Johanna Mikl-Leitner umgeben von männlichen Kollegen
ORF/Christian Öser
Weniger Frauen in Politik

Hürden auf dem Weg zur Gleichstellung

Die Politik in Österreich ist großteils in Männerhand. Im internationalen Vergleich ist man bei der Gleichstellung von Mann und Frau abgestürzt, der Anteil der weiblichen Landtagsabgeordneten ist gesunken, und auch auf Bundesebene gibt es keine Geschlechterparität. Mechanismen bei der Listenerstellung und Quoten sollen Abhilfe schaffen – in der Praxis stehen sie aber vor einigen Hürden.

In dem Mitte Juni veröffentlichten Bericht des Weltwirtschaftsforums (WEF) verschlechterte sich Österreich um ganze 26 Plätze auf Rang 47. Ausschlaggebend war der Bereich Politik. Dort ist die Zahl der Ministerinnen wegen des Ausscheidens von Margarete Schramböck und Elisabeth Köstinger (beide ÖVP) gesunken. Der Anteil weiblicher Regierungsmitglieder ist mit aktuell 44 Prozent im letzten Jahrzehnt zwar gesamt gestiegen, der Anstieg war aber von starken Schwankungen geprägt.

So gab es 2016 mit nur einem Viertel weiblicher Regierungsmitglieder erneut einen Tiefpunkt. Unter der Übergangsregierung von Brigitte Bierlein wurde drei Jahre später zum ersten Mal ein Frauenanteil von 50 Prozent erreicht, zudem bekam Österreich mit Bierlein seine bisher einzige Bundeskanzlerin. Infolge der Bundesregierung Sebastian Kurz II im Dezember 2020 gab es mit 53 Prozent zum ersten Mal mehr Frauen als Männer in der Regierung, 2021 fiel der Anteil auf 47 Prozent.

Einberechnet werden in dem WEF-Bericht auch Frauen als Staatsoberhäupter sowie ihr Anteil im Parlament. Im Nationalrat und im Bundesrat sind Frauen mit jeweils rund 41 und 43 Prozent gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung und den Wahlberechtigten unterrepräsentiert. Die Wahlen in Niederösterreich, Salzburg und Kärnten haben zuletzt zu weniger Frauen in den Landtagen geführt: Lag der Anteil der weiblichen Abgeordneten Anfang des Jahres noch bei knapp 37 Prozent, ist er nun auf 35,7 Prozent gefallen.

Vorzugsstimmen als Hürde für Frauen

Nach den Landtagswahlen in Niederösterreich wurden daher vonseiten der ÖVP-Frauen Rufe laut, das Wahllistensystem – konkret das Vorzugsstimmensystem – zu überdenken. Eine „gute Alternative“ sei das Reißverschlusssystem, also die Listung abwechselnd weiblicher und männlicher Kandidaten und Kandidatinnen, so Vorsitzende Doris Berger-Grabner gegenüber noe.ORF.at.

Wie politische Positionen gewählt werden, spiele bei der Teilhabe von Frauen in der Politik tatsächlich eine wesentliche Rolle, so auch die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle gegenüber ORF.at. „Es ist eine paradoxe Situation – je mehr Wählerinnen und Wähler Einfluss auf die Wahllisten haben, desto schlechter ist das für Frauen.“

Es sei zwar positiv, dass durch Vorzugsstimmen nicht nur Parteien darüber entscheiden könnten, wer Politik mitgestalte. Gleichzeitig würden Direktwahlmodelle aber das Manko mit sich bringen, dass sie Frauen benachteiligen. Denn „Führung und Macht“ würden nach wie vor eher Männern zugesprochen. Zudem würden Stimme, Kleidung und bestimmtes Auftreten bei Frauen anders gewertet und oft mit weniger Kompetenz in Verbindung gebracht.

Wahlplakate von Kay-Michael Dankl und Marlene Svazek
ORF/Georg Hummer
Wahlplakate von Kay-Michael Dankl (KPÖ) und Marlene Svazek (FPÖ) in Salzburg

Reißverschluss mit Hürden

Aber auch das Reißverschlusssystem allein sei keine Lösung. „Es geht darum, noch einmal genauer hinzuschauen: Wer bekommt auf der Liste den ersten Platz und auf wen entfällt ein Kampfmandat?“, sagt Stainer-Hämmerle. In Kärnten zogen Anfang März zum Beispiel 30 Politiker und sechs Politikerinnen in den Landtag ein. Die SPÖ habe dabei ihre Quote von 40 Prozent nicht erfüllt – weil vor allem Frauen auf einem Kampfmandat gesessen seien. Diesen Kampf um Vorzugsstimmen hätten sie eben verloren.

Und auch bei der ÖVP, die sich erstmals für die Nationalratswahl 2017 im Regionalwahlkreis und bei der Landes- und Bundesliste ein Reißverschlusssystem auferlegt hat, zeigt der Mechanismus nicht immer Wirkung. Laut einer Erhebung der Universität Wien ist etwa beim Nationalratswahlkampf 2017 klar ersichtlich, dass überproportional viele Frauen aufgrund der Vorzugsstimmenregelung Männern weichen mussten.

Erhöhung der Parteienförderung als Anreiz

Als mögliche Lösung nennt Stainer-Hämmerle gegenüber ORF.at weniger Fokus auf Listen, sondern vielmehr ein positives Anreizsystem. „Ein pragmatischer Tipp wäre die Einführung eines 15-prozentigen Sonderbonus bei der Parteienförderung bei einer 40-prozentigen Frauenquote.“

Denn aktuell gibt es in Österreich lediglich eine freiwillige Quotenregelung bei den Parteien, auf die etwa ÖVP, SPÖ und Grüne setzen, NEOS und FPÖ aber nicht. Eine zusätzliche Förderung bei mehr als 40 Prozent Frauenanteil in den Fraktionen gibt es bereits – mit drei Prozent fällt sie jedoch kaum ins Gewicht.

Abgeordnete im Nationalrat
ORF/Roland Winkler
Gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung sind Frauen im Nationalrat unterrepräsentiert

Späte Sitzungen „strukturell frauenfeindlich“

Sollte den Parteien Geschlechterparität „wirklich ein Anliegen“ sein, müsste die Frauenförderung zudem direkt nach der Wahl beginnen und nicht erst im nächsten Wahlkampf, sagt Stainer-Hämmerle. „Und man muss auch die Strukturen generell hinterfragen, den Diskussionsstil, den Ton und die öffentliche Debatte.“ Etwa die „strikte Sitzungskultur spät am Abend“ sei strukturell frauenfeindlich, denn sie erschwere Müttern die Teilnahme.

Und auch gezielte Frauenförderungen, Lehrgänge und Mentoringprogramme seien „Empowering-Instrumente“, die bereits Wirkung zeigen würden. „Auch die doppelte Besetzung von Positionen – ein Mann und eine Frau – kann eine Lösung sein“, so Stainer-Hämmerle. „Hier kann man als Gesellschaft schon früh mit der Sensibilisierung beginnen, zum Beispiel in Schulen bei Wahlen zur Klassensprecherin oder zum Klassensprecher.“

Auch Männer profitieren von ausgewogener Teilhabe

Letztlich würden von einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis in der Politik alle profitieren. „In einem repräsentativen Modell soll ja eine Gruppe von Politikerinnen und Politikern möglichst alle gesellschaftlichen Gruppen vertreten“, erklärt Stainer-Hämmerle. Wenn die oberste Führungsebene nur aus Männern aus einem ähnlichen Milieu und Bildungshintergrund bestehe, habe das auch auf der praktischen Ebene Nachteile.

Denn Frauen würden neue Themen, Erfahrungen und damit auch Ansprüche in die Politik bringen. Zudem könnten sie in Zeiten von schwindendem Vertrauen in die Politik als Vorbilder und Identifikationsfiguren dienen. „Am Ende muss man den Männern sagen: Politik wird auch für euch besser, wenn mehr Frauen am Verhandlungstisch sitzen. Viele vermeintlich weibliche Themen, wie etwa Pflege, sind Zukunftsthemen.“

Nicht auf „weibliche Themen“ abdrängen lassen

Gleichzeitig sollten sich Politikerinnen aber nicht auf „klassische weibliche Themen“ wie Soziales, Gesundheit oder Familie „abdrängen“ lassen. Denn nach wie vor würden Ministerien mit viel Verantwortung und einem großen Budget – wie das Innen- oder Finanzministerium – meistens in männlicher Hand liegen. Frauen würden zudem länger darüber nachdenken, ob sie in die Politik gehen, und würden sich eher „überreden“ lassen.

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Infografik zur Verteilung von Ministerinnen nach Ressort seit 2000
ORF.at
Anzahl der Ministerinnen ohne Staatssekretärinnen seit 2000 (Schüssel I). Da die Ministerien im Laufe der Zeit unterschiedlich zusammengelegt wurden, stellen die abgebildeten Ressorts zusammengefasste Kategorien dar. Ministerinnen werden pro Legislaturperiode gezählt, das heißt: Eine Ministerin, die z. B. in zwei Legislaturperioden in der gleichen Funktion angelobt wurde, wird zweimal gezählt.
Infografik zur Verteilung von Ministern nach Ressort seit 2000
ORF.at
Anzahl der Minister ohne Staatssekretäre seit 2000 (Schüssel I). Da die Ministerien im Laufe der Zeit unterschiedlich zusammengelegt wurden, stellen die abgebildeten Ressorts zusammengefasste Kategorien dar. Minister werden pro Legislaturperiode gezählt, das heißt: Ein Minister, der z. B. in zwei Legislaturperioden in der gleichen Funktion angelobt wurde, wird zweimal gezählt.

Für Premieren sorgte hier Stainer-Hämmerle zufolge bisher vor allem die ÖVP. Sie stellte mit Benita Ferrero-Waldner 2000 die erste Außenministerin, 2004 mit Liese Prokop die erste Innenministerin, mit Maria Fekter 2008 die erste Finanzministerin und aktuell mit Klaudia Tanner die erste Verteidigungsministerin.