Wagner-Chef Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin
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Kiew Daten angeboten?

Prigoschins dubiose Rolle im Krieg

Der Konflikt zwischen dem Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, und dem Kreml schwelt weiter. Einem Zeitungsbericht zufolge bot der Wagner-Chef der ukrainischen Regierung zwischenzeitlich an, die Positionen russischer Truppen preiszugeben. Prigoschin dementierte den Bericht am Montag – seine Rolle im Krieg scheint aber zunehmend undurchsichtig. Zuletzt hatte er dem Kreml mit dem Abzug seiner Kämpfer aus der ukrainischen Stadt Bachmut gedroht.

Prigoschin wies einen möglichen Verrat russischer Stellungen an die Ukraine zurück. Das sei „Unsinn“, erklärte er in einer Audiobotschaft auf Telegram. Er habe auch nicht Kyrylo Budanow, den Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, in einem afrikanischen Land getroffen, wie die „Washington Post“ („WP“) aus einem durchgesickerten Dokument erfahren haben will.

Als Prigoschin zuvor darüber informiert worden sei, dass Dokumente des US-Geheimdienstes Prigoschins Kommunikation mit dem ukrainischen Geheimdienst enthüllen würden, habe dieser die Situation zunächst noch verharmlost, berichtete die „Washington Post“. Er könne diese Information „natürlich“ bestätigen, man habe vor den ausländischen Spezialdiensten nichts zu verbergen. Er und der Leiter des ukrainischen Militärdienstes seien immer noch in Afrika, zitierte die Zeitung ein Telegram-Posting Prigoschins von Sonntag.

Seit Beginn des Krieges sei er nicht mehr in Afrika gewesen, sagte Prigoschin jedoch am Montag und nannte die Idee eines Telefongesprächs mit Budanow lächerlich. Auch das Präsidialamt in Moskau erklärte, der Bericht scheine eine Fälschung zu sein.

Bericht: Ukrainische Beamte bestätigen Kontakt

Der Bericht der US-Zeitung stützt sich auf geheime US-Dokumente, die laut „Washington Post“ der Chatplattform Discord zugespielt wurden. Voraussetzung des Offerts sei gewesen, dass sich die Ukraine aus dem heftig umkämpften Bachmut zurückziehe, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Dokumente des US-Geheimdienstes.

Wagner-Soldaten in der Ukraine
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Kämpfer der Söldnergruppe Wagner in der Ukraine

Prigoschin habe sein Angebot im Jänner über seine Kontakte zum ukrainischen Geheimdienst unterbreitet, mit denen er seit Beginn des Krieges im Austausch stehe. Mit Hilfe der Positionen hätten sie die Truppen angreifen können. In einem Interview mit der „Washington Post“ habe der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Austausch mit Prigoschin nicht bestätigen wollen, es handle sich um „eine Angelegenheit des Geheimdienstes“.

Aus dem Dokument gehe nicht hervor, welche russischen Stellungen Prigoschin habe preisgeben wollen, so die „Washiongton Post“. Zwei ukrainische Beamte hätten bestätigt, dass Prigoschin bereits mehrmals mit der ukrainischen Geheimdienstdirektion in Verbindung gestanden sei, so die Zeitung weiter. Kiew habe abgelehnt, da die Beamten Prigoschin nicht vertrauen und seine Vorschläge für unaufrichtig halten würden.

Detail einer Wagner Uniform
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Wagner-Söldner kämpfen an der Seite Russlands in der Ukraine

Prigoschin klagt über fehlende Munition

In Kriegszeiten sei es nicht ungewöhnlich, dass gegnerische Parteien miteinander kommunizieren, so die „Washington Post“. Die Rolle Prigoschins im Kriegsgeschehen scheint durch den Bericht aber einmal mehr undurchsichtig zu sein.

Prigoschin gilt als wichtiger Verbündeter von Kreml-Chef Wladimir Putin, kritisiert aber seit Monaten immer wieder die Armeespitze und behauptet, dass seine Männer nicht ausreichend versorgt würden. Die russische Armee beschuldigte er zudem, die „Flucht“ aus Stellungen bei Bachmut ergriffen zu haben.

Der seit Monaten schwelende Konflikt hat sich in den letzten Wochen zunehmend verschärft. So hatte Prigoschin nach Klagen über fehlende Munition dem Kreml bereits medienwirksam mit dem Abzug seiner Kämpfer aus Bachmut gedroht.

Wagner-Chef Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin
AP/Prigozhin Press Service
In Videostatements kritisiert Prigoschin die russische Militärführung oftmals direkt

„Ihr Biester sitzt in teuren Clubs“

Man hätte Bachmut bereits eingenommen, hätten „die Militärbürokraten“ nicht die Munitionslieferungen gestoppt. Wegen des Munitionsmangels müssten seine Kämpfer mit einem „sinnlosen Tod“ rechnen. „Ohne Munition werden meine Burschen keine unnötig hohen Verluste tragen“, so Prigoschin. „Wir haben das natürlich in den Medien gesehen. Aber ich kann das nicht kommentieren, weil es den Verlauf der militärischen Spezialoperation betrifft“, hatte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow Prigoschins Ankündigung kommentiert.

Wenige Stunden zuvor hatte sich Prigoschin auf Telegram direkt an Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu und an Generalstabschef Waleri Gerassimow gewandt – und schrie in die Kamera: „Schoigu, Gerassimow, wo, verdammte Scheiße, ist die Munition?“ Anschließend schimpfte er weiter: „Ihr Biester, ihr sitzt in teuren Clubs, eure Kinder haben Spaß am Leben und nehmen YouTube-Clips auf.“ Hätte seine Truppe ausreichend Munition, wären die Todeszahlen fünfmal niedriger, behauptete er.

Wagner-Chef Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin vor seinen Soldaten
APA/AFP/Telegram channel of Concord group
Öffentlichkeitswirksam prangerte Prigoschin den Munitionsmangel der Armee an

Weitere durchgesickerte Dokumente würden zeigen, dass sich Beamte des russischen Verteidigungsministeriums insgeheim fragen würden, wie sie auf die Kritik Prigoschins reagieren sollen, so die „Washington Post“. Gleichzeitig würden sie die Beschwerden für berechtigt halten. Auch ein Machtkampf zwischen Prigoschin und hochrangigen Beamten, etwa dem russischen Verteidigungsminister Schoigu, werde angedeutet.

Verlustreiche Kämpfe um Bachmut

Im seit mehr als 14 Monaten andauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine kämpfen Prigoschins Söldner, die für ihr brutales Vorgehen berüchtigt sind, derzeit gemeinsam mit der russischen Armee vor allem um die seit Monaten umkämpfte Stadt Bachmut. Die Kämpfe gelten als äußerst verlustreich.

GB: Hunderte Raketen und Drohnen für Ukraine

Verschiedene EU-Staaten haben dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj weitere militärische Hilfe in Aussicht gestellt. Die britische Regierung will Hunderte Flugabwehrraketen und Kampfdrohnen liefern.

Die Söldner sind seit Jahren in vielen Konfliktregionen im Einsatz, etwa in Syrien und afrikanischen Ländern. Prigoschin hatte sich erst im September öffentlich dazu bekannt, die lange geheim agierende Gruppe gegründet zu haben. Im Oktober eröffnete sie in St. Petersburg ein offizielles Hauptquartier. Wie viele Wagner-Söldner derzeit in Bachmut kämpfen, ist nicht bekannt.

Russland hält nach ukrainischen Angaben unterdessen an seinem Plan fest, Bachmut zu erobern. Dazu würden neue Angriffstruppen in die Außenbezirke der Stadt geschickt, teilte die ukrainische Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar auf Telegram mit.