Lange wurde um diese vorletzte Oper Monteverdis aus dem Jahr 1640 gerungen, die ja nur in einer mageren Überlieferung an der Nationalbibliothek erhalten ist. Nikolaus Harnoncourt kommt in der Wiedererstellung dieses Werkes eine entscheidende Rolle zu, musste man doch zu einer dürren Notation alle Stimmen des Orchesters quasi neu erfinden.
1878 hatte ja der Wiener Musikhistoriker August Wilhelm Ambros eine Handschrift unbekannter Provenienz in der Musiksammlung des Kaiserhauses gefunden – und mit forensischer Gründlichkeit gelang es seither, das Werk mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Wirken des späten Monteverdi in Venedig zuzuschreiben, der ja mit dem Teatro San Cassiano die erste öffentliche Opernbühne der Welt zur Verfügung hatte.
Heikle Vorentscheidungen
Dieses Stück auf die ganz große Opernbühne zu wuchten, erfordert eine Reihe an Vorentscheidungen. Man könnte es überästhetisieren und so überhöhen, dass drei Stunden tragen. Man kann, wie etwas Jan Lauwers mit der „Poppea“ gezeigt hat, Monteverdi zum frühneuzeitlichen Karneval umfunktionieren, in dem sich andauernd etwas oder jemand dreht. Oder man kann sich wie Jossi Wieler und Sergio Morabito für den großen Mut entscheiden und auf das starke Libretto aus der Hand von Giacomo Badoaro schauen und aus diesem ein ganz langsames Stück herausschälen, so als machte man Elfriede Jelinek in Superslowmotion.
Die Regie vertraut dem Bühnenhandwerk – und er vertraut Musik und großartigen Sängerinnen und Sängern, lässt diese im Wechselspiel und -gesang die Geschichte von der Rückkehr des Odysseus ganz langsam entfalten. Durfte man in Wielers Antisehnsuchtslandschaft mit ein paar Wirtshaustischen, Kisten und einem Webstuhl in der Mitte vor der Pause noch seine Zweifel haben, so entfaltete sich das Stück in großer Schönheit im zweiten Teil.
Monteverdis „Il ritorno d‘Ulisse in patria“ an der Staatsoper
An der Wiener Staatsoper steht die nächste Premiere bevor: Claudio Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria“. Damit beendet das Haus auf dem Ring nach „L’incoronatione di Poppea“ und „La favola di Orfeo“ ihren Monteverdi-Zyklus. Georg Nigl ist in der Rolle des Odysseus zu sehen, als Penelope die US-amerikanische Mezzosopranistin Kate Lindsey. Regie führen Jossi Wieler und Sergio Morabito, Premiere war am 2. April 2023.
Aufrichtigkeit gegen Wirren der Zeit
Lindsey und Nigl verkörperten die Themen der Aufrichtigkeit, Treue und Standhaftigkeit gegen alle Absurditäten der Zeit in einer Art von Überzeugung, wie man sie selten auf einer Opernbühne erlebt. Isabel Signoret als Minerva steht neben beiden wie eine Reflexionsfigur auf das Tun der Götter – und der Olymp, er wirkt hier wie die gestrandete Business-Class eines Langstreckenfluges.
Thema, Musik und Regie wurden eins an diesem Abend in großer innerer Überzeugung und Unaufgeregtheit. Unter einem großen Windsegel beschwören Wieler und Morabito die zeitlose Kraft des Theaters, gerade auch für den Überlebenskampf der Menschheit. Eine Fußnote, dass man in Wien auch zu diesem Tun pfeifen muss – das Gros des Publikums feierte diese Umsetzung ausgiebig wie schon lange nicht.

„In der gesamten Menschheitsgeschichte lässt sich zeigen, dass die erbittertsten, wahrhaft beispiellosen Konflikte diejenigen sind, die kein Ziel haben“, zitiert das Programmheft die Philosophin und Politikerin Simone Weil. „Unter dem Stern dieser Einsicht geht an diesem Abend eine größere Erkenntnis auf: dass die innige Verbundenheit und innere Überzeugung die größten Schicksale zu meistern vermag.“ Lindsey und Nigl verkörpern diese Philosophie.