Überblick über den Plenarsaal während einer Nationalratssitzung
ORF/Roland Winkler
Klubobleute

Taktgeber im Nationalrat

Die SPÖ hat ihren Klub im Nationalrat neu aufgestellt: Im Hintergrund wird zwar Parteichef Andreas Babler die Fäden ziehen, doch als Klubobmann wird künftig Philip Kucher ganz vorne sitzen. Der Mandatar bekleidet damit bis zur nächsten Wahl eine der wichtigsten Funktionen in der heimischen Politik. Denn im Hohen Haus geben die Klubobleute den Takt vor.

Dass Babler nicht selbst die Klubspitze im Nationalrat übernimmt, liegt am mangelnden Nationalratsmandat. Der Parteivorsitzende stand bei der letzten Nationalratswahl 2019 auf keiner Liste. Allerdings sitzt er seit wenigen Wochen im Bundesrat, was ihm ermöglicht, formal eine zusätzliche Organisation zu führen: den SPÖ-Parlamentsklub, in dem alle Parteimitglieder aus Nationalrat, Bundesrat und EU-Parlament vereint sind. Babler kann sich zwar als Klubvorsitzender bezeichnen, mit dem Nationalratsklub hat er rechtlich aber nichts zu tun.

Die Funktion des Klubobmanns im Nationalrat hat Kucher inne. Das führt zu einer einmaligen Konstellation unter den Oppositionsparteien: Der Parteichef übt nicht die Führungsrolle im Nationalratsklub aus. Bei der FPÖ bekleidet ja Parteichef Herbert Kickl die Funktion, bei NEOS hat Parteivorsitzende Beate Meinl-Reisinger diese Funktion inne. „Dass Parteichefs auch die Funktion des Klubobmanns im Nationalrat übernehmen, hat einen nachvollziehbaren Grund“, sagt Politikberater Thomas Hofer im Gespräch mit ORF.at.

Denn während die Chefs von Regierungsparteien meistens noch ein Ministeramt bekleiden und deshalb ohnehin im medialen Rampenlicht stehen – Ministerrat, Auslandsreisen, Besuche von Staats- und Regierungschefinnen und -chefs etc. –, seien die Optionen für die Vorsitzenden der Oppositionsparteien begrenzt. „Eine dieser wenigen Möglichkeiten ist eben der Auftritt im Nationalrat. Der Parteichef kann dort deutlich an medialer Präsenz dazugewinnen“, so Hofer.

Das „Sprachrohr“ nach außen

Das gilt besonders dann, wenn der Parteichef seinen Nationalratsklub im Plenum auch öffentlich vertreten kann. Denn Klubobleute genießen ein auffallendes Redeprivileg: Wenn in Debatten Themen aufkommen, die eine Öffentlichkeit mit sich bringen oder politisch scharf diskutiert werden, schreiten in der Regel die Klubobleute zum Rednerpult. Sie bemühen sich dann, ihre Sicht der Dinge darzulegen oder die Wogen zu glätten. Der Klubobmann sei der „politische Stimmführer und ist zur Stelle, wenn es nötig ist“, sagt ein Ex-Klubreferent zu ORF.at.

Überblick über den Plenarsaal während einer Nationalratssitzung
ORF/Roland Winkler
Die Klubobleute genießen nicht nur die öffentliche Aufmerksamkeit, sondern auch jene ihrer Klubmitglieder

In der Tat melden sich Klubobleute den ganzen Plenartag über zu Wort. Allerdings gehört ihnen auch oft der Beginn einer Debatte. Denn dann verspricht die Tagesordnung noch einen heißen Schlagabtausch, und das öffentliche Interesse ist hoch. Sowohl die Abgeordneten als auch das Publikum würden auf den Redebeitrag des Klubobmanns bzw. der Klubobfrau genauer schauen, so der Referent. Denn als „Sprachrohr des Klubs“ würden die Klubobleute die inhaltliche Linie vorgeben. Für etwaige Details seien dann die Klubmitglieder zuständig.

Einheiten im Parlament

Der Nationalratsklub besteht aus mindestens fünf Abgeordneten zum Nationalrat. Die Fraktion im Bundesrat besteht aus mindestens fünf Bundesräten. EU-Parlamentarier einer Partei treten als Delegation auf. Die gemeinsame Klammer, die die Einheiten einer Partei unter sich vereinigt, ist der parlamentarische Klub.

Andere Formen der Kommunikation

Es ist aber nicht so, dass der Parteichef stets dem Klub im Nationalrat vorsteht. In der jüngeren Vergangenheit hat etwa der frühere ÖVP-Chef Sebastian Kurz auf diesen Posten verzichtet. Als im Jahr 2019 der Nationalrat der Regierung zum ersten Mal überhaupt das Vertrauen entzog, nahm der scheidende Bundeskanzler sein Nationalratsmandat nicht an und verzichtete auf die Funktion des Klubobmanns. August Wöginger blieb auf dem Posten. Der ÖVP-Chef machte stattdessen eine Wahlkampftour durch Österreich.

Mit dem Fall Babler sei das zwar nur bedingt vergleichbar, weil dieser im Gegensatz zu Kurz derzeit kein Recht hat, im Nationalrat zu sitzen. „Aber der SPÖ-Chef wird sich wohl andere Formen der Medienpräsenz suchen müssen“, sagt Hofer. Als Vorsitzender des Dachklubs der SPÖ könnte Babler wohl zumindest als „Klubchef“ in Medien auftreten. Mit dem Klubobmann des Nationalrats ist die Funktion allerdings nicht vergleichbar. Für Klubobleute gilt zum Beispiel ein Berufsverbot, für Babler hingegen nicht. Zudem hat er kein Rederecht im Nationalrat.

Der Taktstock nach innen

Das „Sprachrohr“ nach außen ist aber ohnehin nur eine Aufgabe der Klubobleute. Nach innen müssen sie sich nämlich auch darum kümmern, dass die Mitglieder nicht von der Stoßrichtung der Partei abweichen – oder im schlimmsten Fall anders abstimmen als eigentlich vereinbart. Als Beispiel kann Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer herangezogen werden. Obwohl grüne Abgeordnete zum Teil ihren Koalitionspartner, die ÖVP, öffentlich scharf kritisieren, bleiben sie bei den Koalitionsvorhaben auf Linie. Dasselbe gilt für Wöginger, der den Nationalratsklub der ÖVP „koordinieren“ muss.

Grafik zu Klubvorsitzenden im Nationalrat
Grafik: ORF; Quelle: Parlament

Auch wenn es faktisch den „Klubzwang“ bzw. die „Klubdisziplin“ gibt, brauche es eine Person, die durchargumentieren kann, „warum wir so abstimmen, wie wir letztlich abstimmen“, so der Referent. Das passiert in den Klubsitzungen vor den Plenartagen. Dort werden auch die „Hauptschlagrichtung“ und mögliche „Angriffspunkte“ auf Vorhaben anderer Parteien besprochen. Das Abstimmungsverhalten liegt zum Großteil hingegen schon vor. Dieses baut nämlich auf den Ausschüssen auf, in denen die Gesetzesvorhaben bereits behandelt wurden. Nur in seltenen Fällen geht man davon ab.

Bei Abstimmung kommt den Klubobleuten bzw. deren Stellvertretern und Stellvertreterinnen trotzdem noch eine besondere Rolle zu. Abgeordnete stimmen einem Gesetz zu, indem sie aufstehen, und lehnen es ab, wenn sie sitzen bleiben. Wegen der Fülle an Anträgen kann diese Abstimmungszeremonie zum Teil verwirrend sein. Deshalb zeichnet der Nationalratsklub im Croquis (einer Art Protokoll) penibel vor, bei welchen Anträgen die Klubmitglieder aufstehen müssen und bei welchen nicht. Wenn abgestimmt wird, schaut eine Person der Klubspitze auf das Croquis, steht auf oder bleibt sitzen. Die restlichen Klubmitglieder folgen dem Takt des „Konzertmeisters“.

Parlament in Wien
ORF/Roland Winkler
Im Hohen Haus bestimmen Bundesrat und Nationalrat das Geschehen

Parlamentarische Arbeit in der Präsidiale

Auch verwaltungstechnisch kommen auf die Klubobleute Aufgaben zu. Als Mitglied der Präsidialkonferenz bereiten sie zusammen mit den Nationalratspräsidenten und -präsidentinnen die Plenarsitzungen vor, legen also zum Beispiel die Tagesordnung fest, und kümmern sich auch um die parlamentarische Arbeit. Die Klubobleute können sich bei der Arbeit im Hintergrund aber vertreten lassen. Das hat für die Klubchefs und -chefinnen den Vorteil, dass sie sich ganz auf ihre politische Arbeit im Vordergrund konzentrieren können.

Dachklub mit vielen Einheiten

Während der Obmann bzw. die Obfrau des Nationalratsklubs gesetzliche Aufgaben vor sich liegen hat, existiert eine solche Liste für den Vorsitz des parlamentarischen Klubs nicht. Dieser Dachklub, dem Babler vorsitzen wird, leite sich vom Klubfinanzierungsgesetz ab, heißt es aus dem Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen Dienst (RLW) gegenüber ORF.at. Zum ersten Mal stärker in Erscheinung trat diese zusätzliche Einheit, als 2017 die Grünen aus dem Nationalrat flogen.

Damals ging es um die Frage, ob die Grünen im Bundesrat und im Europäischen Parlament weiterhin eine Klubförderung erhalten können, obwohl es im Nationalrat eben keinen grünen Klub mehr gibt. Der RLW kam zu dem Schluss, dass das Klubfinanzierungsgesetz auf den parlamentarischen Klub abstellt und die grünen Bundesräte und EU-Parlamentarier deshalb die Förderungen beziehen können. Das war ein Präzedenzfall – ähnlich der Konstruktion im SPÖ-Nationalratsklub.