Janai Nelson nach einer Anhörung vor dem Oberstem Gerichtshof der Vereinigten Staaten
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Alabama

Urteil verschafft US-Demokraten Auftrieb

Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom Donnerstag zur Neueinteilung der Wahlkreise in Alabama stärkt das Wahlrecht von Minderheiten – und beschert den Demokraten vor den Kongresswahlen im kommenden Jahr Aufwind. Das Urteil kam überraschend, schlägt sich der Supreme Court doch in ähnlich gelagerten Fällen meist auf die Seite der Republikaner.

„Ein Jahrzehnt voller Enttäuschungen hat Schwarze und Demokraten dazu gebracht, Wahlrechtsentscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu fürchten. Im Jahr 2013 wurde mit einer 5:4-Mehrheit ein Kernstück des Voting Rights Act von 1965 für ungültig erklärt. Nachfolgende Entscheidungen haben den Rest des Gesetzes ausgehöhlt, und 2019 erklärte eine Mehrheit der Richter, dass Bundesgerichte nicht befugt sind, parteipolitisches Gerrymandering zu unterbinden“, schrieb die US-Zeitschrift „The Atlantic“.

Dem Gerrymandering – also der politischen Praxis von Parteien, die Grenzen von Wahlbezirken zum eigenen Vorteil zu manipulieren – schien damit Tür und Tor geöffnet. Am Donnerstag aber entschied der Supreme Court zugunsten schwarzer Wähler und Wählerinnen, die die von den Republikanern festgelegten Grenzen der Wahlkreise angefochten hatten. Das Gericht stellte fest, dass der Bundesstaat gegen das Wahlrechtsgesetz von 1965 verstößt, das Rassendiskriminierung bei Wahlen verbietet.

Experte sieht „Gamechanger“

Nach der Entscheidung muss Alabama einen zweiten Wahlkreis für das US-Repräsentantenhaus ausweisen, in dem Schwarze die Mehrheit stellen. In der für ungültig erklärten Einteilung waren sechs Bezirke des Repräsentantenhauses in Alabama mehrheitlich von Weißen besetzt – und nur einer von Schwarzen –, obwohl Schwarze 27 Prozent der Bevölkerung des Südstaates ausmachen.

„Es gibt unbedeutende Entwicklungen und solche, die den Lauf der Dinge verändern. Ich denke, dass das in die Kategorie der ‚Gamechanger‘ fällt“, sagte David Wasserman, leitender Redakteur des Cook Political Report, der Wahlen und Kampagnen in den USA analysiert.

Vielfach wird angenommen, dass das Urteil einen Dominoeffekt auf andere anhängige Fälle haben und letztlich drei Südstaaten – neben Alabama auch Louisiana und Georgia – dazu zwingen wird, vor den Kongresswahlen die Wahlkreise neu festzulegen und Minderheiten zu mehr Gewicht zu verhelfen.

Georgia und Louisiana hoffen

In Georgia etwa argumentieren Kläger und Klägerinnen, dass die von den Republikanern erstellten Wahlkarten einen Bezirk im Großraum Atlanta weißer und damit republikanerfreundlicher gemacht haben – und das, obwohl das Bevölkerungswachstum in dem Bundesstaat von Schwarzen getragen wird. Ein Richter entschied letztes Jahr, dass es zu spät sei, die Karten vor den Zwischenwahlen zu ändern, schrieb aber, er habe Grund zu der Annahme, dass sie gegen das Wahlrechtsgesetz verstoßen könnten.

Louisiana ist ein weiterer Staat, in dem das Urteil unmittelbare Auswirkungen haben dürfte. Der Staat wird von fünf weißen Republikanern und einem schwarzen Demokraten vertreten. Der Bevölkerungszählung zufolge ist ein Drittel der Bevölkerung des Staates schwarz. Katie Bernhardt, Vorsitzende der Demokratischen Partei von Louisiana, sagte: „Wir sind natürlich vorsichtig optimistisch, und das ist eine große Sache. Das könnte uns eine echte Chance auf eine faire Vertretung geben.“

Die US-Bundesstaaten müssen alle zehn Jahre neue Wahlbezirke auf Grundlage der Bevölkerungszählung festlegen. Das hat enormen Einfluss darauf, welche politische Partei bei den Wahlen im Vorteil ist. In unterschiedlichem Maße haben die Gesetzgeber der einzelnen Staaten die Neueinteilung der Kreise dazu genutzt, dass sie für ihre Partei günstig sind. Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen wählen mit großer Mehrheit die Demokraten. In Alabama und vielen anderen Bundesstaaten wählen Weiße mehrheitlich die Republikaner.

Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten
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Das jüngste Urteil des Supreme Court könnte die Mehrheit im US-Repräsentantenhaus kippen

Knapper Kampf um Repräsentantenhaus

Die Republikaner kontrollieren das Repräsentantenhaus derzeit mit einer äußerst knappen Mehrheit, selbst kleine Anpassungen der Wahlkreise könnten also Auswirkungen haben. Die Demokraten erklärten, dass die jüngste Entscheidung des Höchstgerichts ihnen eine größere Chance geben würde, die Kammer bei den Wahlen im November 2024 zurückzugewinnen. „Das wird sich auf die Neuverteilung der Wahlbezirke im ganzen Land auswirken und dazu beitragen, ein Repräsentantenhaus zu schaffen, das die Vielfalt unserer Nation besser widerspiegelt“, sagte Suzan DelBene, Vorsitzende des Wahlkampfausschusses der Demokraten.

Die Republikaner hielten dagegen: Die Entscheidung sei nicht von Belang, ihre Aussicht nicht geschmälert. Die durchsichtige politische Strategie der Demokraten sei es „zu klagen, bis es blau ist“, sagte Jack Pandol, ein Sprecher der republikanischen Wahlkampfabteilung. Als „blau“ gelten Staaten mit einer Mehrheit für die Demokraten.

Spencer Overton, Professor an der George Washington University Law School, sagte, das Urteil sei wichtig, aber möglicherweise nicht von Dauer. „Die Konsequenzen des Falles sind weitaus größer als die Frage, ob es ein weiteres schwarzes Mitglied im Kongress geben wird“, sagte Overton. „Meine Sorge ist jedoch, dass das ein knapper Sieg war.“ Diejenigen, die gegen die Entscheidung seien, könnten Wege finden, die Sache mit neuen, konservativ gestützten Argumenten wieder vor den Obersten Gerichtshof zu bringen.