Flugzeugwrack an der Absturzstelle
Reuters/Russian Investigative Committee
Prigoschin soll tot sein

Spekulationen nach Flugzeugabsturz

Der russische Söldnerchef Jewgeni Prigoschin ist offenbar bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Die Luftfahrtbehörde Rosawiazija listete ihn wie auch den Chef der Wagner-Gruppe, Dmitri Utkin, unter den zehn Menschen an Bord eines Embraer-Privatjets auf. Zuvor hatte das Katastrophenschutzministerium erklärt, es gebe keine Überlebenden. Eine offizielle Bestätigung für Prigoschins Tod liegt aber noch nicht vor. Fachleute, Kommentatoren und Militärblogger überschlagen sich mit Spekulationen.

Zunächst hatte ein Wagner-naher Telegram-Kanal, den Prigoschin üblicherweise zur Verbreitung von Videos nutzte, am Mittwochabend dessen Tod vermeldet. Im Kanal und auch von einigen russischen Militärbloggern wurde in der Folge die Version eines gezielten Abschusses durch die russischen Luftstreitkräfte verbreitet – überprüfen ließ sich diese Behauptung nicht. „Prigoschin starb als Ergebnis der Handlungen von Verrätern Russlands“, hieß es in dem Post. „Aber selbst in der Hölle wird er der Beste sein!“

Maschine sollte nach St. Petersburg fliegen

Die Maschine vom Typ Embraer Legacy 600 war am Donnerstag auf dem Weg von Moskau nach St. Petersburg, wo Prigoschins Firmen ihren Sitz haben. Sie stürzte demnach im Gebiet Twer bei dem Ort Kuschenkino mehr als 200 Kilometer von Moskau entfernt ab. An Bord war eine Drei-Mann-Besatzung. Noch am Abend wurden acht Leichen aus den Trümmern geborgen, wie Quellen im Rettungsdienst der Stadt Bologoje der staatlichen Agentur TASS sagten.

Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin
Reuters/Alexander Ermochenko
Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin

Verwirrung um angebliches zweites Flugzeug

Auch war auf dem Wagner-nahen Telegram-Kanal zu lesen, dass der ehemalige Geheimdienstler Utkin – der offizielle Wagner-Kommandeur – auf der Passagierliste gestanden sei. Für zusätzliche Verwirrung sorgte ein angebliches weiteres Privatflugzeug, das Prigoschin zugeordnet wird und laut Flugdaten ebenfalls auf dem Weg nach St. Petersburg war. Dieses kehrte nach dem Absturz des ersten Flugzeugs um und landete später in Moskau.

„Der Mord an Prigoschin wird katastrophale Folgen haben“, schrieb der einflussreiche russische Militärjournalist Roman Saponkow auf Telegram. „Die Leute, die den Befehl gegeben haben, verstehen nichts von der Stimmung in der Armee und ihrer Moral.“ Prigoschin war wegen seiner Kritik an der regulären Armeeführung und einigen Erfolgen seiner Söldner auf dem Schlachtfeld beliebt bei Soldaten.

Experte Mangott: „Mutmaßliche Ermordung“

Dass der Wagner-nahe Telegram-Kanal Prigoschins Tod vermeldete, sah Russland-Experte Gerhard Mangott im ZIB2-Interview als Beleg für dessen Ableben. Die Tatsache, dass die Meuterei stattfinden konnte, sei ein Zeichen der Schwäche von Kreml-Chef Wladimir Putin gewesen. „Die mutmaßliche Ermordung heute ist wahrscheinlich ein Beleg dafür, dass Putin beweisen wollte: ‚Ich bin nicht schwach.‘“

Politikwissenschaftler zu Flugzeugabsturz in Russland

Politikwissenschaftler Gerhard Mangott spricht unter anderem über den Flugzeugabsturz in Russland, bei dem auch Söldnerchef Jewgeni Prigoschin auf der Passagierliste stand, und darüber, ob der Absturz ein Mordanschlag gewesen sein könnte.

Ukraine: „Signal Putins an die russischen Eliten“

Putin äußerte sich nicht zu dem Flugzeugabsturz. Er hielt sich zu diesem Zeitpunkt zu einem Besuch im Südwesten Russlands an der Grenze zur Ukraine auf, um an den 80. Jahrestag der Schlacht von Kursk während des Zweiten Weltkrieges zu erinnern. Ohne den Absturz zu erwähnen, pries Putin auf einer Bühne die russischen Soldaten in der Ukraine, die „mit Mut und Entschlossenheit“ kämpften.

Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak erklärte derweil in Onlinenetzwerken, der Flugzeugabsturz sei „ein Signal Putins an die russischen Eliten“ vor der Präsidentschaftswahl 2024. Es bedeute „Vorsicht! Illoyalität bedeutet Tod“. Prigoschin habe „in dem Moment, als er 200 Kilometer vor Moskau stehen blieb, sein eigenes Todesurteil unterschrieben“, wurde Podoljak von der deutschen „Bild“-Zeitung zitiert.

Biden „nicht überrascht“

US-Präsident Joe Biden zeigte sich „nicht überrascht“ vom möglichen Tod des Wagner-Chefs. „Ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber ich bin nicht überrascht“, sagte Biden. Er habe kürzlich mit Blick auf den russischen Söldnerchef gesagt, dieser müsse „vorsichtig“ sein.

„Wir haben ja schon vor zwei Monaten gesagt, es ist zu erwarten, dass es (infolge des Wagner-Aufstands, Anm.) Konsequenzen geben wird“, sagte Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) im ZIB2-Interview. „Vergeben und vergessen sind nun einmal nicht sehr starke Eigenschaften vom Präsidenten der Russischen Föderation.“

Schallenberg (ÖVP) zum Angriffskrieg in der Ukraine

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) spricht unter anderem über den Flugzeugabsturz in Russland sowie darüber, ob es sich dabei um Konsequenzen nach der Revolte handeln könnte.

Die im Exil lebende belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja schrieb auf Twitter (X), den „Verbrecher Prigoschin“ werde in Belarus „niemand vermissen“. Er sei „ein Mörder“ gewesen und „sollte als solcher in Erinnerung bleiben“. Zudem werde „sein Tod“ womöglich „die Präsenz der Wagner-Gruppe in Belarus auflösen und die Bedrohung für unser Land und unsere Nachbarn verringern“.

Erst am Dienstag soll General Sergej Surowikin, der als Verbindungsmann von Wagner-Chef Prigoschin galt und auch vorab vom Aufstand gewusst haben soll, abgesetzt worden sein. Nach Ansicht westlicher Fachleute wurde Surowikin bereits in den vergangenen Monaten de facto kaltgestellt.

Revolte startete vor genau zwei Monaten

Prigoschin (62) hatte vor genau zwei Monaten – am 23. Juni – mit seiner Privatarmee Wagner gegen die russische Führung gemeutert, wobei die Hintergründe dieser Ereignisse bis heute unklar sind. Präsident Putin nannte ihn einen Verräter.

Schon einen Tag später beendete Prigoschin jedoch den Aufstand nach Vermittlung des belarussischen Staatschefs Alexander Lukaschenko. Dieser bot ihm anschließend Zuflucht in Belarus an. Prigoschins Söldner wurden ihrerseits vor die Wahl gestellt, ebenfalls nach Belarus zu gehen, sich der regulären russischen Armee anzuschließen oder nach Hause zurückzukehren.

Flugzeugabsturtz
Beide: APA/AFP/Telegram
Die Aufnahmen sollen den abgestürzten Privatjet zeigen

Video sollte Prigoschin in Afrika zeigen

Prigoschins Schicksal war in den Wochen danach ungewiss. Am Montag tauchte er in einem von Wagner-nahen Gruppierungen in Onlinenetzwerken verbreiteten Video auf. Darin berichtete er, sich in Afrika zu befinden. Vor dem Hintergrund einer Wüstenlandschaft sagte Prigoschin, er arbeite daran, „Russland auf allen Kontinenten noch größer und Afrika noch freier zu machen“.

Die von ihm aufgebaute Söldnertruppe hatte für Russland erst inoffizielle Spezialaufträge in Syrien, später auch in mehreren Staaten Afrikas erfüllt. Im Angriffskrieg gegen die Ukraine warb Prigoschin Häftlinge aus russischen Gefängnissen an. Die Truppe erlitt schwere Verluste in den Kämpfen um die ostukrainische Stadt Bachmut. Prigoschin warf der regulären Militärführung Unfähigkeit und Korruption vor.

Prigoschin war selbst im Gefängnis gesessen und wurde später unter dem Beinamen „Putins Koch“ bekannt. Er soll auch der Geschäftsmann hinter den Trollfabriken in St. Petersburg gewesen sein, die über soziale Netzwerke Einfluss auf westliche Länder zu nehmen versuchten.