Kindergartenpädagogin hilft einem Kindergartenkind beim Klettern auf einer Wand
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Kindergärten

Personalprobleme als Dauerbelastung

Die Lage in Österreichs Kindergärten wird zunehmend prekärer. In Wien schlug die Kindergartengewerkschaft younion am Montag Alarm – in den öffentlichen Kindergärten fehlten mittlerweile 570 Elementarpädagoginnen und -pädagogen bzw. pädagogisches Personal. Das bestehende Personal fühle sich zudem überlastet – mehr und mehr Menschen würden sich daher gegen diesen Beruf entscheiden. Am Dienstag fand in Wien eine Protestkundgebung statt, um auf die Probleme aufmerksam zu machen.

Das fehlende Personal in Wien sei seit Anfang des Jahres um 14 Prozent angestiegen, so younion in einer Aussendung. In der derzeitigen Situation würde das Personal an seine Grenzen stoßen, so Judith Hintermeier, selbst Pädagogin und Bundesfrauenreferentin der younion-Gewerkschaft im Gespräch mit ORF.at. Es brauche daher dringend schnelle Lösungen, um für Entlastung zu sorgen.

Das pädagogische Fachpersonal müsse sich auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können. Doch gerade da scheitere es oft. Im Moment würden Elementarpädagoginnen und -pädagogen alles abdecken – vor allem Reinigungstätigkeiten und administrative Aufgaben würden zunehmend von ihnen erledigt. „Das bedeutet eine enorme Belastung, die auf Dauer nicht gutgeht“, so Hintermeier. Daher brauchte es besonders in diesen Tätigkeitsfeldern Unterstützung durch mehr Personal.

Protestkundgebung in Wien

Nachdem vor rund zwei Wochen bereits die Freizeitpädagoginnen und -pädagogen auf die Straße gingen, taten es ihnen die Gewerkschaften GPA, vida und younion am Dienstag gleich, um auf die prekäre Lage in Wiens Kindergärten aufmerksam zu machen. Der Grundtenor der Protestveranstaltung: Man fühle sich im Stich gelassen. Sämtliche Wünsche seien in den vergangenen Jahren ungehört geblieben. Werde sich nicht bald etwas ändern, werde man wieder auf die Straße gehen.

Entscheidung gegen Beruf und Berufswechsel

Denn die aktuelle Belastung in den Kindergärten werde immer größer. Einerseits sorgt diese dafür, dass viele, die eine facheinschlägige Ausbildung begonnen oder abgeschlossen haben, sich gegen diesen Beruf entscheiden. Und andererseits würden auch bereits aktive Pädagoginnen und Pädagogen mit dem Gedanken spielen, den Beruf zu wechseln.

Ähnlich sieht es Susanna Haas, Vorstandmitglied vom Verein EduCare, einem österreichweiten Verein, der sich aus einem Netzwerk von Vertreterinnen und Vertretern elementarer Bildung zusammensetzt. „Elementarpädagoginnen und -pädagogen steigen oftmals aus, weil die Arbeitsbedingungen schlichtweg nicht passen und das Berufsfeld nicht dem entspricht, was sie in der Ausbildung vermittelt bekommen haben“, so Haas gegenüber ORF.at. Zum Teil bemerke man den Personalmangel auch erst dann, wenn immer wieder Leute aussteigen, aber nichts nachkommt.

Keine österreichweite Zahlen- und Faktenlage

Wolle man sich die Situation in Gesamtösterreich ansehen, dann sei das gar nicht so einfach, so Hintermeier. Denn ein Hauptproblem sei, dass es keine einheitlichen Zahlen gebe, um klare Fakten und die Lage bundesländerübergreifend darzulegen. Allerdings verweist Haas dabei auf eine Studie der Uni Klagenfurt Ende 2022, nach der österreichweit bis 2030 rund 13.700 Fachkräfte fehlen könnten. Würde man gegen die bestehende Personalnot nichts unternehmen, wären es sogar 20.200.

Kinder in Kindergarten
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Die nicht vorhandene einheitliche Zahlen- und Faktenlage in Österreich stellt ein großes Problem dar

Jedoch seien es nicht nur die enormen Anstrengungen des Berufs, die das pädagogische Personal vertrieben. Betrachte man Wien, würden manche Bundesländer ganz gezielt Personal aus der Bundeshauptstadt abwerben. Aus Sicht der younion verstehe man die Bundesländer zum Teil – in Wien habe man einfach viel mehr Ausbildungsmöglichkeiten.

Neben der fünfjährigen BAfEP-Ausbildung (Bildungsanstalt für Elementarpädagogik) gibt es auch dreijährige Kollegs für Erwachsene sowie mehrere Bildungsangebote in Fachhochschulen. In den restlichen Bundesländern gebe es schlicht zu wenig Ausbildungsmöglichkeiten, so Hintermeier.

Versorgungssicherheit auf dem Spiel

Bei der younion plädiert man daher für eine Ausbildungsoffensive, so wie es Wien bereits erfolgreich getan hat und auch weiter entwickelt. Vor allem im Westen und im Süden Österreichs gebe es noch viel zu wenig Bildungsstandorte – das müsse sich ändern, so die Gewerkschaft, die Maßnahmen fordert, die nicht auf Kosten des übrigen Personals in Wien gehen. Denn wenn nicht bald etwas passiere, könne die Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleistet werden.

Ganz oben auf der Liste nach weiteren Forderungen an die Politik seien zudem bundeseinheitliche Rahmenbedingungen. Denn Elementarpädagogik ist in Österreich Ländersache, und hier gebe es einen Fleckerlteppich, so Hintermeier. Das fängt damit an, wie viele Kinder in den einzelnen Gruppen sein dürfen – zum Beispiel in Tirol 18 und in Wien 25 Kinder –, oder aber, wie viel Personal dafür abgestellt wird. Und auch in der Ausbildung gibt es Unterschiede – beispielsweise wie viele Stundeneinheiten absolviert werden müssen.

Erwartungen an Finanzausgleichsverhandlungen

Bei der Gewerkschaft verweist man zudem auf die aktuellen Verhandlungen zum Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern. „Jetzt kann die Bundesregierung zeigen, wie wichtig ihnen elementare Bildung ist“, so Christian Meidlinger, Vorsitzender der younion. Positiv dazu geäußert hatte sich zuletzt auch Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer.

Er forderte einen qualitativen und quantitativen Ausbau der Kindergärten. „Wir schreiben 2023 und nicht 1850“, so Mahrer zuletzt. Darüber hinaus seien auch deutlich längere Öffnungszeiten dringend erforderlich. Bei der Gewerkschaft fordert man zudem finanzielle Förderungen pro Jahr in der Höhe von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anstatt der aktuellen rund 0,7 Prozent.

Noch Luft nach oben in EU-Vorhaben

In der EU habe man sich bis 2030 vorgenommen, dass mindestens 45 Prozent der Kinder unter drei Jahren an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung teilnehmen und alle Kinder bis sechs Jahren. Österreich liegt derzeit bei knapp 30 Prozent bei den unter Dreijährigen bzw. 94 Prozent bei den Kindern bis sechs Jahren. Für die Erreichung dieses Ziels brauche es rund 14.000 Pädagoginnen und Pädagogen sowie weitere Unterstützungskräfte.

Kindergartenbetreuer mit Kind
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Knapp 30 Prozent aller unter Dreijährigen nehmen an frühkindlicher Betreuung teil, bis 2030 sollten es mindestens 45 Prozent sein

Bei „inklusiven Kindergartengruppen rückständig“

Neben dem Personalmangel kritisiert man in facheinschlägigen Kreisen vor allem auch den Umgang mit inklusiven Kindergartengruppen. Auch hier fehlten viele Fachkräfte, sagte Haas. Etwas weiter geht Natascha Taslimi, Vorsitzende des Netzwerks für elementare Bildung Österreichs (NeBÖ). Gegenüber ORF.at meinte sie, dass Österreich dem Recht der UNO-Kinderrechtskonvention auf Bildung für alle Kinder nicht nachkomme.

„Der Personalmangel in den Kindergärten ist schlimm, aber noch schlimmer sieht die Situation bei Kindern mit erhöhtem Unterstützungsbedarf aus.“ In Großstädten sei die Situation nicht ganz so schlimm, am Land sei die Lage aufgrund hoher Distanzen allerdings noch mal um einiges schwieriger. Für Taslimi habe Österreich hier einen starken Nachholbedarf.