Griechisches Parlament
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Griechenland

Wahltag mit neuen Regeln

In Griechenland wird am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Mit einer jetzt schlagend werdenden Wahlrechtsreform wird sich die absolute Mandatsmehrheit für Premier Kyriakos Mitsotakis und seine konservative Nea Dimokratia (ND) wohl nicht mehr ausgehen, legen Umfragen nahe. Koalitionen haben in Athen keine Tradition, und Mitsotakis sieht die Zusammenarbeit mit anderen Parteien als Zeichen der Instabilität. So könnte die nächste Wahl womöglich schon Anfang Juli, dann wieder mit neuen Regeln, stattfinden.

„Die Bürger sind aufgefordert zu entscheiden, ob wir weiter voranschreiten oder in eine Vergangenheit zurückkehren, von der ich glaube, dass wir sie vergessen wollen“, sagte Mitsotakis in einer TV-Wahlkonfrontation mit den Chefs der sechs größten Parteien mit Blick auf die frühere schwere Finanzkrise des Landes. Obwohl seine Regierung nach dem schweren Zugsunglück im März mit 57 Toten von heftigen Protesten erschüttert wurde und Angehörige von Opfern des Unglücks Strafanzeige gegen Mitsotakis erstatteten, liegt die ND Umfragen zufolge mit rund 36 Prozent der Stimmen voran, gefolgt von der linken SYRIZA unter Mitsotakis’ Vorgänger Alexis Tsipras, dem rund 30 Prozent prognostiziert werden.

Die sozialdemokratische PASOK kann mit rund zehn Prozent rechnen. Trotz der zersplitterten griechischen Parteienlandschaft haben derzeit voraussichtlich nur die bereits im Parlament vertretenen Parteien realistische Chancen auf Mandate. Neben ND, SYRIZA und PASOK sind das die Kommunisten (KKE), die rechtspopulistische Griechische Lösung (EL) sowie die linke Partei Mera25 des früheren Finanzministers Yanis Varoufakis. Von den rund zehn Millionen Wahlberechtigten, darunter fast 440.000 Erstwählerinnen und Erstwähler ab 16 Jahren, war jeder Zehnte zuletzt noch unentschieden – und viele Menschen sind von der griechischen Politik längst desillusioniert.

Parlamentswahl in Griechenland

In Griechenland wird ein neues Parlament gewählt. Die Umfragen sagen der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia die meisten Stimmen voraus – eine absolute Mehrheit scheint aber fraglich.

Absolute Mehrheit durch Bonussitze abgeschafft

Bisher sah das Wahlgesetz vor, dass der stärksten Partei nach der Wahl automatisch 50 Sitze im 300-köpfigen Parlament zugeschlagen werden. Diese Regel ließ Tsipras 2016 in seiner Amtszeit abschaffen, mit einfacher Mehrheit beschlossen, galt diese Änderung aber nicht schon bei der letzten Wahl 2019, sondern erst jetzt. Das heißt, dass nun für eine Regierungsbildung etwa 45 Prozent der Stimmen gebraucht werden. Eine Alleinregierung dürfte sich für Mitsotakis damit den aktuellen Umfragen zufolge nicht mehr ausgehen.

Debatte von griechischen Politikern
APA/AFP/Aris Messinis
Beobachter halten es für wahrscheinlich, dass nach der Wahl der Wahlkampf gleich weitergeht

Bei nächster Wahl wieder neues System

Bleibt Mitsotakis bei seiner prinzipiellen Absage an eine Koalition, würde das mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem weiteren Wahlgang in rund einem Monat führen. Dann wiederum gelten erneut neue Regeln, dieses Mal jene, die Mitsotakis 2020 schon vorsorglich verabschieden ließ. Sie bringen die Bonussitze zurück, wenn auch in abgeschwächter Form: Eine Partei muss dann mindestens 25 Prozent der Stimmen erhalten, um 20 Extrasitze zu bekommen. Gestaffelt steigt diese Zahl, erst ab 40 Prozent kommt das Maximum von 50 geschenkten Mandaten zum Tragen.

Änderungen wie diese haben in Griechenland Tradition: Seit dem Ende der Obristenherrschaft 1974 gab es kaum eine Parlamentswahl mit dem gleichen Wahlrecht – und fast durchgehend durch Bonussitze ermöglichte Alleinregierungen. Einzig Ende der 1980er Jahre gab es keine derartige Regelung, und es brauchte drei Wahlanläufe, bevor es Konstantinos Mitsotakis – dem Vater des aktuellen Premiers – 1990 gelang, mit minimaler Mehrheit eine Alleinregierung der ND zu bilden. Diese überstand die Legislaturperiode nicht, bei den nächsten Wahlen übernahm wieder die PASOK unter Andreas Papandreou, der auch schon zuvor zwei Amtszeiten lang als Premier das Land führte.

Oppositionschefs für Koalitionsbildung

Gerade jene Parteien, die in den vergangenen Jahrzehnten alleine regierten, hätten das Land erst in die schwere Krise geführt, argumentiert nun SYRIZA-Chef Tsipras. Sowohl er als auch PASOK-Chef Nikos Androulakis sprachen sich für eine Koalitionsregierung nach der Wahl aus – einfach zu bilden wäre eine solche aber nicht angesichts tiefer Gräben zwischen nahezu allen Parteien unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen.

Wahl-Plakat von Alexis Tsipras
AP/Petros Giannakouris
„Wir wissen, dass wir die Veränderung schaffen können“, plakatiert Tsipras

Koalitionspartner nicht in Sicht

Abgesehen von der grundsätzlichen Ablehnung einer Koalitionsregierung hätte es die ND unter Mitsotakis auch schwer, einen Partner zu finden. Tsipras wirft ihm Korruption, Machtmissbrauch und Einschränkung der Pressefreiheit vor und argumentiert, dass es der aktuellen Politik geschuldet sei, dass der Wirtschaftsaufschwung an den Menschen vorbeigehe.

Eine Regierungsbildung mit der PASOK dürfte für die ND rechnerisch schon schwieriger werden und brauchte wohl zumindest auf einer Seite einen Vorsitzwechsel: Nachdem im vergangenen Sommer bekanntwurde, dass neben anderen Politikern auch Androulakis im Auftrag der Regierung vom Geheimdienst abgehört wurde, schloss er eine Zusammenarbeit mit Mitsotakis kategorisch aus.

Griechischer Premierministers Kyriakos Mitsotakis
IMAGO/ANE Edition/Giorgos Kontarinis /Eurokinissi
Mitsotakis ist kein Freund von Koalitionen

Linkes Bündnis mit vielen Fragezeichen

Theoretisch wäre auch die Bildung einer Koalition unter der Leitung der SYRIZA möglich, auch wenn sie nur zweitstärkste Partei wird. Tsipras kündigte bereits an, dass er eine Regierungsbildung nur dann für möglich halte, wenn er – den Umfragen zum Trotz – Stärkster wird.

Aber selbst dann würde er neben der PASOK noch einen weiteren Partner brauchen – wofür nur die linksradikale MeRA25 infrage käme. Gegen ihn hat nicht nur Tsipras Vorbehalte, seit es 2015 während der Verhandlungen Griechenlands mit der EU-Troika zum offenen Bruch zwischen dem damaligen Premier und seinem Minister kam. Auch von PASOK-Seite wird Varoufakis großes Misstrauen entgegengebracht.

Griechenland vor Parlamentswahlen

Griechenland wählt am Sonntag ein neues Parlament. In allen Umfragen liegt der bisherige Premierminister von den Konservativen in Führung.

Rechtsaußen-Parteien in Nebenrolle

Eine untergeordnete Rolle spielen bei den Wahlen die Rechtsaußen-Parteien. Zur Wahl steht die rechtspopulistische Elliniki Lysi (Griechische Lösung), die jedoch nur knapp den Einzug ins Parlament schaffen dürfte.

Erst Anfang Mai schloss das oberste Gericht die rechtsnationalistische Partei Die Griechen von Ilias Kasidiaris, einem früheren Spitzenpolitiker der verbotenen neofaschistischen Goldenen Morgenröte, von der Wahl aus. Kasidiaris, der von 2012 bis 2019 für die Neofaschisten im Parlament gesessen war, hatte Die Griechen 2020 gegründet, musste aber schon kurz darauf ins Gefängnis.