Vizekanzler Werner Kogler und Bundeskanzler Karl Nehammer
APA/Georg Hochmuth
Teuerung

Regierung versucht den Befreiungsschlag

Die Koalition aus ÖVP und Grünen hat kurz vor der Sondersitzung im Nationalrat Schritte zur Teuerungslinderung angekündigt. Der Zeitpunkt war wohl nicht zufällig gewählt, die Regierung wollte der Opposition wohl den Wind aus den Segeln nehmen. Auf Druck hin habe die ÖVP die Reißleine gezogen, so der Politologe Peter Filzmaier zu ORF.at. Tatsächlich habe man aber ohnehin einen Kompromiss gewählt, der auch für ÖVP-Klientel vertretbar sei.

Die Sondersitzung am Mittwoch war von SPÖ und FPÖ gemeinsam begehrt worden. Das erste Zusammenkommen des Nationalrats nach der Sommerpause nutzte die Opposition auch dementsprechend für eine Abrechnung: Zu wenig, zu spät komme Entlastung für die an der Teuerung leidende Bevölkerung.

Am Abend zuvor hatte die Koalition neue Maßnahmen verkündet: Kommen soll ein Mietpreisdeckel für gesetzlich regelbare Mietverhältnisse, der den Anstieg der Mieten für die kommenden drei Jahre auf maximal fünf Prozent beschränken soll, Kostenerhöhungen bei Vignetten und Klimaticket werden ausgesetzt und Zufallsgewinne von Energieunternehmen sollen verschärft abgeschöpft werden.

Insgesamt habe die Bundesregierung bisher für die Jahre 2022 bis 2026 rund 40 Mrd. Euro an Entlastungsmaßnahmen beschlossen, so Kanzler Karl Nehammer (ÖVP). Der lange Kampf der Grünen für den Mietpreisdeckel habe sich gelohnt, so die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer. Überraschenderweise enthält der Entwurf für den Mitepreisdeckel Verfassungsbestimmungen, obwohl sie auch einfachgesetzlich geregelt werden könnten. Somit wird es den Deckel nur mit Stimmen der SPÖ oder der FPÖ geben.

Maßnahmen gegen Teuerung präsentiert

Kurz vor Beginn der von SPÖ und FPÖ beantragten Sondersitzung des Nationalrats zur Teuerung hat die ÖVP-Grünen-Regierung neue Maßnahmen im Kampf gegen die Inflation vorgestellt.

Kehrtwende der ÖVP

Tatsächlich läuft die Debatte schon seit dem Frühjahr, die ÖVP hatte sich gegen einen Mietpreisdeckel aber bisher gesträubt. Wirtschaft und Vermieter hatten sich gegen einen Deckel ausgesprochen.

Nun aber – wenige Stunden vor der Sondersitzung – die Kehrtwende. Die ÖVP habe die Reißleine gezogen, so Filzmaier zu ORF.at. Die Volkspartei „und interessanterweise“ auch die Grünen seien das Thema Teuerung bisher von einem wirtschaftspolitischen Standpunkt aus angegangen. Es sei aber ein sozialpolitisches Thema, die Menschen stellten sich die Frage, ob sie sich die Miete noch leisten könnten. „Auf wirtschaftspolitischer Ebene kann man freilich trefflich akademisch über die Teuerung diskutieren. Es ist aber zu abgehoben. Es geht um eine unmittelbar sozialpolitische Lösung“, so Filzmaier. Das sei nun anerkannt worden.

Kompromiss und „kleiner Etappensieg“

Die ÖVP stehe angesichts der Umfragen unter Druck. Die Opposition habe zuletzt mit dem sozialpolitischen Ansatz gepunktet. Die ÖVP, die auch der Wirtschaft im Wort stehe, habe mit dem jetzt angekündigten, für alle vertretbaren Kompromiss die Flanke geschlossen, ohne ihre eigene Position völlig aufgeben zu müssen. Denn angesichts einer prognostizierten Inflation von rund vier Prozent im nächsten Jahr schmerze auch ein Fünfprozentdeckel wenig.

Für die Grünen sei der Kompromiss „ein kleiner Etappensieg“, so Filzmaier. Die großen Versprechen, mit denen die Grünen vor ihre Wählerinnen und Wähler treten wollen, etwa ein Klimaschutz- und ein Informationsfreiheitsgesetz, gebe es aber nicht.

Die FPÖ argumentierte am Mittwoch erneut damit, dass die Politik der vergangenen Jahre an der aktuellen Inflation schuld sei – etwa die Maßnahmen während der Pandemie und eine „Verteufelung von Öl, Gas und Kohle“. Dieser Standpunkt sei inhaltlich diskutabel „und auch ein bisschen billig“, so Filzmaier. Den Wählerinnen und Wählern seien die Lebenshaltungskosten das vorrangige Thema. „Die Erklärung, was an der Teuerung schuld sein soll, kommt erst auf Platz zehn und folgende“, so Filzmaier. Eine Schuldzuweisung hingegen verfange, wenn sie darauf abziele auszudrücken, die Regierung habe gar nichts getan.

Scharfe Kritik der Opposition

Die Opposition freilich sah in den angekündigten Maßnahmen in der Sondersitzung auch keinen großen Wurf, im Gegenteil. Der Mietpreisdeckel entlaste kaum jemanden, da er angesichts der künftigen Inflationsentwicklung von rund vier Prozent zu hoch angesetzt sei. Die SPÖ, die fordert, alle Mieten bis Ende 2025 einzufrieren und die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel des täglichen Bedarfs zu sistieren, sprach von einer „Mietmogelpackung“, denn längst nicht alle Mietverhältnisse seien betroffen. Von der Bremse nicht erfasst sind rund 425.000 Haushalte auf dem freien Markt.

Auch NEOS kritisierte: „Wir haben immer gesagt, dass man solche Vorschläge diskutieren kann, jetzt bei einer erwarteten Inflation von vier Prozent über einen Fünfprozentdeckel zu reden, scheint aber der falsche Zeitpunkt“, so der stellvertretende Klubchef Nikolaus Scherak. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger warf der Regierung gar „Bullshit-Politik“ vor, anstatt sich mit den realen Problemen wie der schwierigen wirtschaftlichen Situation, Inflation und Arbeitskräftemangel zu beschäftigen.

Die FPÖ sah einen eigenen Erfolg im Mietpreisdeckel. „Bundeskanzler Karl Nehammer veranschaulicht auch beim Thema Wohnen, dass er die Forderungen der FPÖ übernimmt, weil der ÖVP selber nichts einfällt“, so Parteichef Herbert Kickl. Er forderte einen sofortigen Mieten- und Gebührenstopp sowie einen Zinsdeckel.