Kunde vor dem Stand eines Autoherstellers in Peking
AP/Ng Han Guan
China

Europas Autohersteller vor Problemen

Lange Zeit haben Europas Autohersteller in China reüssiert. Der Boom bei E-Fahrzeugen hat das Bild verändert, Produzenten aus der Volksrepublik holen rapide auf. Zudem hat Peking die Elektromobilität zu einer Schlüsselindustrie erklärt – und setzt zunehmend auf Technologie „made in China“.

Die internationalen Autokonzerne verlieren in China an Boden. 2020 betrug der Marktanteil laut Zahlen der Nachrichtenagentur Bloomberg noch 61 Prozent, im letzten Quartal 2022 sank er auf 41 Prozent. Zu Jahresbeginn sei mit einer Erholung zu rechnen, über das gesamte Jahr gerechnet dürfte der Marktanteil aber bei deutlich unter 50 Prozent zu liegen kommen, so Bloomberg.

Viele der internationalen Autoriesen werden „langsam, aber sicher aus dem Markt gedrängt“, analysierte das Portal. Ein gewichtiger Grund dafür ist der Wandel hin zur Elektromobilität, der sich in China schneller als anderswo vollzieht. Jeder vierte in der Volksrepublik verkaufte Neuwagen fährt bereits elektrisch. Lokale Anbieter dominieren das zukunftsträchtige Segment.

Leichtgewichte im E-Segment

Wie schwach die internationale Konkurrenz aufgestellt ist, zeigen etwa die Zahlen der deutschen Produzenten. Im vergangenen Jahr setzten sie insgesamt 4,4 Mio. Fahrzeuge in China ab, was einem Marktanteil von 19,1 Prozent entsprach. Im Geschäft mit Elektroantrieben lag dieser Anteil dagegen nur bei fünf Prozent.

Automobilaustellung in Zhengzhou, China
AP/Sun meng
Chinesische Anbieter dominieren den Markt für E-Autos und Plug-in-Hybride in der Volksrepublik

Unter den zehn meistverkauften Elektroautos in China befindet sich kein einziges deutsches Modell. Lediglich Tesla schafft es als einziger ausländischer Hersteller in die Rangliste, die ansonsten vor allem vom chinesischen Autobauer BYD aus Shenzhen dominiert wird.

Bei Plug-in-Hybriden, die mit fossilen Kraftstoffen und Strom betrieben werden, haben die internationalen Autokonzerne acht Prozent Marktanteil. Audi kündigte an, seine entsprechenden Modelle in der Volksrepublik nicht mehr anzubieten und den Markt „den heimischen Anbietern“ zu überlassen, wie ein Konzernsprecher dem „Handelsblatt“ sagte.

Mittelklasse als nächstes umkämpftes Segment

Stattdessen will man sich bei Audi ausschließlich auf E-Modelle konzentrieren. Volkswagen kündigte an, rund ein Mrd. Euro in den Aufbau eines Entwicklungs-, Innovations- und Beschaffungszentrums für voll vernetzte Elektroautos in der chinesischen Stadt Hefei zu investieren. VW verlor zuletzt den Titel als größte Automarke in China an BYD, einen lokalen Konzern.

Kunden bei einem BYD-Händler
Reuters/Aly Song
Konzerne wie BYD dominieren den chinesischen E-Auto-Markt

Betroffen sind nicht nur die deutschen Autohersteller. Die Verkaufszahlen des US-Autoriesen GM haben sich laut „New York Times“ fast halbiert. Und auch die japanischen Erzeuger Honda und Nissan plagen sich mit Rückgängen bei den Absatzzahlen.

Der chinesische E-Auto-Markt wächst laut Bloomberg am schnellsten im Premium- und Billigsegment. Die Mittelklasse berge das größte Wachstumspotenzial. Das könnte die internationalen Hersteller weitere Marktanteile kosten, sofern sie keine rasche Kurskorrektur schaffen, schrieb das Nachrichtenportal.

Joint-Venture-Zwang und lokale Förderungen

Rund 500 Firmen in China stellen E-Fahrzeuge her. Neben den großen Anbietern wie Li Auto, BYD, Nio und Xpeng Motors, die verstärkt exportieren, gibt es eine Vielzahl lokaler Anbieter, die von Regionen oder Städten teils große Fördersummen erhalten. Veranschaulichen lässt sich das etwa am Baojun E100 des Joint Ventures SAIC GM Wuling.

Laut dem Nachrichtenportal Heise förderte die Lokalregierung der Millionenstadt Liuzhou die Produktion ab dem Jahr 2017. Kundinnen und Kunden hätten eine zehnmonatige, kostenlose Probefahrt machen können, bevor sie sich für den Wagen entschieden, so Heise.

Die Produktion von Autos in China war ausländischen Firmen jahrelang nur in Form von Joint Ventures mit lokalen Firmen möglich. Erst kürzlich wurde der Zwang gänzlich aufgehoben. Durch langjährige Verträge bleiben viele Hersteller aber dennoch an ihre lokalen Partner gebunden. Dank der Joint-Venture-Pflicht der vergangenen Jahrzehnte könnten die chinesischen Autohersteller auf eine ganze Generation gut ausgebildeter Ingenieurinnen und Ingenieure zurückgreifen, resümierte die „New York Times“.

Kostenvorteile

Hinzu kommt der Kostenfaktor. Chinesische Betriebe könnten ein E-Fahrzeug um 10.000 Euro billiger herstellen als die Konkurrenz, sagte der Chef des Autozulieferers Forvia, Patrick Koller, der Nachrichtenagentur Reuters. Gründe seien geringere Entwicklungs- und Lohnkosten in der Volksrepublik. Zudem müsse weniger Kapital in der Fertigung eingesetzt werden.

Autoproduktion in Wuhan, China
AP/Yuang Zheng
Chinesische Anbieter haben einen deutlichen Kostenvorteil bei der E-Auto-Produktion

Während die Preise für E-Fahrzeuge in Europa und den USA seit 2015 stiegen, sanken sie in China. Zusammen mit den Förderungen sorgt der Kostenvorteil dafür, dass E-Kleinwagen in China schon für umgerechnet 4.500 Euro erhältlich sind.

Chinas Industriestrategie

Bis zum 100-jährigen Staatsjubiläum im Jahr 2049 will China die weltweit führende Industrienation sein. Ein Zwischenschritt zum Erreichen des ehrgeizigen Ziels ist die Industriestrategie „Made in China 2025“, bei der es um Innovationsförderung, den Aufbau von Industrie-Know-how und den stärkeren Einsatz inländischer Materialien in der Produktion geht.

Als einen der Schlüsselsektoren hat die Führung in Peking den Bereich Elektromobilität auserkoren. Von der Batterie über Fahrsysteme bis hin zur Unterhaltungselektronik im Innenraum – „China will E-Autos rein chinesisch machen“, sagte der WIFO-Forscher Klaus Friesenbichler kürzlich gegenüber ORF.at. Dass die Volksrepublik Zukunftsmarkt für europäische Autokonzerne bleibe, sei dadurch äußerst fraglich.