Vladimir Putin
Reuters/Kremlin.ru
Rede an Nation

Putin teilt Dank aus – auch an Söldner

Am Montagabend hat sich Kreml-Chef Wladimir Putin überraschend an die russische Nation gewandt. Nach langem Schweigen dankte er der Bevölkerung für ihren „Patriotismus“ und dem Sicherheitsapparat für dessen Gegenwehr bei der Meuterei vom Samstag. Auch den Wagner-Söldnern dankte Putin dafür, dass sie Blutvergießen vermieden hätten. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hatte sich zuvor ebenfalls zu Wort gemeldet: Einen Putsch habe er nicht im Sinn gehabt.

Auch am Montag lichteten sich die Nebel rund um den gescheiterten Wagner-Aufstand kaum. Nach wie vor blieben viele Fragen offen, auch wenn die Beteiligten am Montag Erklärungen versuchten. Am Abend wandte sich Putin in einer im Staatsfernsehen übertragenen Rede an die Öffentlichkeit und dankte den russischen Sicherheitskräften und der Bevölkerung nach der Zerschlagung der Revolte der Privatarmee Wagner für ihren Rückhalt.

„Ich danke allen Soldaten, Mitarbeitern der Geheimdienste, die sich den Aufständischen in den Weg gestellt haben.“ Auf seinen Befehl hin sei alles getan worden, um Blutvergießen zu verhindern. „Das hat Zeit gebraucht“, sagte Putin. „Der bewaffnete Aufstand wäre auch so zerschlagen worden.“

Angebot an Söldner

Er dankte auch dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko für die Vermittlung in dem Konflikt mit Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin. Der Kreml-Chef bot den Wagner-Kämpfern zudem an, in den russischen Streitkräften zu dienen. Sie könnten aber auch nach Belarus gehen oder einfach zu ihren Familien zurückkehren. Er werde sein diesbezügliches Versprechen halten, so Putin. Die meisten der Mitglieder der Wagner-Söldnergruppe seien auch Patrioten, erklärte Putin. Jeder Versuch, in Russland Chaos zu stiften, sei zum Scheitern verurteilt, sagte er weiter.

Viele offene Fragen nach Söldner-Aufstand

Auch 48 Stunden nach dem mysteriösen Aufstand rund um Söldner-Führer Prigoschin rätselt die Welt, was es mit dieser bizarren Revolte auf sich hatte. Sowohl Putin als auch Prigoschin meldeten sich am Montag kurz zu Wort. Viele Fragen bleiben aber offen.

„Die Organisatoren des Aufstands, die das Land verraten haben, haben auch diejenigen verraten, die auf ihrer Seite waren“, sagte Putin. Prigoschins Namen nahm Putin nicht in den Mund.

Putin: Volk und Militär sind zusammengestanden

Am Dienstag dankte Putin dem Militär. Das Volk und die Streitkräfte seien vereint gegen die Meuterer zusammengestanden, sagte Putin vor rund 2.500 Angehörigen der russischen Sicherheitskräfte, der Nationalgarde und der Armee bei einer Versammlung im Kreml. Begleitet wurde Putin von Verteidigungsminister Sergej Schoigu, dessen Entlassung die Wagner-Söldner gefordert hatten. Putin bat zudem um eine Schweigeminute zu Ehren der russischen Militärpiloten, die während der Rebellion getötet wurden.

Prigoschin rechtfertigte sich in Audiobotschaft

Zuvor hatte Prigoschin sich bereits per Audiobotschaft an die Öffentlichkeit gewandt. Seinen Aufenthaltsort gab der Wagner-Chef nicht bekannt. Er soll sich – gemäß der kolportierten Einigung – in Belarus aufhalten. Prigoschin sagte in seiner Nachricht, er habe nicht die russische Führung stürzen wollen, sondern seine eigene Truppe retten. „Wir sind losgegangen, um Protest zu demonstrieren, nicht um die Obrigkeit im Land zu stürzen“, so Prigoschin in der via Telegram publik gewordenen Sprachnachricht.

Der „Marsch“ in Richtung Moskau habe auch zum Ziel gehabt, jene zur Verantwortung zu ziehen, die in der „militärischen Spezialoperation“ – also dem Angriffskrieg gegen die Ukraine – Fehler gemacht hätten, so Prigoschin. Damit erneuerte er die Vorwürfe vor allem gegen das russische Verteidigungsministerium, dem er wiederholt vorwarf, die Söldner im Stich zu lassen.

ORF-Analyse zur Rede Putins

Putin wollte mit seiner Rede am Montag Präsenz zeigen, analysiert ORF-Korrespondent Paul Krisai. Inhaltlich war die Rede relativ dünn. Zudem solle der Auftritt dazu dienen, den Wagner-Söldnern glaubhaft zu vermitteln, dass die Sicherheitsgarantien für sie gelten.

„Schwerwiegende Sicherheitsprobleme“ in Russland

Zudem warf Prigoschin dem Verteidigungsministerium vor, Militärlager der Söldner am vergangenen Freitag beschossen zu haben. Dabei sind seinen Angaben nach 30 Wagner-Kämpfer getötet worden. Das sei zusätzlich zur vom Ministerium angestrebten Auflösung der Wagner-Truppe der Auslöser für den Aufmarsch gewesen. Man sei umgekehrt, um kein Blut russischer Soldaten zu vergießen.

Man selbst habe gegen Russen keine Aggression gezeigt, so der Wagner-Chef. Doch sei die Söldnertruppe mit Raketen angegriffen worden. Daher habe man auf russische Flugstreitkräfte geschossen. Dass das nötig gewesen sei, sei bedauerlich, so der Söldnerführer. Der Aufstand habe „schwerwiegende Sicherheitsprobleme“ in Russland aufgezeigt. Auch Prigoschin betonte die Rolle Lukaschenkos bei der Beendigung des Aufstandes. Dieser habe eine friedliche Lösung vermittelt.

Sowohl Putin als auch Prigoschin hatten sich seit Samstag nicht mehr zu den Geschehnissen gemeldet. Nur der russische Regierungschef Michail Mischustin hatte inzwischen eingeräumt, dass die Wagner-Rebellion eine „Herausforderung für die Stabilität“ Russlands war. Er sprach bei einer im russischen Fernsehen übertragenen Regierungssitzung und appellierte: „Wir müssen geeint hinter Putin stehen.“

Viele politische Beobachter hatten vor Putins abendlicher Rede mit einer Entlassung des Verteidigungsministers Sergej Schoigu gerechnet, der seit Monaten wegen der Misserfolge beim Angriffskrieg in der Kritik stand und auch dem Aufstand Prigoschins nichts entgegenzusetzen hatte. Doch Putin hielt trotz der Kritik – zumindest vorläufig – an Schoigu fest, auch weil dieser als persönlicher Vertrauter des Kreml-Chefs gilt. Schoigu war am Montag dann auch Teilnehmer eines Treffens zwischen Putin und den Spitzen der russischen Sicherheitsdienste.

Putin „schwer beschädigt“

Der deutsche Militärexperte Nico Lange sprach Montagabend in der ZIB2 von einem „Bandenkrieg“, bei dem der vermeintlich starke russische Staat „abwesend“ gewesen sei. An eine Inszenierung glaubte Lange nicht. Für den Sicherheitsexperten der Münchner Sicherheitskonferenz ist Putin nun „schwer beschädigt“. Er selbst sei das größte Sicherheitsrisiko für den Westen, so Lange.

Sicherheitsexperte Lange: „Putin ist sehr beschädigt“

Sicherheitsexperte Nico Lange (Münchner Sicherheitskonferenz) analysiert die Vorkommnisse rund um die Revolte der Wagner-Söldner in Russland. „Der russische Staat war abwesend“, so der Experte, der Putin sehr beschädigt sieht. Er hält von der These, dass die Revolte eine Inszenierung gewesen sei, nichts. „Das war bitterer Ernst.“

Teile der Bevölkerung hatten Prigoschin und seinen Söldnern bei dessen Rückzug am Samstag auch zugejubelt. Das wird von Beobachterinnen und Beobachtern als Zeichen für die geringe Unterstützung, die Putin in der eigenen Bevölkerung genießt, verstanden.

Auch die Tatsache, dass die Wagner-Söldner in das Militärhauptquartier in Rostow ohne Widerstand einziehen und sich danach in einer Kolonne – praktisch ohne auf Widerstand zu treffen – Hunderte Kilometer auf Moskau zubewegen konnten, gilt als Hinweis auf mangelnde Unterstützung selbst innerhalb der russischen Streitkräfte.

Das gesamte Machtsystem in Russland habe am Samstag verloren, „inklusive Prigoschin, der Teil dieses Systems ist“, so Andrei Kolesnikov vom US-Thinktank Carnegie, der sich am Wochenende in Moskau aufhielt, gegenüber dem „Wall Street Journal“. Bei Putin „hat sich gezeigt, dass der Zar kein wirklicher Zar ist, weil er einen Mann aus seinem eigenen System – der eigentlich völlig unter seiner Kontrolle stehen sollte – nicht kontrollieren konnte“.

Biden: Folgen noch nicht absehbar

Die USA bekräftigten am Montag, nicht in den Aufstand verwickelt gewesen zu sein. „Wir haben klargestellt, dass wir nicht involviert waren. Wir hatten damit nichts zu tun“, sagte US-Präsident Joe Biden. Die Lage in Russland sei Teil eines Kampfes innerhalb des russischen Systems.

„Wir werden die Auswirkungen der Ereignisse dieses Wochenendes und die Folgen für Russland und die Ukraine weiter bewerten“, so Biden im Weißen Haus. Aber es sei noch zu früh, um eine endgültige Schlussfolgerung darüber zu ziehen, welche Folgen der Aufstand haben werde. „Das endgültige Ergebnis von alledem bleibt abzuwarten.“