Sonnenaufgang über Peking
Gatty Images/Jiale Tan
EU und China

Was hinter Macrons Sager steht

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat mit seinen Aussagen zu Taiwan und China dieser Tage für Wirbel in der EU gesorgt. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock betonte daraufhin europäische Geschlossenheit. Doch wie geeint steht die EU tatsächlich da? Und wer gibt im Verhältnis zu China letztlich den Takt vor? Die Debatte „überschatte“, was tatsächlich geschehen sei, sagt der ehemalige EU-Botschafter in China, Hans Dietmar Schweisgut, zu ORF.at.

In Europa gebe es seiner Ansicht nach einen „größeren Konsens in der China-Politik als je zuvor“. „Gelegentliche Aussagen“ Macrons, die den Eindruck hinterlassen, dass Frankreich nicht auf einer Linie mit dem Rest der EU sei, würden daran nichts ändern, sagt der Diplomat. Schweisgut war sowohl österreichischer Botschafter als auch EU-Botschafter in China. Er räumt zugleich ein, dass eine „einheitliche, konsistente China-Politik der Mitgliedsstaaten, die teilweise natürlich auch ihre eigenen kommerziellen Interessen haben“, schon immer ein „Problem“ gewesen sei.

Im Kern geht es bei der aktuellen Diskussion um ein Interview Macrons, das am Sonntag in der französischen Zeitung „Les Echos“ und dem Magazin „Politico“ (Onlineausgabe) erschienen war. Darin meinte Macron, Europa solle in der Taiwan-Frage kein „Mitläufer“ sein und sich sowohl von den USA als auch von China distanzieren. Taiwan sei zudem „nicht unsere Krise“, so Macron.

Von zahlreichen Beobachtern und Politikerinnen wurde der französische Präsident für sein Vorpreschen kritisiert. Von Einzelnen, wie dem EU-Ratschef Charles Michel, bekam er Rückendeckung. Die Aussagen kamen zu einem heiklen Zeitpunkt: Chinas Volksbefreiungsarmee hatte am Samstag als Reaktion auf den Besuch von Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen in den USA ein großangelegtes Manöver in der Nähe Taiwans begonnen.

Xi Jinping und Emmanuel Macron
Reuters/Jacques Witt
Chinas Staatschef Xi Jinping mit dem französischen Präsidenten Macron

Baerbock um Deeskalation bemüht

Die Debatte verstummte auch nicht, nachdem Macron bei einer Rede am Dienstag in den Niederlanden die geschlossene Haltung Frankreichs und Europas betont und für eine friedliche Lösung der Taiwan-Frage plädiert hatte. Einmal mehr trat er auch für sein Modell der europäischen Souveränität ein. Dass der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am selben Tag mit dem Ziel, das „militärische und wirtschaftliche Bündnis mit den USA zu vertiefen“, nach Washington reiste, verdeutliche der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge die „Zerrissenheit der EU“.

Die deutsche Außenministerin Baerbock, die am Donnerstag eine mehrtägige China-Reise angetreten hatte, war in diesem Kontext um Deeskalation bemüht. Es sei ein wichtiges Zeichen gewesen, dass Macron gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangene Woche China besucht habe, so Baerbock. Das mache deutlich, dass die EU-Mitgliedsstaaten angesichts des gemeinsamen Binnenmarktes „gar keine unterschiedlichen Positionen zum größten Handelspartner“ der EU haben könnten.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock
IMAGO/Kira Hofmann
Nach Macron-Sager: Baerbock befindet sich auf schwieriger Mission in China

Baerbock fand aber bei einem Treffen mit ihrem chinesischen Amtskollegen Qin Gang klarere Worte als Macron: Einen militärischen Konflikt in Taiwan nannte sie ein „Horrorszenario“. Auch pochte sie auf die Einhaltung der Menschenrechte und verwies dabei auch auf die Provinz Xinjiang, wo China eine Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uigurinnen und Uiguren vorgeworfen wird.

Und sie gab sich enttäuscht, dass China Russland bisher nicht als einzigen Aggressor im Ukraine-Krieg genannt habe. Ähnlich äußerte sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Borrell musste seinen ebenso geplanten China-Besuch coronavirusbedingt absagen.

Experte: China will EU-Politiker gegeneinander ausspielen

Die Debatte scheint Peking in die Karten zu spielen: Natürlich wolle China auch bewusst „den einen oder die eine gegen den anderen ausspielen“, sagt der langjährige Diplomat Schweisgut. Innerhalb der EU, aber auch zwischen der EU und den USA ist das der Fall. Dementsprechend wohlwollend dürften auch Macrons Aussagen, dass die EU in Bezug auf China nicht zum Vasallen der USA werden solle, angekommen sein.

Taiwan

Peking betrachtet das unabhängig regierte Taiwan als Teil Chinas und droht mit einer Eroberung. Seit der russischen Invasion in die Ukraine wachsen die Sorgen, dass China ähnlich militärisch gegen Taiwan vorgehen könnte. Der Konflikt um die demokratische Inselrepublik ist ein zentrales Streitthema zwischen China und den USA.

Besonders im Konflikt um Taiwan ist es China wichtig, einen Keil zwischen Europa und die USA zu treiben. Ein chinesischer Militäreinsatz gegen Taiwan würde internationale Sanktionen gegen China auslösen, die von den EU-Staaten mitgetragen werden müssten. Auch will China verhindern, dass die USA Taiwan mit Truppen zur Hilfe kommen – da wäre es hilfreich, wenn die Unterstützung in Brüssel wackelt. Generell will Peking die vom Westen gestützte regelbasierte Weltordnung schwächen und seinen Einfluss ausweiten.

„Ich würde trotzdem sagen, wir sind auf dem Weg zu einer einheitlichen China-Politik in Europa ein gutes Stück weitergekommen – nicht zuletzt durch den Krieg in der Ukraine“, so Schweisgut. Die Tatsache, dass China Russland im Ukraine-Krieg den Rücken stärkt, stößt der EU sauer auf. China verurteilte den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bisher nämlich nicht.

Vielmehr intensivierte das Land die Beziehungen zu Moskau. Von den USA war Peking zuletzt auch mehrfach unterstellt worden, Russland mit Waffenlieferungen zu versorgen. Peking bestritt das. Am Freitag versicherte Außenminister Qin, dass China Russland im Krieg gegen die Ukraine aktuell und auch künftig nicht mit Waffen unterstützen werde. An seiner engen Beziehung zu Moskau hält Peking fest: Der neue chinesische Verteidigungsminister Li Shangfu wird am Sonntag etwa seinen russischen Amtskollegen Sergej Schoigu treffen.

China als „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“

Wie also wird die China-Politik der EU definiert? Grundzüge einer gemeinsamen EU-China-Strategie gibt es seit dem Jahr 2019. Offiziell gilt China in der EU sowohl als „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“. „Die Rivalität wiegt inzwischen deutlich stärker als die Kooperationsaspekte“, sagt Schweisgut.

Es stelle sich daher die Frage, wie ein „vernünftiges Verhältnis“ entstehen kann – immerhin ist die EU mit China wirtschaftlich eng verflochten. Die Abhängigkeit der EU von China sei – verglichen mit Russland – größer und „breiter gestreut“, betont er unter anderem mit Verweis auf Rohstoffe und insbesondere seltene Erden.

Von der Leyen: „Risikominderung anstatt Entkopplung“

Die EU-Kommissionspräsidentin hatte Ende März in einer kritischen Grundsatzrede zum Verhältnis mit China dafür geworben, die Beziehungen neu auszutarieren. Konkret ging sie dabei auf die Herausforderungen etwa durch Menschenrechtsverletzungen in China, Pekings militärisches Auftreten in der unmittelbaren Nachbarschaft, die Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie Chinas wirtschaftliche Stärke ein. Sie betonte, dass die EU unabhängiger werden und wirtschaftliche Risiken verringern müsse.

„Wir müssen uns auf die Risikominderung anstatt Entkopplung konzentrieren“, sagte sie. Als Bereiche, in denen Zusammenarbeit möglich ist, nannte sie den Kampf gegen den Klimawandel sowie den Naturschutz. Auch das abgeschlossene Investitionsabkommen müsse wegen der Entwicklung Chinas „neu bewertet werden“. Jener Grundsatzrede misst Schweisgut auch größere Bedeutung in puncto China-Politik der EU bei als etwa die Debatte um Aussagen Macrons.

Sein Resümee? „Wir wollen ein konstruktives Verhältnis mit China auf Augenhöhe, aber gleichzeitig auch klar mit den Grenzen, die eingezogen wurden und die inzwischen auch durch einen europäischen Werkzeugkasten ergänzt wurden, der Europa die Instrumente gibt, sich zu verteidigen: Von Antidumping über Investitionsschutz über Gegenmaßnahmen gegen wirtschaftlichen Druck bis hin zu einer beginnenden Industriepolitik, die Europa unabhängiger machen soll“, so Schweisgut.