Wagner-Offizier in Bangui
Reuters/Leger Serge Kokpakpa
Russland und Afrika

Wagner mit ungewisser Zukunft

Auch wenn noch einige Zweifel kursieren: Alle Indizien sprechen dafür, dass der Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, am Mittwoch bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist – und mit ihm ein Teil seiner Führungsriege. Völlig offen scheint, wie es mit Wagner weitergeht, vieles spricht für ein Ende der Privatarmee. Das wiederum wirft die Frage auf, wie sich Moskau in Zukunft seinen Einfluss in Afrika weiter sichert. Es verdichten sich die Anzeichen, dass genau diese Frage auch einiges mit dem Absturz zu tun hat.

Mit Prigoschin starb, glaubt man den offiziellen russischen Angaben und der Passagierliste, auch seine rechte Hand, Dmitri Utkin, ein ausgewiesener Neonazi mit einschlägigen Tätowierungen. Eigentlich war es er, der die Söldnerarmee gegründet und mit seinem eigenen Kampfnamen Wagner dann auch der ganzen Truppe gegeben hatte. Ebenfalls an Bord sollen sich Waleri Tschekalow, Logistikchef der Gruppe, sowie vier weitere hochrangige Kämpfer, die teilweise als Leibwache Prigoschins beschäftigt waren, befunden haben.

Dass sich damit laut Passagierliste praktisch die gesamte Wagner-Führung in dem Flugzeug befand, befeuert freilich wilde Spekulationen: Hätte Prigoschin nicht wissen müssen, dass nach seinem Putschversuch sein Leben nicht sicher ist? Und wenn doch, wer war dann in dem zweiten Wagner-Jet, der praktisch gleichzeitig in der Luft war und später sicher in der Nähe Moskaus landete?

Alles spricht für Rache des Kreml

Mehr Fragen als Antworten gibt es auch zur Absturzursache. In Wagner-Telegramkanälen war laut dem US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) schnell die Rede davon, dass der Jet abgeschossen wurde. Löcher in den Wrackteilen sollen, heißt es, die These belegen. Auch die USA gehen laut Reuters von einem Abschuss durch eine Luftabwehrrakete aus. Wer dahinter steckt, ist hingegen kaum umstritten: Alles andere als eine Rache des Kreml nach dem Wagner-Aufstand gilt für praktisch alle Experten als abwegig.

Der Kreml bestritt allerdings, den Befehl gegeben zu haben. „Das ist eine absolute Lüge“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Freitag. Der Fall des Flugzeugabsturzes müsse „auf der Basis von Fakten“ behandelt werden.

Präsident Wladimir Putin hatte nach dem Aufstand gesagt: „All jene, die sich bewusst auf den Weg des Verrats begeben haben, die einen bewaffneten Aufstand vorbereitet haben, die den Weg der Erpressung und der terroristischen Methoden eingeschlagen haben, werden unvermeidlich bestraft werden.“ Genau zwei Monate nach der Meuterei stürzte der Wagner-Chef ab. Und tags zuvor wurde General Sergej Surowikin, der als Verbindungsmann zu Prigoschin galt, abgesetzt. Schon nach dem Aufstand war er von der Bildfläche verschwunden.

In seiner ersten Reaktion auf den Flugzeugabsturz bezeichnete Putin seinen langjährigen Verbündeten Prigoschin schließlich als einen „fähigen“ Mann, der allerdings „schwere Fehler“ begangen habe.

Warten auf offizielle Absturzursache

Mit Spannung darf gewartet werden, welche offizielle Absturzursache die Behörden nach ihren Untersuchungen angeben werden. Nach ersten Ermittlungen wird laut dem russischen Exilmedium Meduza von einer Bombe im Fahrwerk gesprochen, gesucht werde einer von Prigoschins Piloten.

Flugzeugwrack
Reuters/Marina Lystseva
Die Wrackteile werden untersucht

Einige Kreml-Propagandisten tischten bereits eine recht dreiste Sichtweise auf und sprachen, ebenfalls laut Meduza, von einem ukrainischen Terroranschlag, denn für Putin und Verteidigungsminister Sergei Schoigu sei Prigoschin kein Problem mehr gewesen. Auch nach den Worten Putins gelte es nun, das Ermittlungsergebnis abzuwarten – man werde sehen, was die Ermittler in naher Zukunft sagen.

Auflösung wahrscheinlichstes Szenario

Wie die verbliebenen Wagner-Kommandeure und die Tausenden Söldner nun reagieren, bleibt ebenfalls abzuwarten. Schon kurz nach dem Absturz tauchten erste Gerüchte auf, die Wagner-Truppen könnten sich rächen wollen. Von einem lange bestehenden „Mechanismus“ für den Fall, dass Prigoschin und Utkin sterben, war die Rede. Internationale Experten bezweifeln aber, dass die Loyalität der Söldner so hoch ist, dass sie jetzt einen zweiten Aufstand anzetteln.

Ebenfalls geringe Chancen werden möglichen Kreml-Überlegungen gegeben, einfach die Spitze der Wagner-Organisation neu zu besetzen. Eher wird angenommen, dass sich Wagner auflöst – und Kämpfer entweder in der Armee oder bei anderen Privattruppen anheuern. Mehrere tausend Wagner-Söldner wurden nach der Meuterei nach Belarus gebracht. Ein Teil, laut „Guardian“ rund ein Viertel, habe aus Unzufriedenheit mit den Bedingungen dort das Land aber bereits wieder Richtung Russland verlassen.

Engagement in Afrika geopolitisch wichtig

Damit stellt sich aber auch die Frage, wer die Interessen Russlands in Afrika vertreten soll. Wagner hatte in den vergangenen Jahren in etlichen Ländern, vor allem in der politisch instabilen Sahelzone, operiert. Einerseits wurden willfährige Politiker unterstützt, andererseits sicherte sich das Unternehmen den Abbau von Bodenschätzen.

Grafik zur Wagner-Söldnergruppe
Grafik: APA/ORF; Quelle: globalinitiative.net

Nach dem Wagner-Aufstand war zunächst unklar geblieben, ob Moskau die Söldnertruppe weiter arbeiten lässt, weil sie schlicht gebraucht wird. Offiziell hieß es damals nur vom russischen Außenminister Sergej Lawrow, die betroffenen afrikanischen Länder müssten das entscheiden – eine Aussage, die mit sehr großer Skepsis aufgenommen wurde.

Machtkampf um Afrikageschäft

Was seitdem passierte, wurde kaum bekannt, hinter den Kulissen dürfte sich aber bereits ein Konflikt zugespitzt haben. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte Prigoschin ein Video, dass ihn in Afrika zeigte – seine erste (und letzte) Videobotschaft nach dem Aufstand. Und genau diese könnte den Kreml erzürnt haben, Prigoschin sagte, die Wagner-Gruppe mache „Russland auf allen Kontinenten noch größer“ und „Afrika noch freier“. Der Hintergrund ist offenbar, dass Moskau laut übereinstimmenden Meldungen bereits vor Wochen begonnen hat, Wagner in Afrika zu ersetzen, wie das ISW schreibt.

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin
Reuters/PMC WAGNER
Vor einigen Tagen meldete sich Prigoschin mit einem Video aus Afrika

Bellingcat-Journalist Christo Grozev und andere Quellen wiederum berichten, Prigoschin habe sich zu Wochenbeginn in Mali aufgehalten, um die Wagner-Interessen dort zu wahren, und sei erst am Mittwoch nach Russland zurückgekehrt. Putin bestätigte das in seiner Kondolenzbotschaft. Spekuliert wird somit, dass der Streit über die Zukunft der russischen Engagements in Afrika, das für den Kreml wirtschaftlich und geopolitisch enorm wichtig ist, der letzte Auslöser war, Prigoschin zu beseitigen.

Mehrere Privatarmeen in Startlöchern

Doch wer ersetzt die Wagner-Truppen in Afrika? Kolportiert wird, dass andere Privatarmeen die Lücke füllen sollen. Genannt werden mehrere, die allesamt direkte Verbindungen zum russischen Verteidigungsministerium haben und jeweils am Angriffskrieg in der Ukraine beteiligt sind. Schon bisher in direkter Konkurrenz zu Wagner steht die Redut-Gruppe, die auch unter dem Namen Redoubt bekannt ist. Sie zählte heuer schon 7.000 Mitglieder, seit dem Wagner-Aufstand wurden gezielt auch Prigoschins Söldner angeworben. Laut Medienberichten soll die Truppe von den Oligarchen Gennadi Timtschenko und Oleg Deripaska finanziert werden.

Gasprom-Truppen und neue Krim-Söldnereinheit

Die Patriot-Truppe wird häufig als private Armee von Verteidigungsminister Schoigu genannt. Sie wurde 2018 gegründet – offenbar damals schon als Gegengewicht zu Wagner. Und schließlich führt auch der Energiekonzern Gasprom gleich drei Privatarmeen, Fakel, Plamya und Potok.

Erst seit dem Vorjahr existiert die Truppe Convoy, gegründet auf der Krim vom dortigen von Russland eingesetzten Gouverneur Sergei Aksjonow. Diesem wurden in seinen jungen Jahren Verbindungen zum organisierten Verbrechen vorgeworfen, ehe er eine Politkarriere startete und 2014 an die Spitze der Krim gesetzt wurde. Die Söldnergruppe dürfte sich noch im Aufbau befinden, agierte aber auch im Krieg in der Ukraine, vor allem im Oblast Cherson.

Geheimdienstgeneral offenbar nun zuständig

Zudem kursiert ein Name mittlerweile sehr oft – sowohl beim Afrikaengagement als auch im Zusammenhang mit dem mysteriösen Absturz: Andrej Awerjanow. Er leitete bis 2002 die Einheit 29155 des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Spezialisiert war die Einheit laut „New York Times“ auf Mordanschläge im Ausland und Destabilisierung von Staaten.

Das ISW schreibt unter Berufung auf russische Quellen, Awerjanow sei mit der Aufgabe betraut worden, die Wagner-Truppen in Afrika zu ersetzen. Bellingcat-Journalist Grozev wiederum verweist darauf, dass Awerjanow Ende Juli beim Petersburger Afrikasummit öffentlich mehreren afrikanischen Staatschefs vorgestellt wurde.