Camp Lipa in Bosnien-Herzegowina
APA/SOS Balkanroute
Flüchtlingscamp Lipa

Grüne und SPÖ wollen Aufklärung

Die zuletzt von der NGO SOS-Balkanroute dargestellten Vorgänge um das Flüchtlingscamp Lipa in Bosnien-Herzegowina rufen nun die Grünen auf den Plan. Die NGO hatte ja den Vorwurf erhoben, Österreich finanziere die Errichtung eines Abschiebezentrums inklusive eines Gefängnisses mit. Die grüne Migrationssprecherin Ewa Ernst-Dziedzic sprach von einem „menschenrechtlichen Desaster“, es müsse „schonungslos offengelegt“ werden, wer verantwortlich sei. Auch die SPÖ forderte Aufklärung.

Die grüne Abgeordnete will „nun selbst versuchen, zur Aufklärung beizutragen, und mich vor Ort auf Fact-Finding-Mission begeben. Bei einem Lokalaugenschein und im Gespräch mit den beteiligten Personen wird sich die Situation sicher ein Stück weit aufklären lassen“, sagte sie in Bezug auf die Berichte über das wiederaufgebaute Camp. Es musste wenige Monate nach der Eröffnung 2020 wieder geschlossen werden, weil Strom und Wasser fehlten.

Ernst-Dziedzic bezog sich auf „weitere Details“, die über SOS-Balkanroute ans Licht gekommen seien. Der NGO zufolge sei das International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) laut Angaben mehrerer Quellen „für den Bau der Haftzellen verantwortlich“. Das ICMPD ist eine in Wien ansässige internationale Organisation mit 19 Mitgliedsstaaten, gegründet wurde sie 1993 von Österreich und der Schweiz. Als Leiter fungiert ÖVP-Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger.

Parlamentsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne)
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Die grüne Migrationssprecherin Ernst-Dziedzic

ICMPD ‚muss sehr wohl involviert gewesen sein‘

Laut Ernst-Dziedzic „muss das ICMPD entgegen eigenen Aussagen sehr wohl in die Planungen der Haftanstalt involviert gewesen sein, denn sowohl das für Lipa zuständige bosnische Fremdenamt als auch die Delegation der EU in Bosnien-Herzegowina bestätigen in schriftlicher Form, dass das ICPMD für den Bau zuständig sei“, so die grüne Migrationssprecherin.

Dazu kämen noch „bekräftigende Aussagen des Bürgermeisters von Bihac (das umstrittene Lager steht etwa 25 Kilometer von der 60.000-Einwohner-Stadt entfernt, Anm.) und des kantonalen Premierministers von Una-Sana in den Medien“, so Ernst-Dziedzic.

ICMPD: „Nicht am Bau von Haftzellen beteiligt“

Bereits zuletzt hatte das ICMPD die Darstellung der NGO SOS-Balkanroute strikt zurückgewiesen. „ICMPD ist selbstverständlich nicht am Bau von Haftzellen oder Ähnlichem beteiligt“, wurde ein Sprecher der Organisation zitiert. Die Rolle von ICMPD beschränke sich auf das „Beschaffungswesen“ und die Kontrolle von Verträgen, wurde seitens des Migrationsvereins festgehalten.

Beteiligt sei ICMPD „an der Errichtung einer temporären Aufenthaltsunterbringung, die eine Erweiterung des bestehenden Temporären Aufnahmezentrums darstellt“, hieß es weiter. Sowohl die Planung des Vorhabens als auch das Management des Zentrums liege aber nicht bei ICMPD, sondern beim Sicherheitsministerium und der Ausländerbehörde (SFA) in Bosnien-Herzegowina.

Ernst-Dziedzic sieht Innenministerium in der Pflicht

Die Migrationssprecherin der Grünen ortet viele offene Fragen, etwa wer die Haftanstalt nach ihrer Fertigstellung betreiben werde. Das ICPMD verweise dabei auf das Fremdenamt des bosnischen Sicherheitsministeriums, und auch die EU-Delegation in Bosnien-Herzegowina spreche davon, dass das Objekt nach seiner Fertigstellung in die Zuständigkeit des bosnischen Fremdenamts übergehen soll. Das bosnische Fremdenamt wiederum verweise bei diesbezüglichen Anfragen allerdings auf das ICPMD, so Ernst-Dziedzic.

Völlig unklar sei zudem auch, wer überhaupt den Auftrag zu dieser Haftanstalt gegeben hat und wozu. Zudem habe der Bürgermeister von Bihac auch über eine fehlende Baugenehmigung geklagt. Ernst-Dziedzic sieht in diesem Fall auch das Innenministerium in der Pflicht, das enge Verbindungen zum ICPMD pflege.

„Menschenrechtliche Verpflichtungen erfüllen“

Der Balkan dürfe nicht zur Abschiebezone werden, verlangte die Migrationssprecherin der Grünen. Österreich, das sich nicht nur mit Hilfsgeldern, sondern auch mit der Entsendung von Polizistinnen und Polizisten engagiere, müsse sicherstellen, dass alle damit einhergehenden menschenrechtlichen Verpflichtungen auf Punkt und Beistrich erfüllt werden. „Hilfe vor Ort bedeutet nicht, Menschen in geschlossene Systeme zu sperren und ohne ein faires Verfahren abzuschieben“, sagte Ernst-Dziedzic.

Österreich zählt via IOM zu größten Geldgebern

Österreich zählt zu den größten Geldgebern des kritisierten Projekts in Bosnien. Das Innenministerium bestätigte in der Vorwoche, dass es der Internationalen Organisation für Migration (IOM) insgesamt 821.672 Euro zur Verfügung gestellt hat. Davon seien 483.000 Euro für den Ausbau der Strom- und Elektrizitätsversorgung sowie des Wasser- und Abwassernetzes auf dem Gelände verwendet worden, um die Aufnahmefähigkeit für 1.500 Personen zu sichern und einen ganzjährigen Unterkunftsbetrieb zu ermöglichen.

Innenministerium: In Finanzierung nicht involviert

17.000 Euro seien für die Finanzierung eines aus dem Bestand des Roten Kreuzes ausgeschiedenen Krankenwagens aufgewendet worden, weitere 321.671 Euro flossen in die Anschaffung von 71 Wohn- und Schlafcontainern für die Camps Borici (36 Container) und Lipa (35 Container). Das Innenministerium sei aber „weder in die Konzeption noch in die Finanzierung oder in den Betrieb involviert“. Dieser Stellungnahme schloss sich die oberösterreichische Landesregierung an, die 300.000 Euro zum Bau des Zentrums beigesteuert hat.

SPÖ fordert Aufklärung von Karner

Die SPÖ fordert in dem Fall Aufklärung von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner kündigte eine parlamentarische Anfrage an. Man wolle den Vorwürfen, wonach mit österreichischem Steuergeld ein menschenrechtswidriges Gefängnis gebaut worden sein soll, und der Rolle des ICMPD auf den Grund gehen.

„Europa braucht eine gemeinsame, menschenrechtsachtende Asylpolitik. Dazu braucht es Respekt und Zusammenarbeit mit internationalen Partnern. Die Aussagen der bosnischen Behörden, Kantons- und Stadtpolitiker lassen ernsten Zweifel daran aufkommen, dass das hier der Fall war“, kritisierte Einwallner in einer Aussendung. Die Einhaltung der Menschenrechte müsse auch für Geflüchtete sichergestellt werden.