Ein Pilot der US-Air-Force blickt auf einen chinesischen Spionageballon
AP/Department of Defense
US-Leaks

Brisante Details zu Spionageballons

Der für die US-Leaks verantwortlich gemachte 21-jährige Reservist Jack Teixeira steht mittlerweile formell unter Anklage. Der Vorwurf: die „unbefugte Aufbewahrung und Weitergabe als geheim eingestufter Informationen der nationalen Verteidigung“. Eine exklusive Auswertung der veröffentlichten Dokumente durch die „Washington Post“ brachte nun weitere brisante Details ans Licht – diesmal zum Thema chinesische Spionageballons. Es soll weitere gegeben haben, von denen die Öffentlichkeit bisher nichts wusste.

Teixeira bleibe vorerst im Gewahrsam der Justiz, hatten US-Medien am Freitag berichtet. Für Mittwoch sei eine weitere Anhörung angesetzt, hieß es von CNN. Am Samstag veröffentlichte nun die „Washington Post“ neue Auszüge aus den von ihm geleakten Dokumenten.

Laut denen hatten die Geheimdienste nach dem Abschuss eines mutmaßlichen chinesischen Spionageballons über US-Territorium im Februar von weiteren Ballons Kenntnis. Und der am 5. Februar abgeschossene Ballon soll sie hinsichtlich seiner tatsächlichen Fähigkeiten nachhaltig vor Rätsel gestellt haben.

US-Kriegsschiffverband ausspioniert?

Dem Ballon, der im Jänner und Februar Teile der USA überflogen hatte, hätten die US-Geheimdienste den Namen „Killeen-23“ gegeben. Er sei, so die „Washington Post“, mit Sensoren und Antennen ausgestattet gewesen, deren technische Details sie auch eine Woche nach dem Abschuss Anfang Februar vor der Küste des Bundesstaats South Carolina nicht hätten einschätzen können.

Außerdem sollen laut dem Bericht der US-Zeitung zwei bis drei weitere Ballons aufgetaucht sein, und zwar schon lange vorher: „Bulger-21“ and „Accardo-21“ waren 2021 und 2022 in der Luft, wobei einer einen Kriegsschiffverband der US-Marine überflogen haben soll und im Südchinesischen Meer abgestürzt sei – wobei aus den Dokumenten nicht klar hervorgehe, ob es sich bei beiden um ein und denselben Ballon gehandelt habe.

Nach US-Verbrechern benannt

Die US-Regierung benenne solche Ballons in der Regel alphabetisch, so die „Washington Post“ unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten Beamten aus Washington. Die mutmaßlichen chinesischen Ballons seien nach „notorischen Verbrechern“ benannt worden: Tony Accardo, James „Whitey“ Bulger und Donald Killeen – allesamt Exponenten des organisierten Verbrechens.

Die Ballons sollen ausgefeilte Spionagetechnologie an Bord gehabt haben, das US-Magazin „Forbes“ nannte die Enthüllungen der „Washington Post“ am Samstag vor allem dahingehend interessant, als die Öffentlichkeit nie von diesen wusste und der Bericht einen Blick „hinter den Vorhang“ der Geheimdienste böte und derartige Dinge im Normalfall Jahrzehnte später auftauchten – wenn überhaupt.

Teixeira drohen bis zu 15 Jahre Haft

Wird Teixeira in seinen beiden Anklagepunkten für schuldig befunden, drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft. Aus der Anklageschrift gegen Teixeira geht laut Berichten von US-Medien hervor, dass der Verdächtige Anfang April seinen Dienstcomputer benutzte, um Geheimdienstberichte nach dem Wort „leak“ zu durchsuchen.

Er tat das, kurz nachdem die ersten Artikel über das Leak aufgetaucht waren, heißt es in dem Dokument. Außerdem gehe aus den Gerichtsunterlagen hervor, dass er die offizielle Erlaubnis hatte, streng geheime Regierungsunterlagen einzusehen. Bei seiner Vorführung am Freitag trug Teixeira Gefängniskleidung und Handschellen. Er saß neben seinem Anwalt, auch seine Familie war anwesend.

US-Leaks: Verdächtiger kommt vor Gericht

Nach der Festnahme eines US-Nationalgardisten in Zusammenhang mit der Weitergabe streng geheimer Militärdokumente und der damit in Gang gebrachten Verbreitung des Materials im Internet sollte der verdächtige 21-Jährige am Freitag vor einem Bundesgericht erscheinen. Erst am Vortag war der junge Mann vom FBI im Bundesstaat Massachusetts festgenommen worden.

Vor Haus seiner Mutter verhaftet

Festgenommen wurde Teixeira am Donnerstag gegen 14.30 Uhr (Ortszeit, 20.30 Uhr MESZ) vor dem Wohnhaus seiner Mutter in North Dighton, einem Ort in Massachusetts südlich von Boston. Der Sender CNN zeigte Videoaufnahmen von der Festnahme. Darauf war zu sehen, wie schwer bewaffnete Einsatzkräfte einen jungen, schlanken Mann in T-Shirt und kurzer Hose abführen. Die Festnahme sei ohne Zwischenfälle erfolgt, und die Polizei führe weiter Ermittlungen in dem Haus durch, teilte das FBI mit.

FBI-Agenten verhaften Jack Teixeira
Reuters/Wcvb-Tv
Der Verdächtige bei seiner Festnahme durch Kräfte des FBI

„New York Times“ brachte Identität des Mannes auf

Die „New York Times“ („NYT“) hatte über die Identität des Mannes als erstes Medium berichtet. Mittlerweile ist bestätigt, dass Teixeira Mitglied der Geheimdienstabteilung der Air National Guard in Massachusetts war. Im September 2019 trat er dort den Job an, er arbeitete als IT- und Kommunikationsspezialist und hatte den Rang eines Airman First Class inne – der drittniedrigste Dienstgrad. Als solcher hatte der 21-Jährige aber offenbar auch Zugang zu vielen Geheimdokumenten. Die „Washington Post“ hatte am Mittwoch berichtet, der Mann sei in Waffen vernarrt und habe die US-Regierung unter anderem als „dunkle Macht“ bezeichnet.

Ominöse Onlinegruppe von Waffennarren

Außerdem soll er „Anführer“ einer privaten Onlinegruppe namens „Thug Shaker Central“ gewesen sein, in der sich laut „Washington Post“ 24 Mitglieder – darunter auch Personen aus Russland und der Ukraine und in den meisten Fällen junge Männer und Teenager – wegen ihrer gemeinsamen Vorliebe für Waffen und Videospiele auf der Plattform Discord trafen. Was sie vereine, sei ihre „Liebe zu Waffen, militärischer Ausrüstung und Gott“, schrieb die Zeitung.

In der Onlinegruppe soll der brisante Fall seinen Lauf genommen haben: In der Gruppe teilte Teixeira die Dokumente, ehe sie später über ein anderes Gruppenmitglied an die Öffentlichkeit kamen. Die Zeitung identifizierte den Mann über digitale Hinweise wie sein Onlinegaming-Profil. Zudem seien am Rand einiger Fotos der durchgesickerten Geheimdokumente Möbel zu sehen, die auch auf privaten Postings aus dem Elternhaus des Mannes zu erkennen seien.

Unklarer Zugang zu Dokumenten

Unklar ist laut „NYT“ noch, wie er in seiner Position Zugang zu solch hochsensiblen Informationen gehabt haben konnte. Die „Washington Post“ hatte zuvor berichtet, die Person habe sich in den Chats „OG“ genannt und behauptet, die Dokumente von einer Militärbasis nach Hause gebracht zu haben. Mitte März habe „OG“ aufgehört, Dokumente mit der Gruppe, die sich 2020 während der Pandemie gegründet habe, zu teilen. Laut „NYT“ soll es sich bei „OG“ eben um Teixeira handeln.

Von anderem Gruppenmitglied veröffentlicht

Allerdings war es ein anderes Gruppenmitglied, das die Dokumente dann in ein öffentliches Onlineforum stellte: „Dieser Typ war Christ, Kriegsgegner und wollte nur einige seiner Freunde darüber informieren, was vor sich geht“, sagte ein 17-jähriges Mitglied der Gruppe der „NYT“. Als Whistleblower habe er aber nicht agieren wollen.

Von dem Onlineforum aus wurden sie von russischsprachigen Telegram-Kanälen aufgegriffen. Im Zuge dieses Prozesses dürften auch einige Dokumente manipuliert worden sein, möglicherweise wurden weitere, nicht authentische hinzugefügt.

Enthüllungen sorgen für Nervosität

Ein Großteil der Dokumente bezieht sich auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums hatte das Durchsickern der Dokumente als „sehr große Bedrohung“ für die nationale Sicherheit eingestuft. Die Veröffentlichung der Dokumente hat erhebliche Sorgen in den westlichen Staaten ausgelöst. Die inzwischen zum großen Teil nicht mehr im Internet verfügbaren Dokumente sollen unter anderem brisante Informationen über den Kampf der Ukraine gegen die russischen Invasionstruppen enthalten.

So sollen einem der Dokumente zufolge die US-Geheimdienste Zweifel am Erfolg einer möglichen Gegenoffensive der ukrainischen Armee hegen, berichtete die „Washington Post“. Es gebe „fortdauernde ukrainische Rückstände“ bei der Ausbildung der Soldaten und bei der Munitionsversorgung. Die Veröffentlichungen haben laut Kiew keinen Einfluss auf die geplante Offensive.

ORF-Korrespondenten zu den US-Leaks

Die ORF-Korrespondenten Christophe Kohl und Christian Wehrschütz melden sich aus Washington und Kiew. Sie sprechen über die Festnahme im Zusammenhang mit den US-Leaks und mögliche Auswirkungen auf den Ukraine-Krieg.

Biden: Geheimdienstinformationen besser schützen

US-Präsident Joe Biden wies Militär und Geheimdienste an, zusätzliche Maßnahmen zum Schutz sensibler Informationen zu ergreifen. Die Verbreitung von Informationen über die nationale Verteidigung solle weiter eingeschränkt werden, kündigte Biden am Freitag an. Man sei noch dabei, den inhaltlichen Wert der im Internet veröffentlichten Geheimdokumente zu ermitteln. Dabei stimmten sich die USA eng mit Partnern und Verbündeten ab. Biden lobte die Strafverfolgungsbehörden für „rasches Handeln“.

Umgang mit Geheimdienstinformationen wird untersucht

Das US-Verteidigungsministerium will den Zugang zu Geheimdienstinformationen überprüfen. „Ich als Verteidigungsminister werde nicht zögern, weitere Maßnahmen zu ergreifen, die zum Schutz der Geheimnisse unseres Landes notwendig sind“, teilte Pentagon-Chef Lloyd Austin am Donnerstagabend (Ortszeit) mit.

Er habe eine Untersuchung über den Zugang zu Geheimdienstinformationen innerhalb seines Ministeriums in Auftrag gegeben, sagte Austin. Auch Kontrollverfahren würden überprüft, um zu verhindern, „dass sich ein derartiger Vorfall wiederholt“. Jeder Angehörige des US-Militärs und Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums mit Zugang zu Geheimdokumenten unterliege einer rechtlichen und moralischen Pflicht, diese zu schützen und verdächtige Aktivitäten zu melden, so Austin.

China teilte inzwischen laut einem Medienbericht den USA mit, dass es keinen neuen Termin für eine Reise von US-Außenminister Antony Blinken nach Peking angesetzt habe. Man wollte abwarten, ob die Regierung von US-Präsident Biden die FBI-Untersuchungsergebnisse zu dem abgeschossenen mutmaßlichen chinesischen Spionageballon veröffentliche, berichtete die „Financial Times“.