Ein bewaffneter Soldat steht in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito neben Wahlurnen
APA/AFP/Martin Bernetti
Ecuador

Wahl im Sog von Gewalt und Korruption

Noch bis vor einigen Jahren galt Ecuador als stabiles und aufstrebendes Land. Doch dann entdeckten Drogenkartelle Ecuador als Transitland, in Kombination mit politischer Korruption entstand eine Abwärtsspirale ins Chaos – mit dem Attentat auf den Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio als traurigem Höhepunkt. Davon überschattet geht am Sonntag die Präsidentschaftswahl über die Bühne. Doch wer den Filz aus Kriminalität und Korruption überwinden kann, scheint ungewiss.

Die tödlichen Schüsse auf Villavicencio waren nur der letzte Beweis, dass Ecuador fest in der Hand eines Drogenkrieges ist, der auch vor der Politik nicht mehr haltmacht. Von 2018 bis 2022 hat sich die Mordrate vervierfacht, in den großen Städten gibt es Viertel, in denen man sich nicht mehr auf die Straßen trauen kann.

Erst vor einigen Jahren nahmen die großen Drogenkartelle das Land als Transitland in Beschlag, als einer der Gründe gilt laut BBC und The Conversation ausgerechnet die politische Entspannung im Nachbarland Kolumbien. Die Friedensverhandlungen mit den linken FARC-Rebellen erlaubten den kolumbianischen Behörden in Gebieten zu operieren, in denen die Kartelle praktisch ungestört ihre Schmuggelrouten aufbauen konnten. Und die FARC selbst fiel als großer Player im Kokaingeschäft weg.

Einsatzkräfte vor einem Krankenhaus in Quito (Ecuador) nach einem Attentat auf den ecuadorianischen Präsidentschaftskandiaten Fernando Villavicencio
AP/Juan Diego Montenegro
Am 9. August wurde der Journalist und Politiker Villavicencio bei einem Anschlag getötet

Im Würgegriff der Kokainschmuggler

Ecuador mit seinen ausgebauten Häfen und ohne große Erfahrung im Kampf gegen kriminelle Banden wurde zum Drogenumschlagplatz und Schauplatz für Bandenkriege. Gangs in Ecuador, die bisher eher mit Schutzgelderpressung beschäftigt waren, stiegen in das große Drogengeschäft ein, jeweils mit Unterstützung von rivalisierenden mexikanischen bzw.kolumbianischen Kartellen. Sogar die albanische Mafia soll mittlerweile in Ecuador – das genau zwischen den Hauptkokainproduzenten Peru und Kolumbien liegt – Fuß gefasst haben.

Aufschwung unter Correa

Gleichzeitig mit der Zunahme der Gewalt auf der Straße setzte auch der politische Niedergang des Landes ein. Zentrale Figur der Politik in Ecuador ist noch immer, obwohl seit Jahren im Exil in Belgien, Rafael Correa. 2007 zum Präsidenten gewählt, leitete der linke Politiker Reformen ein, die das Land insbesondere in der Sozial- und Umweltpolitik zu erstaunlichen Erfolgen führten.

Der ehemalige ecuadorianische Präsident Rafael Correa
Reuters/Leonardo Fernandez Viloria
Correa gilt weiter als graue Eminenz der ecuadorianischen Politik

Sämtliche Armuts- und Ungleichheitsindizes des Landes fielen, Wirtschaft und Bruttoinlandsprodukt wuchsen. Kriminalität wurde erfolgreich mit Resozialierungsmaßnahmen für junge Gangmitglieder bekämpft. Freilich waren nicht alle Maßnahmen Correas unumstritten – vor allem wurde sein Stil zunehmend autoritärer, vor allem gegenüber der Presse.

Nachfolger vom Weggefährten zum Gegner

Brachten der sinkende Ölpreis und damit sinkende Exporterlöse schon unter Correa das Land wirtschaftlich unter Druck, begann spätestens unter seinem Nachfolger Lenin Moreno der politische Verfall. Der ehemalige Vizepräsident wechselte kurz nach der Wahl, an der Correa nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten durfte, vom linken ins rechtsliberale Lager und versuchte dann – teils erfolgreich – die Reformen seines langjährigen Weggefährten umzukehren. Per Interpol wollte Moreno zudem Correa, mittlerweile auch wegen Korruptionsvorwürfen verurteilt, verhaften lassen. Interpol wies die Anträge als „politisch motiviert“ ab.

Haftbefehle gibt es seit dem heurigen Frühjahr aber gegen Moreno selbst, der 2021 nicht mehr kandidierte. Von Korruption und Geldwäsche ist die Rede – und von Millionen auf Offshore-Konten, die ihm zugeordnet werden. Moreno lebt inzwischen in Paraguay.

Mit Neuwahl Amtsenthebung zuvorgekommen

Ein ähnliches Schicksal droht dem jetzigen Präsidenten Guillermo Lasso: Ihm wird Veruntreuung vorgeworfen, plus familiäre Verwicklungen in die Drogenmafia. Einer möglichen Amtsenthebung kam er durch die Verfassungsklausel „muerte cruzada“ (dt.: „wechselseitiger Tod“) zuvor, das Ausrufen vorgezogenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, die nun, ohne neuerliche Kandidatur Lassos stattfinden.

Doch ob ein ein Neustart gelingt, ist mehr als ungewiss: Sieben Kandidaten und eine Kandidatin stellen sich zur Wahl, und zumindest bis zum Attentat auf Villavicencio blieben alle bei der Frage nach der Bekämpfung der Drogenkartelle eher vage. Einerseits waren die Kandidaten durch Morddrohungen wohl eingeschüchtert, andererseits ist bei keiner Partei, so Experten, gänzlich ausgeschlossen, dass sich in den Wahlkampfkassen auch Drogengelder finden.

Mord schadet Favoritin

In den Umfragen führt Luisa Gonzalez aus der Correa-Partei Bürgerrevolution. Regierungserfahrung hat sie kaum, ihre Kandidatur galt als Überraschung, war doch erwartet worden, dass das Correa-Lager eine prominentere Person aus den eigenen Reihen ins Rennen schickt. Mit dem Tod Villavincenios wird es auch für Gonzalez eng.

Die ecadorianische Präsidentschaftskandidatin Luisa Gonzalez (Movimiento Revolucion Ciudadana)
APA/AFP/Rodrigo Buendia
Gonzales könnte die erste Präsidentin des Landes werden

Denn der ermordete Journalist, der für eine Mitte-rechts-Partei kandidierte, hatte vor allem gegen Correa recherchiert. Die politische Konkurrenz versucht nun, die Bürgerrevolution mit dem Mord in Verbindung zu bringen. Gonzalez argumentiert umgekehrt, dass es genau das Ziel gewesen sei, ihre Chancen zu schwächen. Während ihre Partei bei der gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahl wohl klar die Nase vorne haben wird, schrumpfte ihr Vorsprung in Umfragen zuletzt.

Selbst erklärte Hardliner bekommen Oberwasser

Nach oben gespült wurde dort hingegen der ehemalige Söldner und Chef eines Telekommunikationsunternehmens, Jan Topic. Der zuvor politisch nicht aktive Topic wurde im April von Lasso als neuer Sicherheitsminister vorgeschlagen, aber dann doch nicht nominiert.

Der ecuadorianische Präsidentschaftskandidat Jan Topic
APA/AFP/Rodrigo Buendia
Aus dem politische Nichts aufgetaucht, hat Topic nun gute Chancen

In den vergangenen Tagen versuchte er dann, sich als Kämpfer gegen die Drogenbanden darzustellen – mit dem Präsidenten von El Salvador, Nayib Bukele, als großes Vorbild. Dieser geht mit eiserner Hand und sehr erfolgreich gegen die Drogengangs im Land vor, auch um den Preis, mit rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien zu brechen.

Ähnlich, aber weit weniger erfolgreich versucht sich auch Morenos ehemaliger Vizepräsident Otto Sonnenholzner zu positionieren. Mit vielen Proteststimmen darf Christian Zurita rechnen, der als Ersatzkandidat für Villavincenio nominiert wurde. Und als Zünglein an der Waage gilt der Indigenenpolitiker Yaku Perez, der vor allem Gonzalez Stimmen kosten könnte.

Ungewissheit bis zur Stichwahl im Oktober?

Gibt es keine klare Mehrheit am Sonntag, und davon ist auszugehen, folgt eine Stichwahl – allerdings erst Mitte Oktober. Was bis dahin passiert, traut sich kaum jemand vorherzusagen. Fix scheint, dass der Mord an Villavicencio weiter politisch instrumentalisiert, aber kaum aufgeklärt wird.

Nach dem Attentat wurden sechs Kolumbianer festgenommen. Ein siebenter Angreifer war von den Sicherheitskräften erschossen worden, doch die Drahtzieher bleiben unklar: Zwar bekannten sich einige vermummte Männer, die sich als Mitglieder des Verbrechersyndikats Los Lobos bezeichneten, in einem Video zum Attentat, kurz darauf behaupteten unmaskierte Mitglieder von Los Lobos in einem zweiten Video, nicht für das Attentat verantwortlich zu sein. Befürchtet wird jedenfalls, dass es nicht bei den drei Politikermorden, die in den vergangenen Wochen passiert sind, bleiben wird.