Flüchtling liest Unterlagen zu Deutschkurs
APA/AFP/Joe Klamar
Pläne zu Sozialhilfe

Wartefrist für Geflüchtete „Symbolpolitik“

Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) sieht in Österreich eine „falsche Form der Zuwanderung“. Gegensteuern soll eine Leistungspflicht bei Deutschkursen und eine Wartefrist bei Sozialleistungen für Neuzugewanderte. Details zu der Umsetzung fehlen noch, unter gewissen Voraussetzungen wäre sie aber mit EU-Recht vereinbar, sagt Europarechtsexperte Walter Obwexer gegenüber ORF.at. Migrationsforscherinnen orten in den Plänen vor allem „Symbolpolitik“.

Der Integrationsbericht sei ein „Seismograf“, wie man auf Zuwanderung reagieren müsse, sagte Raab Ende August. Dabei sei nicht nur relevant, „wie viele zuwandern“, sondern auch, „welche Menschen mit welchen Qualifikationen“. Klar sei, dass Fluchtmigration für den Staat die herausforderndste, langwierigste und teuerste Form der Zuwanderung sei. Sie gehe zwar zurück, es gebe aber einen hohen Anteil an niedrig qualifizierten Menschen mit Alphabetisierungsbedarf.

Eine Leistungspflicht bei Deutschkursen soll laut Raab die Integration in den Arbeitsmarkt forcieren. Sie könne sich vorstellen, dass in einem bestimmten Zeitraum ein „gewisses Sprachniveau“ erreicht werden müsse, um die Sozialhilfe zu behalten. Zudem arbeite man an dem von ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer geäußerten Vorstoß, Menschen erst nach fünf Jahren in Österreich die vollen Sozialleistungen zuzuerkennen. „Hier kann man eine neue Regelung im Sinne eines Verfassungsgesetzes andenken.“

Fragen zu rechtlicher Umsetzung

Details, etwa welche Sozialhilfen von der Kürzung konkret betroffen wären, blieben zuletzt offen. „Entwürfe“ seien zwar medial bereits kolportiert worden, „die inhaltlichen Details des Kanzlerplans“ seien aber noch in Ausarbeitung, hieß es vonseiten der ÖVP auf ORF.at-Nachfrage. Auch das Bundeskanzleramt verwies auf Medienberichte. Man befinde sich in einem Prozess und denke gemeinsam mit Fachleuten Modelle durch.

Prinzipiell gelte es bei einer derartigen Maßnahme zwischen zwei verschiedenen Gruppen von Sozialleistungen innerhalb der EU zu unterscheiden, betont Europarechtsexperte Obwexer im Gespräch mit ORF.at. Zum einen gebe es Leistungen der sozialen Sicherheit wie Kindergeld und Arbeitslosengeld, die nach objektiven Kriterien ausgezahlt werden und in der Regel beitragsfinanziert sind.

Und zum anderen gebe es Sozialhilfeleistungen, die nach nationalen, regionalen und kommunalen Kriterien ausbezahlt werden und dem Ermessen der Behörden obliegen. „Ich gehe davon aus, dass der geplante Vorstoß die zweite Gruppe betrifft“, so Obwexer. „Es geht um Sozialleistungen aus Steuermitteln für die Deckung der Grundbedürfnisse. Und es geht darum, zuerst nur die Hälfte zu zahlen und nach fünf Jahren die volle Höhe.“

Verschiedene Personengruppen unterscheiden

Dann müsse man nach EU-Recht verschiedene Personengruppen unterscheiden. EU- und EWR-Bürgerinnen und -Bürger haben bereits jetzt nur dann einen uneingeschränkten Anspruch auf Sozialhilfe wie Inländerinnen und Inländer, wenn sie sich fünf Jahre rechtmäßig in Österreich aufgehalten haben. Lediglich dann, wenn sie in Österreich arbeiten und ins System einzahlen, kommt ihnen die gleiche Sozialhilfe wie Inländerinnen und Inländern zu.

Ist das nicht der Fall, könnte Österreich die Sozialhilfe bei dieser Personengruppe auf null herunterfahren, so Obwexer. Bei Drittstaatsangehörigen gebe es in den ersten fünf Jahren ihres Aufenthalts in Österreich prinzipiell kein Recht auf Sozialleistungen, es sei denn, sie erhalten den Asylstatus. „Dann haben sie das gleiche Recht auf Sozialleistungen wie Inländer.“

Reform würde auch Inländer betreffen

Hier könne man die Sozialleistungen nur dann kürzen, wenn man den Anspruch auch für Inländer an fünf Jahre Aufenthalt im Land koppeln würde. „Das zu machen ist wohl nicht sehr populär, aber möglich, in Dänemark ist das so“, so Obwexer.

Im „profil“-Interview erklärte Raab, man „arbeite daran“, dass die Maßnahme für EU-Bürger und Nicht-EU-Bürger sowie Österreicher gelte. Das würde dann „gar nicht so wenige“ betreffen, so Obwexer, und sei auch „weitgehend umsetzbar“.

Anders sieht es wohl bei einer Leistungspflicht bei Deutschkursen aus. 2019 wurde eine Bestimmung im Gesetz gekippt, wonach ein Anteil von mindestens 35 Prozent der Sozialhilfe davon abhängig war, wenn zumindest das Sprachniveau B1 (Deutsch) oder C1 (Englisch) nachgewiesen wird. Das verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, argumentierte damals der Verfassungsgerichtshofs (VfGH).

Sozialstaat an sich „nicht größter Magnet“

Länder wie Deutschland und Österreich hätten zwar ein gutes Sozialsystem, sagte Migrationsforscherin Sieglinde Rosenberger gegenüber ORF.at. Dass der Sozialstaat an sich der größte Magnet für Zuwanderung sei, stimme aber nicht. Untersuchungen würden zeigen, dass Menschen vor allem dorthin flüchten würden, wo es bereits Familien- und Freundesnetzwerke gebe.

Sprachkompetenzen seien ein „ganz wesentlicher, wichtiger Faktor für Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt“, so Rosenberger zu der geplanten Leistungspflicht bei Deutschkursen. Da es in Österreich Defizite gebe, müsse man sich die Frage stellen, wie darauf politisch reagiert werde.

Hier brauche es mehr Anreize und auch mehr Leistungskontrolle auf individueller Seite, dafür seien aber ein flächendeckendes Angebot von erschwinglichen Sprachkursen sowie Kinderbetreuung Voraussetzung. „Die Koppelung von öffentlicher Infrastruktur und individuellen Leistungskriterien sind das Entscheidende.“

„Kein Instrument für mehr Arbeitsmarktpartizipation“

Die geplante Kürzung der Sozialleistungen bezeichnet die Migrationsforscherin jedoch als „symbolpolitische Ankündigung, ein Angebot, das sich an die Mehrheitsgesellschaft richtet“. Es sei im Handlungsfeld politischer Wettbewerb anzusiedeln, so Rosenberger mit Verweis auf Konkurrenz durch die FPÖ. „Dieser Vorstoß ist eine politische Maßnahme, aber kein Instrument für mehr Arbeitsmarktpartizipation von Migrantinnen und Migranten.“

In Dänemark etwa habe eine solche Maßnahme nicht zu mehr Integration, sondern mehr Armut, Kriminalität und weniger Bildungsbeteiligung geführt, verweist Rosenberger auf eine Studie von UCL und der Rockwool Foundation aus dem Jahr 2019. Es gebe zwar Beschäftigungseffekte, die Maßnahme habe aber auch „negative soziale und finanzielle Folgen“, die die Politik berücksichtigen sollte, so die Studie.

„Können uns nicht aussuchen, wen wir wollen“

Auch Julia Mourao Permoser, Professorin für Migration und Integration an der Donau-Universität Krems, ortet bei einer Kürzung der Sozialhilfe für Geflüchtete vor allem „Symbolpolitik ohne reelle Auswirkungen“. In Österreich gebe es primär die humanitäre Verpflichtung, Menschen auf der Flucht Asyl zu gewähren. „Hier kann man nicht auf utilitäre Art sagen: Wir suchen uns aus, wen wir wollen.“

Anders sei es bei Personen, bei denen nicht Flucht, sondern wirtschaftliche Interessen bei der Migration im Vordergrund stehen. Hier könne man als Staat sagen, man wolle Menschen mit bestimmten Profilen, und Qualifikationen vorschreiben. Allerdings müsse sich Österreich in dieser Hinsicht auch attraktiver positionieren. Um Anreize für qualifizierte Einwanderung zu schaffen, sollen Zuwanderer etwa in Deutschland künftig bereits nach drei Jahren rechtmäßigen Aufenthalts Staatsbürger werden können.

Rechte Parteien setzen auf „Gastarbeiter“-Modelle

In ganz Europa gebe es angesichts der wirtschaftlichen Lage Druck, Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben – daher würden auch rechte Parteien zunehmend darauf pochen, das „Gastarbeiter“-Modell zu reaktivieren. So schaffe etwa Italiens postfaschistische Regierungschefin Giorgia Meloni gerade derartige Programme, um den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen, etwa in der Landwirtschaft. Und auch in Österreich forderte FPÖ-Chef Herbert Kickl kürzlich im Rahmen der ORF-„Sommergespräche“, Gastarbeiter „zeitlich befristet“ ins Land zu holen.

Die Modelle könnten auch tatsächlich erfolgreich sein, so Mourao Permoser. Allerdings seien faire Rahmenbedingungen entscheidend, Abhängigkeitsverhältnisse dürften keine entstehen. In den 1960er und 1970er Jahren habe es keinerlei Integrationsmaßnahmen gegeben. Die Entwicklung, dass man als zugewanderte Person politische und soziale Rechte erst nach einer gewissen Zeit in Österreich erhalte, würde eine immer größer werdende Gruppe an Menschen betreffen, so auch Rosenberger. „Das ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung und geht auch mit Demokratiedefiziten einher.“