 2.000 Einsatzkräften gezielt gegen die arabische Bevölkerung oder regierungskritische Demonstrierende eingesetzt werden könnte.

Mit der Einrichtung der Nationalgarde machte Netanjahu Ben-Gvir, dessen Ministerium auch für die Polizei zuständig ist, ein Zugeständnis. Der Minister hatte zuvor mit seinem Rücktritt gedroht, sollte der Umbau der Justiz ausgesetzt werden.

Polizeichef warnt vor „dramatischen Folgen“

Polizeichef Jaakov Schabtai sprach indes von „dramatischen Folgen“ für die innere Sicherheit Israels, sollte die Nationalgarde direkt Ben-Gvir unterstellt werden. Die Einheit soll sich Berichten zufolge aus Wehrpflichtigen, Reservisten und Freiwilligen zusammensetzen.

Ein Ausschuss soll in den kommenden drei Monaten über die genaue Besetzung beraten und auch die Zuständigkeiten klären, hieß es aus dem Büro des Ministerpräsidenten. Es sei noch nicht geklärt, wer die Befehlshoheit haben wird. Fachleute gehen davon aus, dass es mehrere Monate dauern könnte, bis die Pläne umgesetzt werden.

Polizeichef Yaakov Shabtai
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Polizeichef Schabtai (M.) stellte sich gegen die Pläne

Politischer Brandstifter

Der wegen rassistischer Hetze verurteilte Ben-Gvir gilt als politischer Brandstifter. Das Vorgehen der Polizei gegen regierungskritische Demonstrierende kritisierte der verurteilte Rechtsanwalt zuletzt mehrfach als „zu schwach“. Immer wieder heizte er in der Vergangenheit den Konflikt mit den Palästinensern gezielt an. Rufe wie „Tod den Arabern“ und „Verbrennt ihre Dörfer“ sind auf Veranstaltungen seiner Anhängerschaft keine Seltenheit. Er selbst gibt an, solche Ausdrücke „seit Jahren“ nicht mehr verwendet zu haben.

„Schande für Israel“

„Es ist eine Schande für Israel, dass ein verurteilter Rassist eine private Miliz bekommen soll“, sagte die Politikwissenschaftlerin Gail Talschir. Ben-Gvir habe bereits radikale Anhänger und Anhängerinnen, die sich über dem Gesetz fühlen – nun bekämen diese noch Waffen.

Die Idee einer Nationalgarde ist bereits seit Jahren im Gespräch. Die Vorgängerregierung hatte nach Unruhen in arabisch-israelischen Städten ähnliche Pläne. „Neu ist jedoch, dass die Truppe nicht der Polizei, sondern dem Ministerium für Nationale Sicherheit unterstellt werden könnte“, sagte Politikwissenschaftlerin Talschir. Zudem sollen der Umfang und die finanziellen Mittel deutlich erhöht werden.

Rund Viertelmillion Menschen auf der Straße

Trotz des vorläufigen Stopps der Pläne zum Umbau der Justiz demonstrierten am Samstag erneut rund eine Viertelmillion Menschen gegen die Pläne der rechts-religiösen Regierung. „Netanjahus Versuch, die Demonstrierenden zum Schweigen zu bringen, ist gescheitert“, hieß es von den Organisatoren.

Oppositionsführer Lapid schrieb auf Twitter: „Wir sind auf der Hut. Die Gefahr ist noch nicht vorbei.“ Er hatte zuletzt mehrfach an der Ernsthaftigkeit Netanjahus gezweifelt, einen Kompromiss erreichen zu wollen. Derzeit laufen Gespräche zwischen Koalition und Opposition zu dem umstrittenen Gesetzesvorhaben.

Wasserwerfer werden gegen Demonstranten in Tel Aviv gerichtet
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Gegen die Demonstrierenden in Tel Aviv wurden am Samstag Wasserwerfer eingesetzt

Sicherheitslage enorm angespannt

Die Sicherheitslage in Israel und dem Westjordanland ist weiter angespannt. Ein Palästinenser fuhr am Wochenende mit seinem Auto drei israelische Soldaten an und verletzte einen davon schwer, wie die Armee mitteilte. Der 23-jährige Fahrer wurde von einem weiteren Soldaten getötet.

Keine 24 Stunden vorher erschoss ein israelischer Polizist einen 26-jährigen arabischen Israeli in der Jerusalemer Altstadt. Nach Angaben der Polizei soll er bei einer Befragung nach der Waffe eines Beamten gegriffen und zwei Schüsse abgegeben haben. Augenzeugen berichteten jedoch, dass der Medizinstudent einer Frau bei einem Streit mit der Polizei zur Hilfe geeilt und „grundlos“ erschossen worden sei. Die Familie des 26-Jährigen forderte Aufklärung. Die Polizei wies die Berichte mehrfach als „falsch“ zurück und betonte, es gebe keine Videoaufnahmen von dem Vorfall.