Antony Blinken
Reuters/Henry Nicholls
USA zur Lage in Russland

„Man sieht Risse auftauchen“

Der Aufstand der russischen Privatarmee Wagner gegen die eigene Staatsführung wirft US-Außenminister Antony Blinken zufolge Fragen über die Macht von Kreml-Chef Wladimir Putin auf. „Ich denke, man sieht Risse auftauchen, die vorher nicht da waren“, sagte Blinken, der dazu am Sonntag gegenüber dem US-Sender ABC außer Frage stellte: „Jedes Mal, wenn ein großes Land wie Russland Anzeichen von Instabilität aufweist, ist das ein Grund zur Sorge.“

Der Aufstand werfe „eindeutig neue Fragen auf, mit denen Putin umgehen“ müsse. „Die Tatsache, dass es jemanden im Inneren gibt, der Putins Autorität direkt infrage stellt, direkt die Prämissen infrage stellt, auf deren Grundlage er diese Aggression gegen die Ukraine startete, das ist an sich schon etwas sehr, sehr Mächtiges.“ Mehrfach betonte Blinken aber auch, dass es sich bei dem inzwischen für beendet erklärten Aufstand um eine „interne Angelegenheit“ Russlands handle.

Die Regierung von US-Präsident Joe Biden hielt sich – wie andere Regierungen im Westen auch – mit öffentlichen Einschätzungen zu den Entwicklungen in Russland zuvor auffällig zurück. US-Medien zufolge handelte es sich dabei um eine Strategie, da Putin jede wahrgenommene Beteiligung als Waffe einsetzen könnte. Auf die Frage, ob der Aufstand Putins Ende der Macht sei, sagte Blinken: „Darüber möchte ich nicht spekulieren.“

„Aufziehender Sturm“

Zu Berichten darüber, dass die US-Regierung von ihren Geheimdiensten über die Pläne von Söldnerchef Jewgeni Prigoschin bereits zuvor informiert worden sei, äußerte sich Blinken nicht explizit. „Ich denke, dass es für viele Menschen über viele Monate kein Geheimnis war, dass diese Spannungen zunahmen, dass sich etwas zusammenbraute“ – es habe sich um einen „aufziehenden Sturm“ gehandelt.

Die Ereignisse in Russland waren am Sonntag auch Inhalt eines Telefongesprächs zwischen US-Präsident Biden und seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj. Dieser forderte in einer Erklärung auf, weltweiten Druck auf Russland auszuüben. Aus Selenskyjs Sicht haben die jüngsten Ereignisse eine Schwäche der Herrschaft Putins aufgezeigt.

Guterres fordert „verantwortungsvolles“ Handeln

Laut dem Vorsitzenden des EU-Militärausschusses, Robert Brieger, seien für Russland weiter alle Szenarien möglich. Neben einer Festigung des bisherigen Regimes umfassten diese wohl auch weiter die Gefahr eines Bürgerkrieges, so Brieger, der in der ZIB2 zudem an den in der Ukraine weiter laufenden russischen Angriffskrieg erinnerte.

Brieger (EU-Militärausschuss) zur Lage in Russland

Robert Brieger, Vorsitzender des EU-Militärausschusses, analysiert die Ereignisse in Russland rund um die beendete Revolte der Wagner-Söldner in Russland.

International wurde die Eskalation in Russland weitgehend mit Besorgnis aufgenommen. In Berlin tagte am Samstag ein Krisenstab der deutschen Regierung, Kanzler Olaf Scholz ließ sich „laufend“ über die Ereignisse informieren und telefonierte mit US-Präsident Joe Biden. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell informierte auf Twitter über einen „Meinungsaustausch“ der G-7-Partner.

Auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hat laut einer am Sonntag veröffentlichten Aussendung die jüngsten Ereignisse in Russland mit Sorge verfolgt. Gleichzeitig appellierte Guterres an alle beteiligten Parteien, „verantwortungsvoll zu handeln, um weitere Spannungen zu vermeiden“.

Sitzung von Krisenkabinett in Wien

In Wien berief Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) angesichts der Ereignisse in Russland am Sonntag das Krisenkabinett ein. „Der Krieg (Russlands gegen die Ukraine, Anm.) trägt Spuren deutlich nach Russland“, sagte Nehammer und erklärte, dass alles für eine Beendigung dieses Krieges getan werden müsse. In Österreich selbst seien auch „Schutzmaßnahmen“ getroffen worden, berichtete der Kanzler nach der Sitzung.

Krisenkabinett tagte zu Russland

Angesichts des Machtkampfes in Russland hatte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) für Sonntag das Krisenkabinett der Regierung einberufen. In Österreich werden Sicherheitsvorkehrungen und Überwachungsmaßnahmen verschärft, vor allem für russische oder ukrainische Einrichtungen.

Nehammer betonte, dass es sich bei den Ereignissen am Samstag um eine innere Angelegenheit Russlands gehandelt habe. „Die innerrussische Lage war besorgniserregend und bleibt es in einer gewissen Weise aber auch“, ergänzte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne).

Gleichzeitig sei klar, dass in Zeiten der Unsicherheit die Bundesregierung klar Stellung beziehen müsse. An der sonntäglichen Sitzung des Krisenkabinetts nahmen neben Nehammer und Kogler auch Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) sowie Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) teil. Vertreten waren zudem die Leiter der drei österreichischen Nachrichtendienste Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), Abwehramt und Heeresnachrichtenamt (HNA).

Zentrales Thema bei EU-Außenministertreffen

Auf EU-Ebene bleiben der Machtkampf in Russland und die möglichen Auswirkungen auf den Krieg in der Ukraine etwa am Montag beim Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg weiter zentrales Thema. Für die Europäische Union stellt sich unter anderem die Frage, welche Konsequenzen der Machtkampf zwischen Prigoschin und Putin auf Konflikte und Kriege in anderen Ländern haben könnte.

So war die bisher von Putin unterstütze Wagner-Gruppe von Prigoschin in den vergangenen Jahren nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Ländern wie Mali und Libyen aktiv. Auf der regulären Agenda des Außenministertreffens steht insbesondere die weitere Unterstützung der EU für die Ukraine. Per Videokonferenz soll zu den Beratungen auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba zugeschaltet werden.