Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler und Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) beim Lebensmittel-Gipfels
APA/Helmut Fohringer
„Lebensmittelgipfel“

Positionen blieben weit auseinander

Lebensmittel waren in den letzten Monaten im Schnitt um gut 15 Prozent teurer als vor einem Jahr. Einige Gründe für die Preissteigerungen liegen auf der Hand, einige sind strittig. Montagvormittag beschäftigte sich ein „Lebensmittelgipfel“ vor allem mit Preistransparenz, Wettbewerb und der Streitfrage Mehrwertsteuersenkung. Bundesregierung und Handel zogen ein positives Zwischenresümee. Was sich aber deutlich zeigte: Die Positionen liegen sehr weit auseinander.

Zu dem Gespräch im Sozialministerium hatten Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) Vertreter von Lebensmittelhandel und Industrie sowie Experten geladen. Konkret ging es bei den Gesprächen nicht nur um Ursachenforschung, sondern auch um mögliche Lösungen und die Frage: Was tun gegen die hohen Preise? Der Handel hatte im Vorfeld argumentiert, dass daran vor allem hohe Mieten, Energie- und Personalkosten schuld seien und nicht die Branche selbst.

In einem Pressestatement nach dem Termin im Sozialministerium zog Vizekanzler Kogler ein positives Zwischenresümee und erörterte kurz Ausgangslage und Inhalt der Gespräche, „zwei große Runden“, Analysen und Vorschläge, wie er sagte. Es sei für mehr und mehr Menschen ein Problem, ihre Kosten zu stemmen, Lebensmittel deckten Grundbedürfnisse, und das müsse zu einem „vertretbaren Preis“ möglich sein. Besonders betroffen seien Haushalte mit niedrigem Einkommen.

„Komplett unterschiedliche Meinungen“

Was sich auf dem Gipfel sehr deutlich gezeigt habe, so der Vizekanzler, sei, dass es in vielen Punkten naturgemäß unterschiedliche Interessen zwischen Produzenten und Handel, aber auch keine übereinstimmende Meinung zwischen diesen und Experten gebe.

Beim Thema Preistransparenz sprach Kogler von mehreren konstruktiven Vorschlägen und „Apps, die bald entstehen könnten“. Zum Thema Preiskontrolle verwies er auf die aktuelle Untersuchung der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), die „auf Hochtouren“ laufe.

Statement von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne)

Statement von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) nach dem „Lebensmittelgipfel“ im Sozialministerium.

Insbesondere bei der Frage nach einer möglichen Senkung der Mehrwertsteuer (MwSt) zeichne sich ab, „dass Experten komplett unterschiedliche Meinungen“ vertreten. Jedenfalls sei die Idee nicht ganz einfach umzusetzen, es brauche begleitend eine genaue Preisbeobachtung und strenge Wettbewerbsregeln. Ähnliches gelte, so Kogler, für Energiekostenzuschüsse für den Handel, die sich – das als Grundvoraussetzung – in den Kalkulationen widerspiegeln müssten.

Erzeugerpreis und Supermarktkassa

Landwirtschaftsminister Totschnig wies darauf hin, dass die Teuerung auch die Produzenten, also die Landwirtschaft, stark belaste. Der hohe Dieselpreis etwa ließ die Betriebskosten steigen, Düngemittel wurden insbesondere mit dem Krieg in der Ukraine deutlich teurer.

Grafik zur Entwicklung der Lebensmittelpreise
Grafik: APA/ORF; Quelle: Eurostat

Die Inflation bei Lebensmitteln liege in Österreich zwar im unteren EU-Drittel, dennoch sei sie „deutlich spürbar“. Die Erzeugerpreise seien in den letzten Monaten gesunken, aber davon bemerke man oft sehr wenig an der Supermarktkassa. Ein Punkt, den auch Kogler angesprochen hatte, war die Zusammenarbeit mit Tafeln bzw. Sozialmärkten. Hier gebe es seitens der Landwirtschaft Potenzial, so Totschnig. Fest stehe, so der Landwirtschaftsminister, „dass wir in Österreich mehr Preistransparenz brauchen“.

Statement von Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP)

Statement von Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) nach dem „Lebensmittelgipfel“ im Sozialministerium.

Auch er hob die aktuelle Studie der BWB hervor. Das Verhältnis von Ein- und Verkaufspreisen müsse klarer nachvollziehbar werden – „wo ist jetzt welche Preisgestaltung passiert“? Dazu erwarte man sich klare Aussagen. Generell sprach auch Totschnig von einer konstruktiven Diskussion.

Nachvollziehbarkeit der Preisgestaltung

Auch Konsumentenschutz- und Sozialminister Rauch betonte, dass es generell sehr unterschiedliche Einschätzungen über Ursachen und Maßnahmen gebe. Aber es sei richtig gewesen, Handel, Produzenten und Experten an einen Tisch zu holen, um die Situation zu analysieren und der Frage nachzugehen: „Welche Möglichkeiten haben wir?“

Statement von Konsumentenschutzminister Johannes Rauch (Grüne)

Statement von Sozial- und Konsumentenschutzminister Johannes Rauch (Grüne).

An einer Einschätzung – einige Experten ziehen diese in Zweifel – hielt Rauch fest, dass nämlich das Preisniveau in Österreich deutlich über dem Deutschlands liege (wobei sich die MwSt-Sätze unterscheiden, Anm.). Jedenfalls sei es nicht ausreichend nachvollziehbar, wie die Preisgestaltung entlang der Linie Produktion und Handel aussieht. Die Frage sei, wie diese Nachvollziehbarkeit der Preisgestaltung verbessert werden könne. Auch der Sozialminister verwies dazu auf die BWB.

Grafik zur Entwicklung der Lebensmittelpreise
Grafik: APA/ORF; Quelle: Eurostat

Rauch: „Kein Umverteilungseffekt von unten nach oben“

Zum Thema Senkung der Mehrwertsteuer betonte Rauch, dass eine solche ausschließlich dann Sinn habe, wenn sichergestellt sei, dass sie auch an die Konsumenten weitergegeben werde und kein Umverteilungseffekt von unten nach oben stattfinde. Einige EU-Staaten haben die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel bereits gesenkt.

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler und Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) beim Lebensmittel-Gipfels
APA/Helmut Fohringer
Zu dem „Gipfel“ hatte die Regierung Vertreter und Vertreterinnen aus Produktion, Handel und Experten geladen

Für die Tafeln werde es mehr Unterstützung geben, sagte auch Rauch. Überhaupt könne es nicht sein, dass Gemüse nur aus Gründen der Optik weggeworfen werde. Es werde weitere Gespräche geben, kündigte der Sozialminister an, und zwar rasch, weil die Regierung entscheiden müsse, an welchen Hebeln sie schalten müsse.

Die vergleichsweise hohe Konzentration im Lebensmittelhandel nannte Rauch nicht im Sinne des Wettbewerbs. Diese starke Konzentration hat sich in den letzten 30 Jahren herausgebildet. Die drei größten Lebensmitteleinzelhändler – Spar, REWE und Hofer – nahmen laut dem Marktforscher RegioData zusammen zuletzt etwa 84 Prozent des gesamten Marktes ein.

Handel sieht Preise „kostengetrieben“

Der Handel hatte – wie erwähnt – im Vorfeld des „Lebensmittelgipfels“ eine Verantwortung für die Preissteigerungen zurückgewiesen. Folglich nannte sie der Geschäftsführer des Handelsverbandes, Rainer Will, in seinem Statement nach dem Termin im Sozialministerium ausschließlich kostengetrieben. Konkret sprach er die Energiepreise an. Man müsse Ursache und Wirkung unterscheiden, so Will, der als Erster vor das Mikrofon getreten war.

Grafik zu Lebensmittelhandelsketten
Grafik: APA/ORF; Quelle: RegioData

Der Handel habe sich aber verpflichtet, seine „Transparenzanstrengungen“ zu intensivieren, sagte er weiter. Die günstigsten Produkte sollen laufend online ausgewiesen und gleichzeitig dem Ministerium gemeldet werden. Das mehrfach angesprochene „französische Modell“ – der temporäre, freiwillige Verzicht des Handels auf Preiserhöhungen – nannte Will ein „nicht erprobtes und nicht sinnvolles Modell“. Es umzusetzen würde implizieren, dass der Handel „ein Körbergeld draufschlägt“.

Mehrwertsteuer und „Gießkannen“

Am Sonntag hatte der Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), Klaus Neusser, in der ORF-"Pressestunde betont, dass das Niveau der Teuerung bei Lebensmitteln zwar im Vergleich zu Deutschland hoch sei, der Preisanstieg aber unter dem EU-Durchschnitt liege. Getrieben werde die Inflation hierzulande vor allem vom Energiesektor sowie vom Freizeit- und Gastronomiesektor. Das derzeitige Narrativ sei falsch, so Neusser.

Grafik zu Lebensmittelpreisen
Grafik: APA/ORF; Quelle: IHS

Die Debatte über die weiterhin hohe Inflation im Lebensmittelbereich (zuletzt mehr als 14 Prozent) läuft seit Monaten. Im Gegensatz zu anderen Ländern griff die heimische Regierung nicht in den Markt ein, etwa mit der Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. Eine solche hatte auch Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) am Samstag erneut ausgeschlossen.

Debatte über Preiseingriffe

In anderen europäischen Ländern habe man gesehen, dass diese Maßnahme nicht oder nur teilweise an die Endverbraucher weitergegeben werde, sagte er. Außerdem handle es sich dabei um eine „Gießkannenmethode“, von der vor allem Menschen mit höheren Einkommen besonders stark profitieren würden. „Also ob das gescheit ist, ist die Frage.“

IHS-Chef Neusser zur Inflationsbekämpfung

Der Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), Klaus Neusser, war am Sonntag zu Gast in der ORF-„Pressestunde“. Dort sprach er unter anderem über die wichtige Unterscheidung zwischen Inflationsbekämpfung und Sozialpolitik.

Während WIFO-Chef Gabriel Felbermayr zuletzt für eine ergebnisoffene Diskussion über die Mehrwertsteuersenkung plädierte, hielt sich Neusser eher zurück. Preiseingriffe lehne er ab, wie er in der ORF-„Pressestunde“ sagte. Eine Mehrwertsteuersenkung für bestimmte Lebensmittel würde die Nachfrage und damit die Inflation befeuern. Er halte die Entscheidung, die Kaufkraft zu stärken, für richtig, „allerdings ist das Problem, dass wir zu sehr mit der Gießkanne gearbeitet haben“.

„Äpfel und Birnen“, Österreich und Deutschland

Auch Rainer Trefelik, Obmann der Handelssparte in der Wirtschaftskammer (WKÖ), sah zuletzt keinen Handlungsbedarf bei Transparenz und Wettbewerb. Auch im Energiesektor gebe es keine wirkliche Preistransparenz. Alle angebotenen Produkte öffentlich zu machen wäre ein zu hoher bürokratischer Aufwand. Trefelik sieht in der Kritik am Lebensmitteleinzelhandel vor allem Populismus. Gegenüber Ö1 sprach der von „Äpfel-und-Birnen“-Vergleichen.

Der Großhandelsindex etwa sei zwar insgesamt gesunken, nicht aber bei relevanten Kategorien wie Zucker, Backwaren und anderen für Lebensmittel relevanten Produkten. Preisvergleiche mit Deutschland seien unfair, der deutsche Markt sei zehnmal so groß und die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel mit sieben Prozent niedriger als in Österreich, wo zehn Prozent Steuern fällig werden.