Frau beim Einkaufen in einem Supermarkt
IMAGO/Martin Wagner
Lebensmittel

Maßnahmen gegen hohe Preise gesucht

Wirtschaftsfachleuten zufolge wird sich die aktuell hohe Inflation bei Lebensmitteln bis zum Jahresende deutlich einbremsen. Wie schnell dieser Effekt auf die Preise durchschlägt, ist ungewiss. Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) will die Lage am Montag mit Handelskonzernen, Sozialpartnern und Fachleuten erörtern. Andere EU-Staaten haben zu Maßnahmen wie Steuersenkungen und Preisdeckeln gegriffen – Rufe danach werden auch hierzulande laut.

Die Teuerungsrate bei Lebensmitteln erreichte im Jänner mit über 17 Prozent ihren bisherigen Höhepunkt. Mittlerweile geht die Kurve wieder bergab. Aktuell liegt der Wert bei 14,5 Prozent, bis Jahresende wird er nach Einschätzung des Instituts für Höhere Studien (IHS) auf etwa fünf Prozent sinken. „Im europäischen Vergleich sind die Inflationsraten für die verschiedenen Produktgruppen des Nahrungsmittelbereichs sogar meist am unteren Rand“, sagte Sebastian Koch, Ökonom am IHS, zu ORF.at.

Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) rechnet mit einer ähnlichen Entwicklung vor allem in der zweiten Jahreshälfte. Insgesamt werden Nahrungsmittel weiter teurer, „der Preisauftrieb dürfte sich aber deutlich abschwächen“, so WIFO-Ökonom Josef Baumgartner gegenüber ORF.at. Man könne davon ausgehen, dass einzelne Lebensmittel billiger werden.

WIFO-Chef Felbermayr zur Inflation

Gabriel Felbermayr, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstitutes (WIFO), benennt in der ZIB2 Inflationstreiber – und notwendige Gegenmaßnahmen der Politik.

Ein Fragezeichen steht über der Entwicklung der gesamten Inflation. Der aktuellen Schnellschätzung der Statistik Austria zufolge beträgt die Inflationsrate im April voraussichtlich 9,8 Prozent. Im März waren es noch 9,2 Prozent. „Wir müssen jedenfalls davon ausgehen, dass die Prognose im März, dass wir über das Jahr gerechnet so sieben Prozent Inflation kriegen heuer, dass wir die revidieren müssen“, sagte WIFO-Chef Gabriel Felbermayr der ZIB2.

Soziale Komponente

Den Preisanstieg bei den Lebensmitteln spüren alle in Österreich lebenden Menschen. Aber nicht alle sind gleich stark betroffen. „Die gestiegenen Nahrungsmittelpreise haben auch eine soziale Komponente“, sagte IHS-Ökonom Koch. Einkommensschwache Haushalte müssen mehr von ihren verfügbaren Finanzmitteln zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse ausgeben.

Bei den einkommensschwächsten zehn Prozent der Bevölkerung fließen etwa 17 Prozent der verfügbaren finanziellen Mittel in Lebensmittel, zeigen Zahlen des IHS. Beim obersten Zehntel sind es knappe zehn Prozent. Die höheren Kosten beim Einkaufen lassen sich für das einkommensschwächste Zehntel kaum kompensieren. Finanziell Bessergestellte können auf Urlaub, Restaurant- oder Kinobesuch verzichten – Aktivitäten, die sich Menschen aus einkommensschwachen Haushalten meist von vornherein nicht leisten können.

Teuer gewordene Eigenmarken

Eine Zusatzbelastung für einkommensschwache Haushalte ist die Teuerung bei den Eigenmarken. Die Preise für günstige Lebensmittel und Drogeriewaren seien stärker gestiegen als die Inflationsrate, kritisierte die Arbeiterkammer (AK). Ob die Handelskonzerne hier einen überproportionalen Aufschlag verlangen, sei ohne Kenntnis der Kostenkalkulation schwer abschätzbar, sagte IHS-Forscher Koch.

Es könne auch einen ökonomischen Grund geben, so Koch: Bei Markenartikeln sei die Kostenstruktur eine andere, da das Werbebudget höher ist. Wenn Energie und landwirtschaftliche Rohstoffe teurer werden, so schlügen die höhere Kosten bei den Eigenmarken prozentual mehr auf die Preise durch als bei Markenartikeln.

Suche nach Verantwortlichen

Sozialminister Rauch, Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) haben für Montag ein Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern der Handelskonzerne und der Landwirtschaft, den Sozialpartnern und Wirtschaftsforschungseinrichtungen einberufen.

Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne)
APA/Georg Hochmuth
Rauch (re.) will mit dem Handel über die Preise sprechen, Kocher sah den Wettbewerb gegeben

ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher erklärte zunächst gegenüber dem „Standard“, er sehe aktuell keine Hinweise, dass in diesem Bereich der Wettbewerb zu schwach wäre. Am Donnerstag betonte der Minister dann bei einer Pressekonferenz die Wirksamkeit von Preistransparenz. Vorbild könne hier die Spritpreisdatenbank sein. Wobei es insbesondere bei heterogenen Produkten schwierig sei, Preise zu vergleichen, etwa zwischen Bio- und Nicht-Bioprodukten. Kocher will sich jedenfalls mit Fachleuten und der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) zusammensetzen.

Koch: Wettbewerb fördern

Auch IHS-Experte Koch spricht sich für Maßnahmen zur Stärkung des Wettbewerbs aus. Bis 2015 habe das EU-Statistikamt Eurostat Preise für Lebensmittel veröffentlicht, die „absolut“ vergleichbar gewesen seien. Anhand dieser Daten ließe sich der Unterschied im Preisniveau zwischen Österreich und Deutschland leicht feststellen.

„Man könnte auch die Entwicklung von Apps unterstützen, die Kassenbons einscannen und den Nutzern dann die Supermärkte mit den günstigsten Preisen anzeigen. Auch das gibt es bereits in Deutschland“, schlug der Ökonom weiters vor. Unabhängig davon plädiert er für „deutlich mehr Rechte und Mittel“ für die BWB.

Heikle Eingriffe in den Markt

Eingriffe in die Preisgestaltung sieht er kritisch. Bei einer Senkung der Mehrwertsteuer etwa „weiß man nie, was im Endeffekt passieren wird“. In der Praxis lasse sich auch nur schwer kontrollieren, in welchem Umfang die Mehrwertsteuersenkung weitergegeben werde und was passieren wird, wenn die Maßnahme ausläuft. „Es kann sein, dass man dann sogar mit höheren Preisen dasteht als ohne Maßnahme“, so Koch.

Als Negativbeispiel nennt er die Gastronomie. Die Mehrwertsteuersenkung während der Pandemie sei von der Branche nicht weitergegeben worden, „was auch politisch so signalisiert war“. Nach Auslaufen der Maßnahmen sei die Erhöhung dann aber direkt weitergegeben worden. Ein „No-Go“, so Koch.

„Gießkanne auf Steroiden“

WIFO-Experte Baumgartner verweist zudem auf die hohen Kosten – und die soziale Komponente. Eine breite MwSt-Senkung begünstige Haushalte mit hohem Einkommen. „Bei den Reichsten würde dabei das meiste an Förderung ankommen. Das wäre dann die Gießkanne auf Steroiden – und das Gegenteil einer zielgerichteten Unterstützung“, so Baumgartner.

„Die Haushalte, die es am dringendsten brauchen, sollten die höchsten und nicht die niedrigsten Unterstützungen erhalten. Haushalte in der oberen Einkommenshälfte brauchen gar keine Unterstützung, die können die Mehrbelastung aus ihren laufenden Einkommen beziehungsweise Ersparnissen tragen “, so der Ökonom.

Felbermayr: „Ergebnisoffen nachdenken“

Angesichts der hohen Teuerung kommen die unter Wirtschaftsfachleuten umstrittenen Vorschläge aber auch hierzulande aufs Tapet. WIFO-Chef Felbermayr plädierte dafür, „ergebnisoffen nachzudenken“, auch über Eingriffe, die sein Institut vor Kurzem noch abgelehnt hat, wie Mehrwertsteuersenkungen bei Nahrungsmitteln oder Mieten.

„Hier würde zwar auch das meiste der Entlastung auf die einkommensstärksten Haushalte entfallen“, so Baumgartner, „aber die Schieflage wäre nicht so groß wie bei anderen Produkten, da Haushalte mit niedrigerem Einkommen relativ zu ihren Einkommen mehr für Nahrungsmittel und Mieten ausgeben.“