Ein Arbeiter reinigt mit einem Hochstrahlreiniger den Beckenrand eines Schwimmbeckens
ORF.at/Christian Öser
Ist weniger mehr?

Renaissance für Arbeitszeitdebatte

Jahrzehnte spielte das Thema kaum eine Rolle in der aktuellen Politik, jetzt ist die Frage der Arbeitszeit wieder groß in der öffentlichen Debatte – und das nicht erst seit der neue SPÖ-Chef Andreas Babler und nun der ÖGB eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich fordern. Schon mit der Diskussion um vermehrte Teilzeitarbeit bei gleichzeitigem Arbeitskräftemangel war das Thema auf dem Tisch. Die Fronten scheinen aber verhärtet.

Die auf 40 Stunden begrenzte Normalarbeitszeit in einer Woche gilt in Österreich seit Anfang 1975, eingeführt von der Regierung unter Kanzler Bruno Kreisky (SPÖ). Debatten über eine weitere Verkürzung gab es immer wieder: Schon 1983 forderte der ÖGB-Bundeskongress die 35-Stunden-Woche, eine Forderung, die später allerdings eher aufgeweicht wurde.

Beim Bundeskongress dieser Tage wurde darauf verzichtet, eine konkrete Zahl ins Programm aufzunehmen. Eine schärfere Ansage kam zuletzt von Neo-SPÖ-Chef Babler, der eine 32-Stunden-Arbeitswoche bei vollem Lohnausgleich fordert.

WIFO berechnete Auswirkungen

Zuletzt hatte das WIFO im Auftrag der Arbeiterkammer (AK) ausgerechnet, dass eine geringfügige Arbeitszeitverkürzung relativ geringe Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt haben würde: Eine Reduktion der Arbeitszeit nach den Wünschen der Beschäftigten um 3,5 Prozent würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) demnach um 0,9 Prozent senken. Die Basis der Zahlen: Im Durchschnitt arbeiten unselbstständig Beschäftigte in Österreich 36,1 Stunden pro Woche, das gewünschte Arbeitsausmaß liegt bei 34,9 Stunden. Bei diesem „Wunschschnitt“ ist allerdings zu beachten, dass die Bedürfnisse der Befragten je nach Lebenssituation und vor allem je nach Ausmaß der derzeitigen Beschäftigung klar auseinandergehen.

Laut der Studie würden die Stundenlöhne langfristig real um bis zu 3,3 Prozent steigen, die Produktivität würde um bis zu 1,5 Prozent anziehen, die Beschäftigung würde um bis zu 1,4 Prozent zulegen. Die Arbeitslosenquote läge um 0,7 bis 1,0 Prozentpunkte niedriger, und das Budgetdefizit würde um 0,3 Prozent sinken. Auch die Preise würden steigen, der Preiseffekt läge aber unter einem Prozentpunkt.

Welches Gewicht haben drei Milliarden?

Der wirtschaftsliberale Thinktank Agenda Austria sieht das anders und warnt davor, weniger zu arbeiten. Der Ökonom Jan Kluge sagte gegenüber dem Ö1-Morgenjournal, selbst eine geringe Verkürzung der Arbeitszeit von etwas mehr als einer Stunde pro Woche koste jährlich drei Milliarden Euro. AK-Ökonom Markus Marterbauer relativierte diese Aussagen mit dem Hinweis auf das Wirtschaftswachstum. Mit der Annahme, dass die Wirtschaft in den nächsten zehn Jahren insgesamt etwa um 15 Prozent wachse, steige das BIP um mehr als 60 Milliarden. Die drei Milliarden würden dann weniger ins Gewicht fallen.

IV: Vorschlag absurd

Gegen eine stärkere Arbeitszeitverkürzung, wie sie Babler fordert, brachte sich zuletzt die Wirtschaft bereits in Stellung. Die Wirtschaftskammer (WKO) befürchtet etwa eine Verschärfung des Arbeitskräftemangels und damit Finanzierungsprobleme für den Sozialstaat.

Noch schärfer argumentiert die Industriellenvereinigung (IV): In der aktuellen Lage mit einem schweren Arbeitskräftemangel „eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich vorzuschlagen, einzufordern, ist gelinde gesagt absurd“, sagte Christoph Neumayer, Generalsekretär der IV, diese Woche. Man müsse nicht einmal einen Schulabschluss haben, „um zu verstehen, dass sich das nicht ausgeht“.

Der Wert einer Eigentumswohnung

Neumayer sieht eine „ideologisch getriebene Diskussion“ zur Arbeitszeit, die für die Stimmung in der heimischen Wirtschaft sehr gefährlich sei. Eine generelle Reduktion der Arbeitszeit auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich würde zu einer Lohnkostenerhöhung der Firmen um 20 bis 25 Prozent führen, „das kann nicht funktionieren“. Eine Reduktion der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich würde wiederum über die Lebensarbeitszeit gerechnet bei Facharbeiterinnen und -arbeitern zu 350.000 Euro Einkommensverlust führen – das entspreche dem Preis einer Eigentumswohnung.

Den Ball der Eigentumswohnung nahm wiederum das gewerkschaftsnahe Momentum Institut auf: Bei einem durchschnittlichen Einkommen sei es innerhalb einer Lebenszeit völlig ausgeschlossen, alleine durch Arbeit so viel zusammenzusparen, dass man sich eine Wohnung um 350.000 Euro leisten könne, so Momentum-Ökonom Alexander Huber. Ein Grund dafür sei, dass seit 2010 Immobilienpreise um 116 Prozent gestiegen seien, während die Löhne lediglich um 32 Prozent angehoben wurden.

Produktivität stark gestiegen

Befürworterinnen und Befürworter einer Arbeitszeitverkürzung verweisen vor allem auf die gestiegene Produktivität: So stellte eine Studie der Bank Austria zuletzt fest, dass Beschäftigte in Österreich seit 1995 um mehr als ein Drittel produktiver geworden sind. Gleichzeitig sei die durchschnittliche Arbeitszeit pro Kopf hierzulande um elf Prozent gesunken – vor allem wegen der Zunahme der Teilzeitarbeit. In Österreich stieg die Zahl der Teilzeitbeschäftigten von knapp 500.000 im Jahr 1995 auf fast 1,3 Millionen im Jahr 2022.

„Österreich weist mit rund 35 Prozent einen überdurchschnittlich hohen Produktivitätszuwachs seit 1995 auf und damit auch einen höheren als der Haupthandelspartner Deutschland“, so Bank-Austria-Ökonom Walter Puschedl. „Die Bruttowertschöpfung pro Arbeitsstunde war mit fast 70 Euro im Jahr 2022 mehr als doppelt so hoch wie 1995.“ Die rückläufige Arbeitszeit reduzierte die potenziell erreichbare Bruttowertschöpfung um 12,5 Prozent.

Produktivität nicht immer leicht messbar

Allerdings: So unbestritten es ist, dass die Produktivität der Beschäftigten gestiegen ist, so schwer ist diese in manchen Branchen zu messen. Ist es in der produzierenden Industrie recht leicht, wird es im Dienstleistungssektor schon schwieriger. In manchen Berufen braucht es dann aber schon eine Vielzahl an Kriterien: Wie lässt sich z. B. die Produktivität eines Lehrers bzw. einer Lehrerin messen?

Arbeit und Wertewandel

Einer der Hauptgründe, wieso die Arbeitszeitdebatte nun wieder viel mehr Gewicht hat, ist wohl eine gesellschaftliche Entwicklung. Unter dem Eindruck der Pandemie und möglicherweise auch der weitverbreiteten Kurzarbeit setzte ein Wertewandel ein, der sich auch in vielen Umfragen dokumentieren lässt. Der Stellenwert der Arbeit hat vor allem bei jüngeren Menschen abgenommen. Es werden höhere Ansprüche an Arbeitsinhalte, der Sinn der Arbeit, Gestaltungsmöglichkeiten und die Rahmenbedingungen der Arbeit gestellt, gleichzeitig wuchs offenbar der Wunsch nach geringeren Wochenarbeitszeiten.

Zu jenen, die freiwillig nicht Vollzeit arbeiten, kommt die Gruppe, die das aus Betreuungsgründen nicht kann, und auch jene, deren Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberin das verweigert. All das ließ die Teilzeitquote in die Höhe gehen. Der gleichzeitige Arbeitskräftemangel machte diese Situation für die Wirtschaft problematisch. ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher musste nach Ideen, Sozialleistungen bei Teilzeitarbeit zu reduzieren, im Februar rasch zurückrudern. Expertinnen und Experten rechnen eher mit einem weiteren Anstieg von Teilzeitarbeit. Und wie neue Technologien wie KI Arbeitsbilder und -zeiten verändern werden, bleibt abzuwarten.