Regenbogenparade in Wien
APA/AFP/Alex Halada
Pride-Anschlagsplan

Was hinter den Enthaftungen steckt

Im Zusammenhang mit dem angeblich geplanten Anschlag auf die Wiener Regenbogenparade befinden sich nun alle drei mutmaßlich Tatverdächtigen auf freiem Fuß. Nach dem 20-Jährigen wurden am Donnerstag auch die beiden weiteren Beschuldigten (14 und 17 Jahre alt) enthaftet. Wesentlicher Faktor dafür war das Alter der beiden. Die Anwälte der Beschuldigten äußerten indes Kritik am Vorgehen der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN).

„Das jugendliche Alter der Beschuldigten spielt eine wesentliche Rolle. Die U-Haft ist immer das letzte und schwerste Mittel“, sagte Gerichtssprecherin Birgit Eisenmagen dem ORF. Der Enthaftung des 14-Jährigen und des 17-Jährigen – er ist der jüngere Bruder des 20-Jährigen – war eine Sozialnetzkonferenz mit dem Verein Neustart vorangegangen.

Ein Programm aus Weisungen und engmaschigem Kontakt mit der Bewährungshilfe sei erstellt worden, so Eisenmagen: „Der Haftrichter sieht darin das gelindere Mittel, um die U-Haft nicht fortzusetzen.“ Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft meldete dagegen Beschwerde an. Zuständig für die Behandlung der Beschwerden der Staatsanwaltschaft St. Pölten ist das Oberlandesgericht Wien.

Nach Angaben des Verteidigers des 14-Jährigen, Andreas Schweitzer, müsse der Jugendliche auch ein Deradikalisierungsprogramm absolvieren, mehr Zeit mit seiner Familie verbringen und die Schule abschließen – andernfalls droht wieder die U-Haft. Für alle drei Beschuldigten, gegen die wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation ermittelt wird, gilt die Unschuldsvermutung.

Anwalt: Keine belastenden Chats im Akt

Die Anschuldigungen wiesen die beiden Anwälte der Minderjährigen vehement zurück, mit der DSN gingen sie zugleich hart ins Gericht. „Hier wird etwas behauptet, das es nicht gibt. Es wurde nie ein Anschlag geplant“, sagte etwa der Verteidiger des 17-Jährigen, Markus Sommerauer von der Kanzlei Urbanek & Rudolph, in einer ersten öffentlichen Stellungnahme. Im Akt gebe es auch keine belastenden Chats, sagte Sommerauer.

Zur Erinnerung: Im März soll ein ausländischer Nachrichtendienst die DSN vor einem geplanten Anschlag auf die Regenbogenparade gewarnt haben. Auslöser dafür sollen Chats gewesen sein, in denen einer der drei Verdächtigen, der 17-Jährige, den Kauf von Waffen ankündigt haben soll.

„Man kann nicht nachprüfen, woher dieser Nachrichtendienst diese Informationen hat. Und man kann diese Informationen auch nicht verwerten und man kann sie auch nicht juristisch überprüfen“, kritisierte der Verteidiger des 17-Jährigen im ORF-Interview. Bisher liegen keine detaillierten Unterlagen eines ausländischen Nachrichtendiests vor – jener Dienst müsste die Unterlagen auch erst dem Gericht freigeben.

Scharfe Kritik an DSN

Schweitzer bekräftigte indes seine Kritik an der DSN, der er einen „eklatanten Verstoß gegen gesetzliche Normierungen“ vorwarf. Die DSN habe die gegen seinen Mandanten und die beiden Brüder aus St. Pölten gerichtete Verdachtslage unter Zuhilfenahme eines ausländischen Nachrichtendienstes begründet. Die zur Verfügung gestellten personenbezogenen Daten habe die DSN der Staatsanwaltschaft und in weiterer Folge dem Landesgericht St. Pölten ohne die dafür gesetzlich vorgesehene Bewilligung weitergegeben.

Schweitzer verwies auf eine Bestimmung im Polizeikooperationsgesetz, wonach personenbezogene Daten, die von ausländischen Sicherheitsbehörden übermittelt wurden, nur mit vorheriger Zustimmung der übermittelnden Stelle zu anderen als den der Übermittlung zugrunde liegenden Zwecken verarbeitet werden dürfen.

„Eklatanter Verstoß gegen gesetzliche Normierungen“

„Dies bedeutet, dass sich die DSN die Zustimmung zur Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft oder ans Gericht bzw. die Freigabe zur Weiterleitung von der ermittelnden Stelle einholen hätte müssen. Was jedoch nicht geschehen ist, wie die DSN selbst im Anlassbericht eingesteht“, hielt Schweitzer in seinem Enthaftungsantrag fest, dem am Freitag vom Landesgericht St. Pölten stattgegeben wurde.

Der DSN unterstellte er einen „eklatanten Verstoß gegen gesetzliche Normierungen“, der „einzig und allein“ dazu gedient habe, „dass der Beschuldigte (der 14-Jährige, Anm.) aufgrund nicht näher verifizierter Behauptungen festgenommen und in weiterer Folge über ihn die U-Haft verhängt wurde“.

DSN verweist auf Berichtspflicht an Staatsanwaltschaft

Die DSN reagierte am Freitagnachmittag auf die Äußerungen Schweitzers und Sommerauers mit einer schriftlichen Stellungnahme: „Nach den Bestimmungen des Polizeikooperationsgesetzes dürfen wir sensible Informationen von ausländischen Nachrichtendiensten ohne deren Zustimmung nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeben. Gleichzeitig sind wir als Sicherheitsbehörde gemäß den Bestimmungen der Strafprozessordnung verpflichtet, von Amts wegen zu ermitteln und der Staatsanwaltschaft über einen Anfangsverdacht gegen eine Person zu berichten.“

Ein solcher Anfangsverdacht könne sich auch aufgrund einer Information eines Partnerdienstes ergeben: „Dies führt dazu, dass Details dieser partnerdienstlichen Informationen nicht weitergegeben werden können, nichtsdestotrotz jedoch eine Berichtspflicht an die Staatsanwaltschaft besteht.“

Der gegenständliche Fall zeige „genau die in den letzten Tagen durch die DSN erneut aufgezeigte Problematik, dass uns als Behörde zentrale, eigene Befugnisse fehlen, um derartige Erkenntnisse selbst ermitteln zu können“, wurde betont. Offenbar dürfte bereits der erste Hinweis auf den tatverdächtigen 17-Jährigen, gegen den die Staatsanwaltschaft St. Pölten bereits im Vorjahr wegen terroristischer Vereinigung ermittelt hatte, ehe dieses Verfahren am 17. Februar 2023 eingestellt wurde, von einem ausländischen Nachrichtendienst gekommen sein.

Anwalt: Nur Softguns beschlagnahmt

Laut Schilderungen des Verteidigers des 17-Jährigen seien dieser und sein 20-jähriger Bruder aus St. Pölten Samstagmittag – also am Tag der Parade – von Spezialkräften der Polizei, die die Wohnungstür aufbrachen und die beiden festnahmen, aus dem Schlaf gerissen worden. Bei der durchgeführten Hausdurchsuchung sei „kein belastendes Material, vor allem keine Schusswaffen“ sichergestellt worden, wie Sommerauer gegenüber der APA sagte. Man habe nur zwei Softguns beschlagnahmt, „davon war eine kaputt“.

Der 17-Jährige bestreite, ein Anhänger der radikalislamischen Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu sein. „Er war auch nie in einschlägigen Telegram-Chats“, so Sommerauer, der damit einen DSN-Bericht zurückwies, dem zufolge sich der 17-Jährige als „Abdullah“ mit neun weiteren Islamisten u. a. aus der Ukraine, Belgien, der Türkei und England im Internet ausgetauscht und Anschlagspläne gewälzt haben soll.

Pride-Anschlagsplan: 14- und 17-Jähriger enthaftet

Nachdem im Zusammenhang mit dem angeblich geplanten Anschlag auf die Wiener Regenbogenparade bereits am Sonntag ein 20-jähriger Tatverdächtiger auf freien Fuß gesetzt worden war, hat das Landesgericht St. Pölten am Freitag auch die beiden weiteren Beschuldigten – einen 14- und einen 17-Jährigen – enthaftet.

„Dazu gibt es nichts im Akt. Es gibt keine Chats, es gibt keine Screenshots. Es gibt einzig und allein eine Zusammenfassung der DSN, die sich auf angebliche Informationen eines ausländischen Nachrichtendienstes bezieht. Damit wird eine gewisse Beweislage aufgebaut, aber die Quelle wird nicht offengelegt“, so der Jurist.

Sommerauer räumte lediglich ein, sein Mandant habe mit einem vorgeblich 15-jährigen Ukrainer gechattet, allerdings in keiner Gruppe. Er sei von diesem angeschrieben worden, man habe sich zunächst über Belanglosigkeiten, dann über den Krieg in der Ukraine unterhalten. Als ihm sein Chatpartner eines Tages einen Link zu einer Gruppe mit dem IS-Logo geschickt habe, sei er der Gruppe nicht beigetreten und habe den User blockiert.

Geplanter Ankauf von Sturmgewehr bestritten

Der 17-Jährige bestreitet explizit den ihm unterstellten beabsichtigten Ankauf eines Sturmgewehrs. Der Jugendliche habe sich – entgegen der Darstellung der DSN – nicht um eine AK-47 bemüht, versicherte sein Rechtsbeistand.

„Die Familie ist gut integriert. Religion war in der Familie kein Thema. Der Vater ist nicht einmal Moslem“, so Sommerauer. Der 17-Jährige sei zuletzt in einem Ausbildungsprogramm gewesen und habe für September eine Lehrplatzzusage. Der Jugendliche akzeptiere sämtliche mit seiner Enthaftung verknüpfte Weisungen: „Er kooperiert umfänglich mit den Behörden.“

Die Vorfälle hatten Anfang der Woche eine Diskussion darüber ausgelöst, ob die Strafverfolgungsbehörden über hinreichende Mittel zur Überwachung extremistischer Gefährder verfügen. DSN-Chef Omar Haijawi-Pirchner hatte schon Ende Februar im „Standard“ bessere Zugriffsmöglichkeiten auf Inhalte von Messengerdiensten verlangt.