Wagner-Söldner mit Blumen vor Bild von Prigoschin in Novosibirsk
Reuters
Prigoschin tot?

Putin bricht Schweigen und kondoliert

Russlands Präsident Wladimir Putin hat indirekt den Tod von Jewgeni Prigoschin bestätigt. Er kondolierte am Donnerstag unter anderem der Familie des mutmaßlich bei einem Flugzeugabsturz getöteten Wagner-Chef. Man werde sehen, was die Ermittler herausfänden, sagte Putin weiter. Das könne dauern. Offenbar gehen die Ermittler von Bomben an Bord aus, auch ein Abschuss wird laut Berichten erwogen.

Putin formulierte vorsichtig, dass ersten Erkenntnissen zufolge am Vorabend ein Flugzeug mit Angehörigen der Privatarmee Wagner abgestürzt sei. Den Familien aller Opfer des Absturzes drücke er sein Beileid aus. Wagner habe einen wichtigen Beitrag in den Kämpfen in der Ukraine geleistet, der bekannt sei und nicht vergessen werde.

Er nannte Prigoschin, den er seit den frühen 1990er Jahren kenne, einen „talentierten Menschen“ mit einem schwierigen Schicksal, der auch „ernsthafte Fehler“ begangen habe. Zugleich habe der Geschäftsmann und Söldnerführer Ergebnisse erzielt – für sich wie für die gemeinsame Sache, sagte er bei einem Treffen mit dem russischen Verwaltungschef von Donezk, Denis Puschilin.

Paul Krisai (ORF) zum Absturz in Russland

Paul Krisai (ORF) meldet sich von der Absturzstelle des Privatjets in Russland. Nach dem Absturz des Privatjets Mittwochabend, in dem sich auch Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin befunden haben soll, überschlagen sich die Spekulationen.

Prigoschin sei nicht nur in Russland, sondern auch außerhalb, vor allem in Afrika, aktiv gewesen, und habe dort mit Öl, Gas, kostbaren Metallen und Steinen zu tun gehabt. Erst am Mittwoch sei Prigoschin aus Afrika zurückgekommen. Putin kündigte eine umfassende Aufklärung des Absturzes an. Eine offizielle Identifizierung der zehn Absturzopfer durch die russischen Behörden steht noch aus.

Ermittlungen in Richtung Bomben und Abschuss?

Das für schwere Straftaten zuständige Untersuchungskomitee Russlands leitete am Donnerstag nach eigenen Angaben ein Ermittlungsverfahren wegen „Verstoßes gegen die Sicherheitsvorschriften im Luftverkehr“ ein. Das Komitee schickte demnach ein Ermittlerteam an die Absturzstelle.

Dem gewöhnlich aus russischen Sicherheitskreisen gut informierten Nachrichtenportal Basa zufolge wird die Theorie geprüft, wonach eine oder zwei Bomben an Bord platziert worden sein könnten. Russische Medien berichteten unter Hinweis auf nicht genannte Insider, das Flugzeug sei möglicherweise abgeschossen worden.

Spekulationen über den Abschuss mit einer Luftabwehrrakete kamen zunächst auch aus den USA. Wie das US-Militär später mitteilte, gebe es bisher allerdings keine Hinweise darauf, dass die Prigoschin-Maschine von einer Rakete abgeschossen wurde.

Absturzstelle wird bewacht

Am frühen Donnerstagmorgen bewachten Sicherheitskräfte die Absturzstelle, wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten. Die Maschine des Typs Embraer Legacy 600 war von Moskau auf halbem Weg nach St. Petersburg, wo Prigoschins Firmen ihren Sitz haben. Sie stürzte demnach im Gebiet Twer nahe dem Ort Kuschenkino ab.

Nach Angaben des Herstellers gab es in den vergangenen 20 Jahren nur einen registrierten Unfall mit diesem Modell. Dabei habe es sich nicht um einen mechanischen Defekt gehandelt. Zudem betonte das Unternehmen, man habe die internationalen Sanktionen gegen Russland eingehalten und auch keine Teile geliefert oder Wartungsarbeiten geleistet.

Putin schwieg bis jetzt

Putin hielt sich zum Zeitpunkt des Absturzes im Südwesten Russlands an der Grenze zur Ukraine auf, um an den 80. Jahrestag der Schlacht von Kursk während des Zweiten Weltkrieges zu erinnern. Von dort und auch bei seinen Statements beim BRICS-Treffen in Südafrika, zu dem Putin am Donnerstag wieder zugeschaltet war, äußerte sich Putin zunächst nicht zu dem Vorfall.

Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin
Reuters/Alexander Ermochenko
Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin

Sowohl Prigoschin als auch sein Stellvertreter Dmitri Utkin befanden sich „an Bord des Flugzeugs“, teilte die russische Luftfahrtbehörde Rosawiatsija nach dem Vorfall am Mittwochabend unter Berufung auf die Fluggesellschaft MNT-Aero mit. Zuvor hatten die staatlichen russischen Nachrichtenagenturen unter Berufung auf Rosawiatsija gemeldet, Prigoschins Name stehe auf der Passagierliste. Das Katastrophenschutzministerium erklärte, es gebe keine Überlebenden.

Zunächst hatte ein der Gruppe Wagner nahestehender Telegram-Kanal, den Prigoschin üblicherweise zur Verbreitung von Videos nutzte, am Mittwochabend dessen Tod vermeldet und rasch die Mordtheorie als gesichert dargestellt: „Prigoschin starb als Ergebnis der Handlungen von Verrätern Russlands“, hieß es in dem Post. „Aber selbst in der Hölle wird er der Beste sein!“

Verwirrung um zweites Flugzeug

In mehreren mit der Wagner-Gruppe in Verbindung stehenden Telegram-Kanälen wurden angebliche Videos des Absturzes verbreitet – deren Echtheit konnte nicht verifiziert werden. Für zusätzliche Verwirrung sorgte am Mittwoch ein angebliches weiteres Privatflugzeug, das Prigoschin zugeordnet wird und laut Flugdaten ebenfalls auf dem Weg nach St. Petersburg war. Dieses kehrte nach dem Absturz des ersten Flugzeugs um und landete später in Moskau.

„Der Mord an Prigoschin wird katastrophale Folgen haben“, schrieb der einflussreiche russische Militärjournalist Roman Saponkow in Telegram. „Die Leute, die den Befehl gegeben haben, verstehen nichts von der Stimmung in der Armee und ihrer Moral.“ Prigoschin war wegen seiner Kritik an der regulären Armeeführung und einigen Erfolgen seiner Söldner auf dem Schlachtfeld beliebt bei Soldaten.

Experte Mangott: „Mutmaßliche Ermordung“

Dass ein der Wagner-Gruppe nahestehender Telegram-Kanal Prigoschins Tod vermeldete, sah Russland-Experte Gerhard Mangott im ZIB2-Interview als Beleg für dessen Ableben. Die Tatsache, dass die Meuterei stattfinden konnte, sei ein Zeichen der Schwäche von Kreml-Chef Wladimir Putin gewesen. „Die mutmaßliche Ermordung heute ist wahrscheinlich ein Beleg dafür, dass Putin beweisen wollte: ‚Ich bin nicht schwach.‘“

Politikwissenschaftler zu Flugzeugabsturz in Russland

Politikwissenschaftler Gerhard Mangott spricht unter anderem über den Flugzeugabsturz in Russland, bei dem auch Söldnerchef Jewgeni Prigoschin auf der Passagierliste stand, und darüber, ob der Absturz ein Mordanschlag gewesen sein könnte.

Selenskyj: „Jeder weiß, wer etwas damit zu tun hat“

Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Selenskyj habe die Ukraine nichts mit dem mutmaßlichen Tod Prigoschins zu tun. „Jeder weiß, wer etwas damit zu tun hat“, sagte er vor Journalisten in Anspielung auf Kreml-Chef Putin.

Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak sagte gleich nach dem Vorfall, der Flugzeugabsturz sei „ein Signal Putins an die russischen Eliten“ vor der Präsidentschaftswahl 2024. Es bedeute „Vorsicht! Illoyalität bedeutet Tod“. Prigoschin habe „in dem Moment, als er 200 Kilometer vor Moskau stehen blieb, sein eigenes Todesurteil unterschrieben“, wurde Podoljak von der deutschen „Bild“-Zeitung zitiert.

Biden „nicht überrascht“

US-Präsident Joe Biden zeigte sich „nicht überrascht“ vom möglichen Tod des Wagner-Chefs. „Ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber ich bin nicht überrascht“, sagte Biden. Er habe kürzlich mit Blick auf den russischen Söldnerchef gesagt, dieser müsse „vorsichtig“ sein.

Die US-Regierung hält es zudem für wahrscheinlich, dass Prigoschin bei dem aufsehenerregenden Flugzeugabsturz tatsächlich getötet wurde. Laut der ersten US-Einschätzung, die auf verschiedenen Faktoren beruhe, sei Prigoschin vermutlich bei dem Absturz der Maschine ums Leben gekommen, sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Pat Ryder, am Donnerstag.

Die EU wollte die Situation vorerst nicht kommentieren. Man habe die Berichte über den Flugzeugabsturz gesehen, aber die Informationen ließen sich nur sehr schwer verifizieren, sagte ein Sprecher. „Kaum etwas, was in diesen Tagen aus Russland kommt, ist glaubwürdig.“ Zu möglichen politischen Folgen der jüngsten Entwicklungen wollte sich der Sprecher ebenfalls nicht äußern. „Zum derzeitigen Zeitpunkt wäre das reine Spekulation“, erklärte er.

Schallenberg: Haben Konsequenzen erwartet

„Wir haben ja schon vor zwei Monaten gesagt, es ist zu erwarten, dass es (infolge des Wagner-Aufstands, Anm.) Konsequenzen geben wird“, sagte Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) im ZIB2-Interview. „Vergeben und vergessen sind nun einmal nicht sehr starke Eigenschaften vom Präsidenten der Russischen Föderation.“

Schallenberg (ÖVP) zum Angriffskrieg in der Ukraine

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) spricht unter anderem über den Flugzeugabsturz in Russland sowie darüber, ob es sich dabei um Konsequenzen nach der Revolte handeln könnte.

Die im Exil lebende belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja schrieb auf Twitter (X), den „Verbrecher Prigoschin“ werde in Belarus „niemand vermissen“. Er sei „ein Mörder“ gewesen und „sollte als solcher in Erinnerung bleiben“. Zudem werde „sein Tod“ womöglich „die Präsenz der Wagner-Gruppe in Belarus auflösen und die Bedrohung für unser Land und unsere Nachbarn verringern“.

Anders die Lage vor dem Wagner-Sitz in St. Petersburg: „Uns fehlen die Worte“, sagte ein maskierter Mann vor dem Gebäude zur Agentur AFP. Er trug einen Helm und ein Sweatshirt mit dem Logo der Organisation und rief dazu auf, Prigoschin „und alle unsere Kommandanten“ zu unterstützen. Auch in anderen russischen Städten wurde der Toten gedacht.

Wagner-Söldner mit Blumen vor Bild von Prigoschin in Novosibirsk
APA/AFP/Vladimir Nikolayev
Auch vor dem Wagner-Büro in Nowosibirsk wurden Blumen niedergelegt

Erst am Dienstag soll General Sergej Surowikin, der als Verbindungsmann von Wagner-Chef Prigoschin galt und auch vorab vom Aufstand gewusst haben soll, abgesetzt worden sein. Nach Ansicht westlicher Fachleute wurde Surowikin bereits in den vergangenen Monaten de facto kaltgestellt.

Revolte startete vor genau zwei Monaten

Prigoschin (62) hatte vor genau zwei Monaten – am 23. Juni – mit seiner Privatarmee Wagner gegen die russische Führung gemeutert, wobei die Hintergründe dieser Ereignisse bis heute unklar sind. Präsident Putin nannte ihn einen Verräter.

Schon einen Tag später beendete Prigoschin jedoch den Aufstand nach Vermittlung des belarussischen Staatschefs Alexander Lukaschenko. Dieser bot ihm anschließend Zuflucht in Belarus an. Prigoschins Söldner wurden ihrerseits vor die Wahl gestellt, ebenfalls nach Belarus zu gehen, sich der regulären russischen Armee anzuschließen oder nach Hause zurückzukehren.

Flugzeugabsturtz
Beide: APA/AFP/Telegram
Die Aufnahmen sollen den abgestürzten Privatjet zeigen

Video sollte Prigoschin in Afrika zeigen

Prigoschins Schicksal war in den Wochen danach ungewiss. Am Montag tauchte er in einem von Wagner-nahen Gruppierungen in Onlinenetzwerken verbreiteten Video auf. Darin berichtete er, sich in Afrika zu befinden. Vor dem Hintergrund einer Wüstenlandschaft sagte Prigoschin, er arbeite daran, „Russland auf allen Kontinenten noch größer und Afrika noch freier zu machen“.

Die von ihm aufgebaute Söldnertruppe hatte für Russland erst inoffizielle Spezialaufträge in Syrien, später auch in mehreren Staaten Afrikas erfüllt. Im Angriffskrieg gegen die Ukraine warb Prigoschin Häftlinge aus russischen Gefängnissen an. Die Truppe erlitt schwere Verluste in den Kämpfen um die ostukrainische Stadt Bachmut. Prigoschin warf der regulären Militärführung Unfähigkeit und Korruption vor.

Prigoschin war selbst im Gefängnis gesessen und wurde später unter dem Beinamen „Putins Koch“ bekannt. Er soll auch der Geschäftsmann hinter den Trollfabriken in St. Petersburg gewesen sein, die über soziale Netzwerke Einfluss auf westliche Länder zu nehmen versuchten.