Pressekonferenz nach dem Lebensmittel-Gipfel
APA/Helmut Fohringer
Themensetzung

Wenn die Politik zum Gipfel lädt

Seit Wochen ist über Maßnahmen gegen die hohe Inflation im Lebensmittelbereich debattiert worden. Ein „Lebensmittelgipfel“ sollte erste Antworten auf drängende Fragen liefern. Doch konkrete Ergebnisse blieben aus. Danach war von „Totalversagen“ die Rede. Über den Gipfel hieß es schlicht: „Viel Lärm um nichts.“ Dabei hätten Gipfeltreffen durchaus Potenzial.

Es war nicht der erste Gipfel der ÖVP-Grünen-Regierung. Schon kurz nach der Angelobung 2020 fand ein „Zivildienstgipfel“ statt, wenige Monate später ein „Tierschutzgipfel“. Über die Jahre begleiteten zig Gipfel zur Coronavirus-Pandemie (von „Krisengipfel“ bis den von der Wirtschaft veranstaltete „Öffnungsgipfel“) die Bevölkerung. Auch zum „Luftfahrtgipfel“ und zum „Breitbandgipfel“ wurde geladen. Im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine konzentrierte man sich vordergründig auf Themen wie Energie und Sicherheit. Im April gingen ein „Autogipfel“ und ein „Wasserstoffgipfel“ im Kanzleramt über die Bühne, am Montag der „Lebensmittelgipfel“ im Sozialministerium.

Gipfel sind eine gängige Methode in der Politik, um Themen zu setzen. Es handle sich dabei um „PR-Veranstaltungen“, sagt Politikberater Thomas Hofer, der das allerdings gar nicht negativ werten möchte, gegenüber ORF.at. Die Kommunikation über aktuelle Themen sei eben Teil des politischen Geschäfts. In den Treffen komme die Regierung auch mit Fachleuten und Vertretern der jeweiligen Branche in Kontakt. Das Ziel müsse aber immer sein, Ergebnisse zu präsentieren, wie jüngst beispielsweise beim „Ehrenamtsgipfel“ oder bei den vergangenen „Gewaltschutzgipfeln“.

Auszug bisheriger Gipfel

Seit 2020 wurden unter anderem Gipfel zu den Themen Zivildienst, Tierschutz, Gewaltschutz, Breitband, Inklusion, Gewaltschutz, Energiepreis, Jobs, Kinderschutz, Gasinfrastruktur, Autos, Wasserstoff, Ehrenamt und Lebensmittel veranstaltet.

In der Regel stehe das, was man präsentieren möchte, schon vor dem Treffen fest. Denn ein Gipfel baue auf intensiven Vorarbeiten auf, betont Hofer. Gerade deshalb hebe sich der „Lebensmittelgipfel“ von denen davor ab. Dieser sei „eine PR-Veranstaltung ohne PR“ gewesen. „Bei vielen Menschen blieb vermutlich hängen, dass der Regierung unklar ist, was sie eigentlich machen wird“, sagt Hofer. Das Loch will die Regierung am Mittwoch im Ministerrat offenbar stopfen, indem sie ein Paket gegen die Teuerung präsentieren will. Was genau vorgesehen ist, blieb am Dienstag unklar.

Gipfel als „symbolischer Aktivismus“

Ausgegangen war der Gipfel am Montag von Sozialminister Johannes Rauch und Vizekanzler Werner Kogler (beide Grüne). Die Gründe für die hohen Preise in den Regalen sollten offengelegt werden. Von der ÖVP war Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig dabei. Mehr als 40 Personen hatten zwei Stunden über Preistransparenz und Wettbewerb sowie die Streitfrage Mehrwertsteuersenkung diskutiert. Regierung und Handel zogen für sich ein positives Zwischenresümee. Konkrete Ergebnisse konnte man aber nicht präsentieren.

Politikexpertin Kathrin Stainer-Hämmerle bezeichnet im Gespräch mit ORF.at das Gipfeltreffen ohne Ergebnis als „symbolischen Aktivismus“. Man konnte die „Handlungsunfähigkeit“ der Regierung sehen. Denn ÖVP und Grüne seien sich vor dem Gipfel offenbar nicht einig gewesen, wie sie gegen die hohe Inflation vorgehen sollen. „Man hat schon in den Wochen davor gemerkt, dass die gemeinsame Basis für gemeinsame Ziele und Lösungen kaum mehr gegeben ist“, argumentiert die Forscherin, die gleichzeitig an parteipolitische Alleingänge erinnert.

Ehrenamtsgipfel im Bundeskanzleramt
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Seit der Angelobung der ÖVP-Grünen-Regierung haben mehrere Gipfel stattgefunden, hier der Ehrenamtsgipfel im Mai 2023

Der „Autogipfel“ von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sei so ein Alleingang gewesen, betont Hofer. Dieser habe lediglich der „eigenen Positionierung“ der Kanzlerpartei gedient. Den „Lebensmittelgipfel“ könne man auch als Alleingang bezeichnen, allerdings hatten Rauch und Kogler ein damit ein aktuelles Thema in den Vordergrund gestellt. Die Bevölkerung habe sich zumindest Antworten und erste Schritte erhofft, so Hofer. Stattdessen habe es eine Ankündigung gegeben, so Stainer-Hämmerle. „Nach Gipfeln sollte die Politik erste Ergebnisse präsentieren, nicht verkünden, dass man über Lösungen nachdenkt.“

ÖVP und Grüne in „friedlicher Koexistenz“

Neben der Opposition und Interessenverbänden übten auch Medien scharfe Kritik. Die „Kronen Zeitung“ fragte sich etwa, ob sich niemand um das Schicksal der kleinen Läden und Leute schere. Der „Kurier“ schrieb von einer „Polit-Show“, und der „Standard“ fasste zusammen, dass man sich ob der großen Teilnehmerzahl ausmalen konnte, dass man in zwei Stunden zu kaum mehr kommen würde, als „vorgefertigte Statements darzulegen“. Nach Ansicht der „Kleinen Zeitung“ hätten sich die handelnden Personen mehr einfallen lassen können.

Für Hofer bieten Gipfel und Kampagnen („Kanzlerrede“) auch ein Bild über den Zustand der ÖVP-Grünen-Regierung. Die beiden Parteien hätten sich auf eine „friedliche Koexistenz“ geeinigt. „Die Achsen zwischen Klubobleuten sowie Kanzler und Vizekanzler sind stabil. Derzeit befindet sich die Regierung aber im Vorwahlkampf. Jede Partei steckt für sich schon bestimmte Themen ab“, sagt der Politexperte. Weil es zwischen den Zielgruppen von ÖVP und Grünen kaum Berührungspunkte gebe, kämen sich die Parteien thematisch auch nicht in die Quere.

Kritik als Warnung empfinden

Mehr als üblich dominiere die „eigene Agenda“, sagt auch Expertin Stainer-Hämmerle. Das bedeute aber nicht, dass sich die ÖVP oder die Grünen nun aus der Koalition verabschieden würden. Sie hätten klar kommuniziert, dass man noch ein paar Vorhaben abarbeiten will, so Stainer-Hämmerle. Das sei trotz des Fokus auf eigene Themen wichtig. Die Regierungsparteien müssten bereit sein, sich wieder mehr auf Kompromisse zu einigen. Gerade wenn sich in Krisenzeiten das Gefühl ausbreitet, dass auf Regierungsebene nichts mehr weitergeht, könne die Stimmung in der Bevölkerung weiter kippen, sagt auch Hofer.

Kritik nach dem „Lebensmittelgipfel“

Montagvormittag beschäftigte sich ein „Lebensmittelgipfel“ mit den aktuell hohen Preisen. Opposition, Arbeiterkammer und Gewerkschaft äußerten in der Folge viel Kritik.

Die jüngste mediale Kritik am „Lebensmittelgipfel“ könne jedenfalls als Warnung verstanden werden, den „Pfad der Parteipolitik“ einmal zu verlassen. Bei drängenden Fragen, wie etwa bei der hohen Inflation, sei ein gemeinsames Vorgehen wichtig. Im selben Atemzug erwähnt Hofer die Nationalratswahl. „Selbst wenn die Wahl wie vorgesehen im Herbst 2024 stattfindet: Es ist anzunehmen, dass sich alle Parteien nach dem Sommer wieder stärker mit eigenen Themen positionieren wollen.“