Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik
European Union, 2023
Nach Wagner-Aktion

EU-Außenminister sehen Putin geschwächt

Nicht nur US-Außenminister Antony Blinken, auch mehrere hochrangige EU-Politikerinnen und -Politiker sehen Russlands Präsidenten Wladimir Putin nach dem Aufstand der russischen Wagner-Söldner gegen die eigene Staatsführung geschwächt. Der Aufstand „spaltet die russische Militärmacht“ und zeige die Schwächen des politischen Systems, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag vor dem EU-Außenministertreffen.

„Ich denke, dass es wichtiger denn je ist, die Ukraine zu unterstützen. Und das werden wir tun“, sagte Borrell vor dem Treffen in Luxemburg. Es sei nicht gut, wenn eine Atommacht wie Russland in eine Phase politischer Instabilität gerate. „Das Monster, das Putin mit Wagner geschaffen hat, beißt ihn nun“, fügte er hinzu.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) sagte vor dem Treffen, dass er keine konkreten Informationen zum Verbleib des russischen Söldnerführers Jewgeni Prigoschin habe. Es „ist nicht schlecht, wenn er von der Bildfläche verschwindet. Putin sollte sich ein Vorbild an Prigoschin nehmen und auch umkehren“, so Schallenberg.

Schallenberg: „Risse im russischen Gebälk“

Dass Putin einen brutalen Angriffskrieg in der Nachbarschaft anzetteln könne und das keinerlei Auswirkungen auf sein Land habe, habe sich als Illusion erwiesen, so Schallenberg. Er sprach zudem von einer „internen russischen Angelegenheit“, die zeige, dass es „Risse im russischen Gebälk“ gebe. „Es gibt Risse im Machtgefüge. Es ist nicht alles so, wie Russland das immer nach außen darstellt.“

Denn „den bösen Geist aus der Flasche hat Putin selbst geholt. Und jetzt verfolgen ihn diese bösen Geister.“ Russland sei aber auch eine der „größten Nuklearmächte des Planeten“, daher sei „jede Schwächung Putins“ auch eine Gefährdung, so Schallenberg. Für ihn wesentlich sei die geeinte, besonnene Reaktion des Westens auf den Söldneraufstand am Wochenende. Sein Ziel sei die Unterstützung der Ukraine.

„Das Monster beißt ihn nun“

Das Treffen der EU-Außenministerinnen und -Außenminister in Luxemburg wird von den Ereignissen am Wochenende in Russland dominiert. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sieht den russischen Präsidenten durch die Revolte der Wagner-Söldner stark geschwächt: „Das, was dieses Wochenende in Russland passiert ist, zeigt, dass der Krieg gegen die Ukraine die Militärmacht Russlands spaltet und das politische System beeinflusst.“ Er sichert der Ukraine weiter Unterstützung zu.

Baerbock: „Innenpolitischer Machtkampf“

Auch seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock unterstrich, dass es um einen „innenpolitischen Machtkampf“ gehe und sich Deutschland nicht einmischen werde. Die Lage in Russland sei weiterhin unklar, sagte Baerbock. Die Revolte erzeuge „massive Risse in der russischen Propaganda“.

Mit dem brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine zerstöre der russische Präsident sein eigenes Land, sagte Baerbock weiter. Es sei aber noch „unklar, welche weiteren Akte in diesem Schauspiel folgen werden“. Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna sagte, die Krise offenbare „Risse, Brüche und Verwerfungen innerhalb des russischen Systems“.

Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis bezeichnete Russland als „unberechenbaren und gefährlichen Nachbarn“. „Wir fordern unsere Verbündeten nachdrücklich auf, unsere Lage angesichts der Ereignisse in Russland ernst zu nehmen“, so Landsbergis. Es brauche konkrete Pläne, um die Staaten mit Grenzen zu Russland oder zu Belarus zu stärken.

Litauen grenzt mit fast 700 Kilometern an Belarus und zudem an die russische Ostsee-Exklave Kaliningrad. Deutschland kündigte indes an, rund 4.000 Bundeswehrsoldaten dauerhaft in Litauen stationieren zu wollen, um die Ostflanke der NATO zu stärken.

„Müssen auf derartige Ereignisse vorbereitet bleiben“

Der österreichische Vorsitzende des EU-Militärausschusses, Robert Brieger, erklärte in Luxemburg, die Situation habe sich zwar über Wochen zugespitzt. Aber „die Ereignisse vom Wochenende haben wir so nicht erwartet“. Für die Europäische Union sei klar: „Wir müssen auf derartige Ereignisse in Zukunft vorbereitet bleiben.“ Die EU sei mit ihrer Absicht, die Resilienz und strategische Autonomie zu verstärken, auf einem guten Weg.

Der ZIB2 sagte er, dass für Russland weiter alle Szenarien möglich seien. Neben einer Festigung des bisherigen Regimes umfassten diese wohl auch weiter die Gefahr eines Bürgerkrieges, so Brieger, der in der ZIB2 zudem an den in der Ukraine weitergehenden russischen Angriffskrieg erinnerte.

Brieger (EU-Militärausschuss) zur Lage in Russland

Robert Brieger, Vorsitzender des EU-Militärausschusses, analysiert die Ereignisse in Russland rund um die beendete Revolte der Wagner-Söldner.

Ukraine: EU stockt Mittel für Waffenlieferungen auf

Die EU-Außenminister beschlossen bei dem Treffen am Montag, die Finanzmittel für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die Ukraine und andere Partnerländer um 3,5 Milliarden Euro aufzustocken. Zu dem Treffen war auch der ukrainische Chefdiplomat Dmytro Kuleba per Video zugeschaltet.

Konkret wurde mit der Entscheidung die finanzielle Obergrenze für die Europäische Friedensfazilität auf rund zwölf Milliarden Euro erhöht. Dieses EU-Finanzierungsinstrument war bereits vor dem Beginn des Ukraine-Krieges zur militärischen Unterstützung von Partnerländern geschaffen worden und ursprünglich für den Zeitraum 2021–2027 nur mit rund fünf Mrd. Euro ausgestattet gewesen. Wegen des Ukraine-Krieges reichen diese Mittel aber bei Weitem nicht aus. Allein für Hilfen für die ukrainischen Streitkräfte wurden so bis zuletzt bereits rund 5,6 Mrd. Euro freigegeben.

Neben der Ukraine profitieren Länder wie Bosnien-Herzegowina, Georgien, der Libanon und Mauretanien von dem Geld. Ungarn hat der Auszahlung der nächsten Tranche im Rahmen der EFF wie bereits im Mai erneut nicht zugestimmt. Hintergrund ist, dass Ungarns größte Bank OTP auf einer ukrainischen Liste mit Unterstützern des russischen Angriffskrieges steht.

NATO: Keine Hinweise auf nukleare Aktivitäten

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte indes, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass in Russland ein Einsatz von Nuklearwaffen vorbereitet wird. Die jüngsten Entwicklungen seien allerdings ein weiterer Beweis dafür, dass Putin seinen größten strategischen Fehler begangen habe, sagte Stoltenberg mit Blick auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Bei dem Putschversuch der Söldnergruppe Wagner handle es sich aber um eine innere Angelegenheit.

Am Freitagabend war der seit Langem schwelende Machtkampf zwischen Prigoschin und der russischen Militärführung eskaliert. Kämpfer der Wagner-Gruppe marschierten von der Ukraine aus mit dem Ziel nach Russland ein, die Militärführung in Moskau zu stürzen. Nach rund 24 Stunden Aufstand vollzog Prigoschin am Samstagabend überraschend eine Wende und beorderte seine Söldner zurück in ihre Lager. Vorangegangen war dem eine Vereinbarung mit der russischen Führung, vermittelt durch Belarus.

Blinken sieht „Risse“

„Ich denke, man sieht Risse auftauchen, die vorher nicht da waren“, sagte US-Außenminister Blinken, der dazu am Sonntag gegenüber dem US-Sender ABC außer Frage stellte: „Jedes Mal, wenn ein großes Land wie Russland Anzeichen von Instabilität aufweist, ist das ein Grund zur Sorge.“

Der Aufstand werfe „eindeutig neue Fragen auf, mit denen Putin umgehen“ müsse. „Die Tatsache, dass es jemanden im Inneren gibt, der Putins Autorität direkt infrage stellt, direkt die Prämissen infrage stellt, auf deren Grundlage er diese Aggression gegen die Ukraine startete, das ist an sich schon etwas sehr, sehr Mächtiges.“ Mehrfach betonte Blinken aber auch, dass es sich bei dem Aufstand um eine „interne Angelegenheit“ Russlands handle.

Auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres verfolgte laut einer am Sonntag veröffentlichten Aussendung die jüngsten Ereignisse in Russland mit Sorge. Gleichzeitig appellierte Guterres an alle beteiligten Parteien, „verantwortungsvoll zu handeln, um weitere Spannungen zu vermeiden“.

Sitzung des Krisenkabinetts in Wien

In Wien berief Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) angesichts der Ereignisse in Russland am Sonntag das Krisenkabinett ein. „Der Krieg trägt Spuren deutlich nach Russland“, sagte Nehammer und erklärte, dass alles für eine Beendigung dieses Krieges getan werden müsse. In Österreich selbst seien auch „Schutzmaßnahmen“ getroffen worden, berichtete der Kanzler nach der Sitzung.