Frauen in Manipur (Indien), wo es zu ethnischen Auseinandersetzungen kommt
AP/Altaf Qadri
Manipur am Abgrund

Indiens Premier Modi schaut weg

Seit Monaten taumelt der abgelegene nordindische Bundesstaat Manipur am Rande eines Bürgerkriegs. Zuletzt kam es zu beispielloser Gewalt zwischen den ethnischen Gruppen mit Dutzenden Toten, Zehntausenden Vertriebenen und über hundert in Schutt und Asche gelegten Dörfern. Premier Narendra Modi schaut weg, er hat die Wahl im nächsten Jahr im Blick.

In dem für Indien vergleichsweise kleinen Bundesstaat an der Grenze zu Myanmar leben eine vorwiegend hinduistische und die Politik dominierende Mehrheit, die Meitei, sowie zwei vorwiegend christliche Stämme, die Kuki und Naga. Letztere sehen sich durch die Meitei benachteiligt, während diese beklagen, dass Kuki und Naga als „Scheduled Tribes“ („registrierte Stammesvölker“) bevorteilt werden.

Auslöser für den Ausbruch der Gewalt war ein Urteil des obersten Gerichts Manipurs im Mai, wonach auch die Meitei den Status als „Scheduled Tribes“ und die damit verbundenen Rechte – unter anderem speziellen Zugang zu Waldgebieten sowie Quoten bei Regierungsposten und Studienplätzen – erhalten sollen. Das oberste Gericht Indiens erklärte das Urteil zwar für „sachlich völlig falsch“, doch es war zu spät, die Gewalt zu stoppen.

Demonstranten in der indischen Provinz Manipur in dem es Zusammenstöße zwischen enthnischen Gruppen gibt
Reuters
Seit Monaten gibt es Proteste im ganzen Land

Angst vor Bürgerkrieg

In ganz Manipur protestierten Kuki und Naga gegen das Urteil. Mit der Gewährung des Status als „Scheduled Tribes“ würden die bereits privilegierten Meitei zusätzliche Privilegien erhalten und die Minderheit weiter schwächen. Die Proteste richteten sich auch gegen Vertreibungen. Meitei-Mobs reagierten mit beispielloser Gewalt, die laut Aktivisten und Menschenrechtsgruppen von der Landesregierung geduldet wurde.

Scheinbar systematisch und schnell brannten Meitei eine Kirche nach der anderen nieder. Bis heute wurden 237 Kirchen abgefackelt, abgerissen und geplündert. Die Gewalt war aber eher ethnischer als religiöser Natur. Über 140 Dörfer wurden zerstört und mehr als 60.000 Menschen vertrieben. Nach örtlichen Angaben wurden bisher mehr als 150 Todesopfer bei den Unruhen gezählt.

Neu-Delhi verlegte Armeeeinheiten nach Manipur, kappte Internetverbindungen und verhängte Reisebeschränkungen. Entlang ethnischer Grenzen sollten Zehntausende Sicherheitskräfte für Ruhe und Ordnung sorgen. Die Kuki forderten daraufhin eine unabhängige Verwaltung ihrer Gebiete. Die Meitei warnten unterdessen, dass eine Zerstückelung Manipurs außer Frage stehe, und schürten die Angst vor einem Bürgerkrieg.

Indien: Anhaltende Gewalt in Manipur

Seit Monaten kommt es im indischen Bundesstaat Manipur zu ethnisch motivierter Gewalt. Zehntausende wurden vertrieben und über hundert Dörfer in Schutt und Asche gelegt. Neu-Delhi verlegte Armeeeinheiten nach Manipur, kappte Internetverbindungen und verhängte Reisebeschränkungen. Die Opposition wirft Premier Narendra Modi vor, nicht genug gegen die Gewalt in Manipur zu unternehmen, und stellte ein Misstrauensvotum.

Schweigen als Kalkül

Trotz der Gewaltexzesse und zahlreicher Aufrufe auch aus den eigenen Reihen vermied es der hindu-nationalistische Premierminister Modi aber bisher, sich mit Manipur zu befassen. Erst ein Video in sozialen Netzwerken, das zwei Kuki-Frauen zeigt, die von einem Meitei-Mob nackt durch ein Dorf gezerrt werden, veranlasste ihn vergangene Woche dazu, sich öffentlich zu äußern – allerdings ohne auf den ethnischen Konflikt in dem Bundesstaat einzugehen. Der Vorfall habe „Schande über Indien gebracht“, sagte Modi, „kein Schuldiger wird verschont“. Sein Herz sei „mit Schmerz und Wut erfüllt“.

Analysten erklärten Modis Schweigen mit der Parlamentswahl im nächsten Jahr. Modi gilt als Favorit, seine Anhänger wollen nicht, dass er in der öffentlichen Meinung mit Gräueltaten in Manipur in Verbindung gebracht wird. Er ist seit 2014 Premierminister Indiens, seine Partei BJP hat mit 303 von 543 Sitzen die absolute Mehrheit des Unterhauses im Parlament. Kritiker sagen, dass es weniger Demokratie in Indien unter Modi gibt. Der Präsident der oppositionellen Kongresspartei, Mallikarjun Kharge, beschuldigte die Regierung, sie würde aus einer Demokratie eine „Mobokratie“ machen.

Warnung vor „Welleneffekten“

Auch Indiens Opposition, von der sich 26 Parteien kürzlich zu einer neuen Allianz zusammengeschlossen haben, nutzt den Konflikt, um im Jahr vor der Parlamentswahl den Druck auf die Modi-Regierung zu erhöhen. Sie warf Modi vor, nicht genug dagegen zu unternehmen, und stellte einen Misstrauensantrag gegen ihn, um ihn zu zwingen, zu Manipur im Parlament Stellung zu nehmen. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse hat das Misstrauensvotum keine Aussicht auf Erfolg.

Zerstörung in Imphal, Hauptstadt der nordwestlichen indischen Provinz Manipur
AP/Yirmiyan Arthur
Verfeindete Gruppen brennen Häuser und Geschäfte nieder

Innenminister Amit Shah bekräftigte aber, zu einer offenen Debatte dazu im Parlament bereit zu sein. Modi werde über alles informiert. Oppositionsführer Gaurav Gogoi warnte davor, dass die an der Gewalt beteiligten ethnischen Gruppen über mehrere Bundesstaaten verteilt seien und dass „Welleneffekte“ möglich seien. In einem Memorandum wies die Opposition auf den „vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung“ in Manipur hin.

„Uralte Wunden“

Seit der Gründung Indiens als Republik vor sieben Jahrzehnten kommt es im Nordosten des Landes zu Aufständen, die auf Stammes- und ethnischen Missständen beruhen. Viele davon endeten in fragilen Waffenstillständen, die im Ringen um Land, Ressourcen und Handelsbeziehungen leicht zerbrechen. Die Gewaltspirale in Manipur „stellt mehr als nur Indiens innenpolitische Geschichte infrage“, zitierte die „New York Times“ den Experten an der University of London Avinash Paliwal. „Sie öffnet uralte Wunden.“