Euro-Geldscheine werden am Bankschalter übergeben
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Zinsen, Inflation und Co.

Teures Leben verändert Sparverhalten

Wertpapiere statt Immobilien, Bausparer statt Neuverschuldung – das Sparverhalten in Österreich hat sich in den letzten Monaten deutlich geändert. Wer es sich noch leisten kann, investiert sein Geld mittlerweile eher in Fonds als Immobilien. Doch für mehr und mehr Menschen stellt sich die Frage der richtigen Geldveranlagung gar nicht mehr.

Denn Fixkosten und Kreditraten sind inzwischen derart hoch, dass zum Sparen kaum noch etwas übrig bleibt. Die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) geht davon aus, dass die Sparquote heuer sinken wird. Die Inflationsrate betrug im Mai neun Prozent, der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) liegt momentan bei vier Prozent – und entsprechend hoch sind mittlerweile auch diverse Zinsraten etwa für Wohn- und Konsumkredite.

Besonders wer sich in der Vergangenheit für einen variablen Zinssatz bei seinem Kredit entschieden hat, muss nun meist eine enorme Steigerung der monatlich anfallenden Kosten bewältigen. Rund 70 Prozent aller Kredite in Österreich seien Wohnkredite, sagt Klaus Vondra, Volkswirtschaftsexperte der OeNB, gegenüber dem ORF. War die Neuaufnahme solcher Kredite in Österreich in den letzten Jahren immer überdurchschnittlich hoch, so ist diese seit dem vergangenen Sommer stark zurückgegangen und liegt mittlerweile unter dem Durchschnitt des Euro-Raumes. Das belegen auch die aktuellen Zahlen der OeNB.

Nicht genügend Eigenmittel für Wohnkredit

„Die Jahreswachstumsraten von Wohnbaukrediten an private Haushalte lagen in Österreich in den letzten Jahren rund eineinhalb Prozentpunkte über jenen des Euro-Raum-Durchschnitts. Im zweiten Halbjahr 2022 hat sich dies geändert. Obwohl noch immer positiv, gingen die Wachstumsraten sowohl im Euro-Raum als auch in Österreich zurück, wobei der Rückgang in Österreich stärker ausgeprägt war. Grund dafür sind geringere Neuaufnahmen, was sowohl angebots- als auch nachfrageseitige Gründe hat. Ein Bestimmungsgrund sind jedenfalls die höheren Kreditzinsen“, erklärt Vondra.

Dass die Banken weniger Neukredite vergeben, liegt angebotsseitig vor allem an den strengeren Vergaberichtlinien, die im Sommer 2022 in Kraft traten. Diese sehen unter anderem vor, dass die Kreditnehmerinnen und -nehmer über Eigenkapital verfügen müssen, das mindestens 20 Prozent des Kaufpreises ausmacht.

Zusätzlich darf die Höhe des Kredits maximal 90 Prozent des errechneten Marktwertes der Immobilie betragen. Viele können sich einen Kredit also schlichtweg nicht mehr leisten, ihre Anträge werden von den Banken entsprechend abgelehnt. „Und nachfrageseitig schmälern die gestiegenen Kreditzinsen natürlich das Interesse“, so Vondra, Immobilien als Wertanlage würden an Attraktivität verlieren.

Baustelle eines Wohnbaus
ORF.at/Christian Öser
Auch die Zahl der Neubauten ging in Österreich in den vergangenen Monaten zurück

Einlagen werden wieder länger gebunden

Gleichzeitig verzeichnen Finanzberater eine steigende Nachfrage nach Fonds, um Vermögen möglichst lukrativ zu veranlagen. Außerdem zeigen aktuelle Zahlen zu den Geldeinlagen von Bankkundinnen und -kunden, dass es zu einer Verhaltensänderung kommt.

„In den letzten Jahren haben wir einen starken Zuwachs bei den ‚Täglich fällig‘-Einlagen gesehen. Das hat sich jetzt gedreht. Beim Neugeschäft sieht man einen Anstieg bei der Bindung von Einlagen. Hier besteht ein enger Konnex mit den Einlagezinsen, die es wieder etwas attraktiver machen, Geld auf diese Art zu sparen“, so Vondra.

Residualgröße

Die Residualgröße ist die Restgröße aus einer Rechnung. Bezogen auf die Sparquote ergibt sich diese aus der Differenz zwischen verfügbarem Haushaltseinkommen und dem Konsum.

Sparquote sinkt bis Jahresende

Trotzdem geht die OeNB davon aus, dass die Sparquote bis Jahresende leicht sinken wird. Sie wird jeweils im Dezember und im Juni für die kommenden sechs Monate von den Experten der OeNB prognostiziert. Diese Residualgröße ergibt sich aus den verfügbaren Haushaltseinkommen und dem Konsumverhalten.

„Absolut stehen wir momentan circa bei 8,5 Prozent – die OeNB geht davon aus, dass die Sparquote heuer um einen Prozentpunkt sinkt, das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) und das Institut für Höhere Studien (IHS) gehen von etwas weniger aus. Aber in allen drei Prognosen wird die Sparquote zurückgehen, weil die Menschen durch die hohe Inflation die Ersparnisbildung – also was sie zusätzlich weglegen können – reduzieren müssen, um den laufenden Konsum zu erhalten“, erklärt Vondra.

2024 andere Situation

Das sei makroökonomisch völlig sinnvoll und üblich. Nächstes Jahr werde das verfügbare Haushaltseinkommen aber wieder deutlich steigen, „weil davon auszugehen ist, dass die Lohnabschlüsse für nächstes Jahr wirklich stark sein werden. Damit wird auch die Sparquote 2024 wieder steigen.“

Mehr Menschen bei Schuldenberatung

Statt der Sparquote steigen derzeit wenig überraschend die Klientenzahlen bei der Schuldenberatung. Die hohen Fixkosten durch anhaltende Inflation und steigende Kreditzinsen bringen mehr und mehr Menschen finanziell ans Limit. Die Frage, ob man sein Geld besser in Sparbriefen oder Aktien anlegt, stellt sich nicht. Im Gegenteil: Zunehmend werden vorhandene Ersparnisse verwendet, um laufende Kredite schneller abzubezahlen und zu tilgen und die Fixkosten so etwas zu senken.

„Wir raten unseren Kundinnen und Kunden generell immer dazu, ihre Schulden so schnell wie möglich zu tilgen. Ein Sicherheitspolster von ein, zwei Monatsgehältern ist wichtig, aber mit dem Rest sollte man jedenfalls schauen, seine Schuldenlast zu minimieren“, sagt Gudrun Steinmann von der Schuldenberatung des Fonds Soziales Wien. Dort verzeichnet man seit einigen Monaten eine steigende Nachfrage nach Beratungen.

„Normalerweise haben wir pro Monat durchschnittlich etwa 550 Neuanmeldungen, aktuell sind wir bei rund 700 monatlich.“ Auch die Arbeiterkammer (AK) verzeichnee derzeit einen Anstieg der Beratungen zum Thema Tilgungen und Teiltilgungen von Wohnkrediten, so AK-Finanzexperte Christian Prantner.

„Schuldenthema in der Mittelschicht angekommen“

Dabei handelt es sich immer öfter nicht um sozial schwache Menschen mit niedrigem Einkommen. „Sondern wir sehen, dass Menschen aus der sogenannten Mittelschicht, die nie dachten, dass sie unsere Unterstützung einmal brauchen, uns immer öfter kontaktieren. Die Fixkosten und Lebenshaltungskosten sind so stark gestiegen, dass das damals in der Kalkulation für ihre Kreditaufnahme nicht absehbar war. Vor allem, wenn es um Kredite mit variablen Zinsen geht, ist die Situation für immer mehr Menschen schwer zu bewältigen“, so Steinmann.

Als „Mittelschicht“ definiert die Schuldenberatung Single-Haushalte derzeit mit einem Einkommen zwischen 1.800 und 3.000 Euro netto, bei Mehr-Personen-Haushalten mit rund 4.000 Euro netto.

„Stagflation“: Kein Wachstum, aber hohe Inflation

Geht es nach der OeNB, ist eine Entspannung der Finanzlage für heuer noch nicht in Sicht. Österreichs Wirtschaft befinde sich in einer „Stagflationsphase“: kein Wachstum, aber eine hohe Inflationsrate.

„Durch die gestiegenen Zinsen und das schwierige Umfeld sind Aussichten für die Investitionen derzeit sehr schwach, wir erwarten auch für die kommenden Jahre keine Dynamik. Und auch die Exportentwicklung ist aktuell sehr schwach, weil keine nennenswerten Impulse zu sehen sind. Im Gegenteil, derzeit schwächt sich die Entwicklung in den USA, in China sowie auch in den zentral-, ost- und südosteuropäischen Ländern ab“, erklärt Vondra. Ähnlich bewerten WIFO und IHS die Entwicklung in ihrer kürzlich präsentierten Sommerprognose.

Starke Lohnabschlüsse für 2024 erwartet

Besserung erwartet der Finanzexperte für das kommende Jahr. „Weil in Österreich im Herbst die Löhne für das nächste Jahr verhandelt werden – auf Basis der letztjährigen Inflation –, gehen wir davon aus, dass die Lohnabschlüsse für 2024 sehr stark sein werden, und das in einem Umfeld, in dem die Inflation bereits sinkt. Daraus ergeben sich starke Reallohnzuwächse, und dieses Geld wird von den Haushalten konsumiert werden und/oder geht in die Ersparnisbildung.“ Ein Sinken der Inflationsrate auf unter drei Prozent sei für das kommende Jahr aber unrealistisch, so OeNB-Finanzexperte Vondra.