NATO-Gipfel in Vilnius
Reuters/Yves Herman
NATO bremst bei Beitritt

G-7 will Ukraine unter Schutz stellen

Die NATO bremst bei einem baldigen Beitritt der Ukraine zu dem Militärbündnis, stellt ihn aber in Aussicht, wenn die Bedingungen dafür erfüllt sind. Bis dahin wollen die G-7-Staaten der Ukraine langfristige Sicherheitszusagen bieten. Während Kiew die Zusage als „wichtiges Signal“ bezeichnete, übte der Kreml bereits scharfe Kritik.

In einer am Mittwoch zum Ende des NATO-Gipfels in der litauischen Hauptstadt Vilnius veröffentlichten Erklärung kündigte die G-7 an, sie wolle „spezifische, bilaterale und langfristige Sicherheitszusagen und -regeln“ für die Ukraine erarbeiten. Diese Hilfen sollen zeitlich über den gegenwärtigen Krieg gegen die russischen Invasionstruppen hinausgehen, wie aus der Erklärung hervorgeht.

Der Ukraine solle geholfen werden, eine „zukunftsfähige Truppe“ aufzubauen, die das Land „jetzt verteidigen“ und Russland von einem neuen Angriff in der Zukunft „abschrecken“ könne, heißt es darin. Zu den Hilfen sollen unter anderem die Lieferung moderner militärischer Ausrüstung, die Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte, die Weitergabe von Geheimdienstinformationen und der Schutz gegen Cyberangriffe gehören.

Die Verhandlungen mit der Ukraine über diese Hilfen sollten der Erklärung zufolge noch am Mittwoch beginnen. Sie sollen bilateral zwischen den einzelnen G-7-Mitgliedsstaaten und der Ukraine geführt werden. Der Gruppe großer Industriestaaten gehören die USA, Kanada, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan an.

Selenskyj: „Wichtiges Signal“

Die NATO selbst will bei den Sicherheitsgarantien nicht so weit gehen wie die G-7-Mitgliedsstaaten. Bei einem Treffen mit dem ukrainische Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hatte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zuvor erklärt, dass er die Lieferung weiterer Waffen für die aktuell wichtigste Unterstützungsmaßnahme für die Ukraine hält.

Selenskyj hingegen bezeichnete die geplanten Sicherheitsgarantien als „wichtiges Signal“. Das sei „die erste rechtsverbindliche Zusicherung eines Sicherheitsschirms“ für die Ukraine. Damit hänge die Sicherheit seines Landes nicht mehr von persönlichen Beziehungen zu Staats- und Regierungschefs ab, fügte Selenskyj hinzu.

Selenskyj trifft mehrere Staats- und Regierungschefs

„Wir können nie zulassen, dass sich das, was in der Ukraine passiert ist, wiederholen wird, und diese Erklärung bekräftigt unsere Verpflichtung sicherzustellen, dass sie nie wieder der Art von Brutalität ausgesetzt wird, die Russland ihr angetan hat“, sagte der britische Premierminister Rishi Sunak. Kurz vor seinem persönlichen Treffen mit Selenskyj wurde Sunak noch deutlicher: „Es ist gut, dich hier bei der NATO zu sehen, wo du hingehörst“, sagte er Richtung Selenskyj.

Der britische Premierminister Rishi Sunak und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
AP/Paul Ellis
Für den britischen Premier Sunak (l.) gehören die Ukraine und Selenskyj zur NATO

Selenskyj traf auch den deutschen Kanzler Olaf Scholz in Litauen. Deutschland hatte schon am Dienstag ein neues Militärhilfepaket im Umfang von 700 Millionen Euro für die Ukraine angekündigt. Scholz sagte bereits mehrfach, dass sich auch Deutschland an den Sicherheitsgarantien für die Ukraine beteiligen werde. Wie genau diese aussehen werden, ist aber noch offen. Nach Angaben von Diplomaten sagte die Ukraine im Gegenzug für Sicherheitsgarantien Reformen in Regierungsführung und Justiz zu.

US-Schutz nach dem Muster Israels

US-Präsident Joe Biden hatte bereits am Wochenende gegenüber CNN ein mögliches Schutzszenario für Kiew für die Zeit zwischen dem Kriegsende und einem möglichen NATO-Beitritt umrissen – nach dem Muster der Israel-Vereinbarung. Die USA unterstützen Israel jedes Jahr mit rund 3,8 Milliarden US-Dollar (3,5 Mrd. Euro). Schon jetzt gab es enorme Unterstützung für die Ukraine aus den USA. Seit Kriegsbeginn Ende Februar 2022 stellten die USA eigenen Angaben zufolge militärische Hilfe im Wert von mehr als 40 Milliarden US-Dollar bereit bzw. sagten diese zu.

Der NATO-Beitrittsprozess brauche Zeit, bis dahin könnten die USA der Ukraine die notwendigen Waffen zur Verfügung stellen und sie mit Fähigkeiten ausstatten, um sich selbst zu verteidigen. Der Beitritt sei aber nur im Fall eines Waffenstillstands und eines Friedensabkommens denkbar, betonte Biden.

NATO-Gipfel in Vilnius
APA/AFP/Jacques Witt
Auf dem NATO-Gipfel wurde der Ukraine ein Beitritt in Aussicht gestellt, aber ohne konkreten Zeitplan

Kreml: Sicherheitsgarantien „sehr gefährlich“

Der Kreml bezeichnete die langfristigen Sicherheitszusagen der G-7 für die Ukraine als Gefahr für Russlands Sicherheit. „Wir halten das für einen extremen Fehler und potenziell für sehr gefährlich“, sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow. Wenn die G-7-Staaten der Ukraine Zusagen irgendeiner Art gäben, ignorierten sie das internationale Prinzip der „Unteilbarkeit der Sicherheit“.

„Das heißt: Indem sie der Ukraine Sicherheitsgarantien geben, verletzen sie Russlands Sicherheit“, sagte er. Moskau hoffe noch auf „Weisheit“ im Westen. Andernfalls machten die Länder Europa „für viele, viele Jahre noch viel gefährlicher“. Angesichts der Kritik von NATO-Generalsekretär Stoltenberg an China sprach Peskow von einem „idealen Zeitpunkt“, die Beziehungen zwischen Moskau und Peking auf hohem Niveau aufrechtzuerhalten. Stoltenberg hatte in Vilnius gesagt, das zunehmend forsche Auftreten Pekings beeinträchtige auch die Sicherheit des Verteidigungsbündnisses.

Während Litauens Staatspräsident Gitanas Nauseda beim Ergebnis des NATO-Gipfels von einem „Maximum“, das erreicht werden konnte, sprach, waren die Beschlüsse für Polens Präsident Andrzej Duda unzureichend: „Meiner Meinung nach ist das absolut nicht genug.“

Selenskyj: „Niemand will einen Weltkrieg“

Auch Selenskyj hatte sich enttäuscht über den fehlenden Zeitplan für einen NATO-Beitritt der Ukraine gezeigt. „Wir brauchen eine Verständigung darauf, dass wir eine Einladung für den Zeitpunkt haben, wenn die Sicherheitslage das erlaubt“, sagte der Präsident. Am Mittwoch wiederholte er seine Worte, zeigte sich aber zuversichtlicher. „Die NATO braucht uns, wie auch wir die NATO brauchen. Ich bin zuversichtlich, dass die Ukraine nach dem Krieg in der NATO sein wird.“

Selenskyj zeigte zugleich Verständnis für die Haltung der USA und Deutschlands, die auf dem Gipfel der Allianz eine Beitrittseinladung für die Ukraine verhindert hatten. „Niemand will einen Weltkrieg“, sagte Selenskyj. Er sehe „taktische“ Gründe hinter der Zurückhaltung. Er bezog sich damit auf Befürchtungen in Washington und Berlin, die NATO könne bei Aufnahme der Ukraine in den Krieg mit Russland hineingezogen werden. Die Ergebnisse des NATO-Gipfels seien insgesamt „gut, aber sollten wir eine Einladung erhalten, wären sie optimal“, sagte Selenskyj.