Herbert Kickl (FPÖ) und Karl Nehammer (ÖVP)
Reuters/Leonhard Foeger
Strategiefrage

Nehammers Poker mit Kickl-Ablehnung

Die ÖVP-Regierungsmannschaft schießt sich immer mehr auf FPÖ-Chef Herbert Kickl ein, allen voran Bundeskanzler Karl Nehammer: Eine Koalition mit der FPÖ unter Kickl sei unmöglich, heißt es. Politikwissenschaftlerin Katrin Praprotnik sieht darin vor allem den Versuch, Wechselwählerinnen und Wechselwähler zu mobilisieren. Für den Politologen Peter Filzmaier ist die Strategie die „am wenigsten schlechte Option“.

In der ZIB2 wiederholte Nehammer am Mittwoch, dass er im Bund eine Koalition der Bundes-ÖVP mit den Freiheitlichen unter Kickl ausschließe. Das sei auch „Linie der Bundespartei“. Kickl sei „kein glaubwürdiger Verhandlungspartner“, sondern etwa wegen seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Raketenschutzschirm „Sky Shield“ ein „Sicherheitsrisiko“, so Nehammer einmal mehr.

Für eine Partei, die auf Bundes- und Länderebene nicht nur mehrfach mit der FPÖ koaliert hat und koaliert, sondern auch einen Innenminister Kickl akzeptiert hatte, scheint das eine interessante Aussage – nicht nur wegen der Glaubwürdigkeit, auch wegen des Zeitpunkts und des gewählten Anlassfalls.

Für Praprotnik sind diese und ähnliche Aussagen auch der ÖVP-Minister und -Ministerinnen die „schwächstmögliche Form einer negativen Koalitionsaussage“. Die ÖVP bleibe, indem sie sich auf eine einzelne Person konzentriere, ihrer bisherigen Strategie treu. Sie lege sich im Vorfeld einer Wahl bezüglich möglicher Koalitionen nicht fest, sondern halte sich weiterhin alles offen, so Praprotnik gegenüber ORF.at.

Honigtopf für Wechselwähler?

Praprotnik sieht vorrangig den Versuch, Wechselwählerinnen und Wechselwähler, die 2019 von der FPÖ gewonnen wurden, zu binden – gerade wenn man wisse, wie sehr Kickl polarisiere. Aktuell gebe es nämlich eine Rückbewegung von der ÖVP zu FPÖ. Es sei dafür auch nicht zu früh oder zu spät, sondern das sei ein politisches Tagesgeschäft. Hinweise auf eine vorgezogene Neuwahl sieht sie, angesprochen auf erneut aufkeimende entsprechende Gerüchte, nicht.

Die Ablehnung Kickls sei, gerade für Nehammer, angesichts möglicher Alternativen „von allen schlechten Optionen die am wenigsten schlechte“, meint Filzmaier gegenüber ORF.at. Laut aktuellen Umfragen sei es derzeit eher unwahrscheinlich, dass die ÖVP als Erste aus der nächsten Wahl herausgeht. Als Juniorpartnerin in einer gemeinsamen Regierung müsste sie sich aber einer FPÖ unterordnen.

Abgrenzung als „Partei der Mitte“

Wenn die ÖVP und Nehammer weiterhin den Kanzler stellen möchten, so Filzmaier, müsse man sich abgrenzen – das sei zwingend gemäß der aktuellen Positionierung als „Partei der Mitte“. Die Abgrenzung sei zudem ein Zeichen an die eigene Partei und Grundlage für eine Mobilisierung der ÖVP-Kernwählerschaft. Selbst wenn in der ÖVP nicht alle diese Positionierung goutieren würden, eine offene Debatte und daraus resultierende Obmanndebatte wolle wohl niemand.

Die FPÖ kann ihrerseits von der ÖVP-Strategie auch profitieren, in erster Linie durch „viel Aufmerksamkeit“, meint Praprotnik. Es sei etwa schwieriger, dass andere Themen bzw. Parteien stärker vorkommen. Zudem könne die FPÖ auf diesem Weg ihre eigene Stammwählerschaft mit ureigensten Themen mobilisieren. Ob etwa die Opferrolle auch bei Wechselwählern helfe, sei nicht klar, so Filzmaier, der Kickl unter Druck sieht, den aktuellen Vorsprung bei den Umfragen zu halten.

Koalition zwischen ÖVP und FPÖ weiterhin möglich

Eine Koalition mit der FPÖ nach der nächsten Wahl sei für die ÖVP grundsätzlich weiterhin möglich bzw. nicht ausgeschlossen, sagen Praprotnik und Filzmaier übereinstimmend. Gerade Niederösterreich habe gezeigt, dass es ein „Wiederfinden“ geben könne, selbst wenn es „keine Liebesbeziehung“ zwischen den Parteien, dafür aber viele Kompromisse gebe, so Praprotnik – auch wenn das in Sachen Glaubwürdigkeit nicht gerade hilfreich sei.

NÖ-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner
APA/Helmut Fohringer
Mit der FPÖ gebe es „keine Liebesbeziehung“, sagte Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP)

Bei den möglichen tatsächlichen Konsequenzen für die ÖVP gebe es viele Varianten, bis zur darauffolgenden regulären Wahl sei es wieder lange hin, sagt die Politikwissenschaftlerin. Als Juniorpartner einer FPÖ wäre Nehammer nicht nur unter Kickl als Kanzler, sondern womöglich auch als Regierungsmitglied nur schwer denkbar, sieht Filzmaier keinen Widerspruch.

Umgekehrt könnte sich die FPÖ theoretisch den Bedingungen eines Regierungspartners anpassen, allerdings, so Filzmaier, sei die FPÖ derzeit die geschlossenste aller großen Parteien. Praprotnik meinte, unter Verweis auf Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und die Grünen, dass man Juniorpartner in ihrer Wirkung auch nicht unterschätzen dürfe.

Herbert Kickl (FPÖ) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen
APA/Roland Schlager
Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei der Angelobung Kickls als Innenminister

Van der Bellen als Königsmacher?

In Sachen Strategie dürfe man auch die Rolle von Bundespräsident Alexander Van der Bellen nicht übersehen, sagen wiederum beide Politikwissenschaftler. Van der Bellen hatte in einem ORF-Interview vor seiner eigenen zweiten Angelobung offen gelassen, ob er Kickl als Kanzler angeloben würde. Van der Bellen steht, wie wohl ein Großteil seiner Wählerschaft, der FPÖ und speziell Kickl, der nicht nur ihn selbst immer wieder kritisierte und attackierte, kritisch gegenüber.

Van der Bellen riskiere nichts mehr, wenn er nun Kickl als Kanzler ablehne, verweist Filzmaier darauf, dass eine dritte Amtszeit als Bundespräsident für Van der Bellen nicht möglich und ein weiteres politisches Amt eher unwahrscheinlich sei. Wenn die ÖVP die bisherigen Aussagen Van der Bellens und dessen Präferenz für andere Koalitionsvarianten auch mit drei Parteien ernst nehme und weiter den Kanzleranspruch stelle, sei die Abgrenzung zur FPÖ sinnvoll.