Der Ministerpräsident von Bayern, Markus Söder
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Flugblattaffäre

Scharfe Kritik an Söder und Aiwanger

Heftige Reaktionen hat die Entscheidung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ausgelöst, in der Flugblattaffäre rund um seinen Koalitionspartner und Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler) keine Konsequenzen zu ziehen. Der Antisemitismusbeauftragte der deutschen Regierung legte Aiwanger einen Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau nahe, die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) warf Söder Machtkalkül vor, der grüne Vizekanzler Robert Habeck sieht eine Grenze überschritten.

Innenministerin Faeser sah durch Söder das Ansehen Deutschlands beschädigt. „Herr Söder hat nicht aus Haltung und Verantwortung entschieden, sondern aus schlichtem Machtkalkül“, sagte sie am Sonntag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Der Umgang mit Antisemitismus darf aber keine taktische Frage sein.“

Söder hatte bei seiner Pressekonferenz erklärt, dass es mit der Fortsetzung der bürgerlichen Koalition in Bayern „definitiv“ kein Schwarz-Grün geben werde. Aiwanger habe sich weder überzeugend entschuldigt noch die Vorwürfe ausräumen können, so Faeser weiter. Stattdessen habe er sich „auf unsägliche Weise“ zum Opfer erklärt. „So verschieben sich Grenzen, die nicht verschoben werden dürfen.“ Dass Söder das zulasse, „schadet dem Ansehen unseres Landes“.

Markus Söder und Hubert Aiwanger
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Aiwanger bekam für sein Krisenmanagement sehr viel Kritik

Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) sagte dagegen der „Rheinischen Post“, Söders Gründe seien „plausibel“. Der Ministerpräsident habe „in einer schwierigen Situation eine sehr nachvollziehbare und wohl abgewogene Entscheidung getroffen“.

Kritik an Aiwangers Inszenierung als Opfer

An Aiwangers Umgang mit den Vorwürfen gab es sehr viel Kritik, nicht nur von Söder selbst. „Sich als Jugendlicher möglicherweise zu verlaufen, ist das eine, sich als verantwortlicher Politiker zum Opfer zu machen und der Inszenierung wegen an den demokratischen Grundfesten zu rütteln, ist das andere“, sagte Habeck am Sonntag. „Da ist eine Grenze überschritten.“ Vor diesem Hintergrund sei die Entscheidung Söders „leider keine gute“.

Es gehe nicht um Jugendsünden, sondern um einen Grundkonsens für die ganze Republik, so Habeck weiter. Bei allen Unterschieden in der Sache habe sich die CSU immer als eine staatstragende Partei der Mitte verstanden, die den Grundkonsens wahre. Dazu gehöre, „dass die Erinnerung an den Holocaust zentral ist und wir sie nicht relativieren dürfen. Genau das aber hat Herr Aiwanger getan und sich als Opfer inszeniert.“

Grünen-Chef Omid Nouripour sagte dem „Spiegel“: „Es geht nicht um den 17-jährigen Hubert, sondern um den 52-jährigen Aiwanger und seinen Umgang mit der eigenen Vergangenheit.“ Dieser Umgang werde nun von Söder belohnt, „weil ihm Taktik wichtiger als Haltung ist“. Nouripour fügte hinzu, das sei „unanständig und schlecht für Bayern“ sowie „schlecht für Deutschland“.

Söder hält an Vize Aiwanger fest

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will die Koalition mit den Freien Wählern fortsetzen – und hält in der Flugblattaffäre an seinem Stellvertreter, Wirtschaftsminister und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger fest.

FDP-Chef Christian Lindner sah das politische Schicksal von Söder und Aiwanger miteinander verknüpft. „Markus Söder verbindet jetzt seine politische Zukunft mit der von Herrn Aiwanger“, sagte er am Sonntag im „Bericht aus Berlin“ der ARD. „Wir haben gesehen, bei Herrn Aiwanger gab es scheibchenweise Bekenntnisse, es gab Erinnerungslücken und Medienschelte“, sagte der Finanzminister. Was es dagegen nicht gegeben habe, sei „eine klare Position, Reue und Entschuldigung“. Dieser Umgang mit den „entsetzlichen Vorwürfen“ sei nicht geeignet, um das Ansehen des Freistaats Bayern zu erhalten und zu mehren. „Da übernimmt Herr Söder jetzt mit Verantwortung.“

Knobloch: Entlassung hätte Aiwanger genützt

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, sagte am Sonntag in einer Mitteilung an die jüdische Kultusgemeinde, Aiwanger müsse „Vertrauen wiederherstellen und deutlich machen, dass seine Aktionen demokratisch und rechtlich gefestigt sind“. Inwieweit es ihm gelingen werde, die im Raum stehenden Vorwürfe zu entkräften, werde sich zeigen, sagte die ehemalige Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland. Die Türen der jüdischen Gemeinschaft seien jedenfalls immer für ihn offen.

Eine Entschuldigung Aiwangers habe sie abgelehnt, sagte Knobloch am Montag gegenüber dem Deutschlandfunk. Er habe sich bei ihr gemeldet, und sie „habe ihm meine Meinung zu ihm, zu seiner Person ganz klar erklärt“. Sie akzeptiere Söders Entscheidung, aber es seien „entsetzliche Worte“, die im Raum stünden.

Söder habe politisch entschieden, „und zwar mit Abscheu“. Insofern stehe sie hinter dem Ministerpräsidenten. Eine Entlassung hätte Aiwanger im Wahlkampf ausgenützt, „das wäre die noch größere Katastrophe gewesen“.

Besuch in Dachau nahegelegt

Davor hatte auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden, Aiwanger kritisiert. Es sei problematisch, dass „direkt in einem Atemzug mit dieser Entschuldigung wieder das Thema kommt, dass er das Ganze als eine Kampagne gegen sich sieht“. Ähnlich kritisch sah er Aiwangers Aussagen gegenüber der „Welt“, dass seiner Ansicht nach die Schoah, der Völkermord an den europäischen Juden während der Nazi-Zeit, zu parteipolitischen Zwecken missbraucht werde. Für Schuster werde dadurch versucht, „die Opfer zu Tätern zu machen“.

Der bayrische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger
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Aiwangers Auftritt mit Entschuldigung dauerte am Donnerstag nur wenige Sekunden

Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der deutschen Regierung, legte Aiwanger einen Besuch in der KZ-Gedenkstätte Dachau nahe. „Es wäre jetzt ein gutes Zeichen, wenn er nicht nur das Gespräch mit den jüdischen Gemeinden, sondern auch mit den Gedenkstätten in Bayern sucht und deren wichtige Arbeit stärkt, etwa durch einen Besuch in Dachau. Damit käme er seiner Vorbildfunktion als verantwortlicher Politiker nach“, so Klein.

In fünf Wochen wird in Bayern gewählt

Inwieweit die Sache Söder, der CSU und vor allem Aiwanger und seiner Partei schaden kann, wird sich zeigen. Dass Söder bei seiner Pressekonferenz keine Fragen zuließ und diese somit zu einer Erklärung geriet, zeigt, dass er bereits mit Gegenwind gerechnet hatte. Söder selbst sagte, ihm sei klar, dass seine Entscheidung nicht allen gefallen werde, eine Entlassung Aiwangers sei aus seiner Sicht aber unverhältnismäßig.

Klar sei allerdings auch, dass diese „unschöne Woche“ dem Bundesland Bayern geschadet und die Koalition belastet habe. Aiwangers Krisenmanagement sei „nicht sehr glücklich“ gewesen. Dieser hätte die Vorwürfe früher, entschlossener und umfassender aufklären müssen. Als Ministerpräsident habe er, Söder, nach bestem Wissen und Gewissen versucht, Schaden zu begrenzen bzw. abzuwenden und eine stabile Regierung zu gewährleisten. Bayern wählt in fünf Wochen einen neuen Landtag.

Söder wies auch Mutmaßungen zurück, er habe Aiwanger auch aus Angst vor einem Solidarisierungseffekt von Wählern bei der Landtagswahl im Amt belassen. „Angst ist für mich kein Maßstab“, sagte Söder im ZDF-Sommerinterview. „Wer mich kennt, weiß, dass Angst jetzt auch kein Motiv ist. Nein, am Ende ging es mir darum, einfach fair zu sein. Mir ging es einfach um Fairness.“

„Etwas, was 35 Jahre her ist und wo man sich heute klar davon distanziert, das wäre ein Übermaß, dort eine Entlassung jetzt vorzunehmen“, sagte er.

Unruhe bei Bayerns Opposition

Aus Bayerns Opposition kam heftige Kritik an der Entscheidung Söders. SPD-Landeschef Florian von Brunn sprach von einem „traurigen Tag für das Ansehen von Bayern in Deutschland und der Welt“. Grünen-Spitzenkandidat Ludwig Hartmann sagte der dpa, Söder habe „heute einen schlechten Deal für unser schönes Bayern gemacht“. Für den kommenden Donnerstag ist im Landtag eine Sondersitzung geplant, sie könnte intensiv werden.

Der Ministerpräsident von Bayern, Markus Söder
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Bei Söders Erklärung waren keine Fragen zugelassen

Aiwanger selbst zeigte sich in einer ersten Reaktion erleichtert und widmete sich sonst ganz dem laufenden Wahlkampf. Bei Wahlkampfauftritten am Sonntag wurde er ungeachtet der Affäre teils kräftig gefeiert. Aiwanger sagte bei einem Auftritt in Grasbrunn: „Ich freue mich, dass wir politisch weiterarbeiten können, und in diesem Sinne arbeite ich für Bayern weiter.“ Und weiter: „Das war ein schmutziges Machwerk“, die Freien Wähler sollten geschwächt werden. Doch das Gegenteil sei der Fall, sagte er, während Söder vor die Presse trat: Seine Gegner seien mit ihrer „Schmutzkampagne gescheitert“.

„Ein oder wenige Exemplare“ in Schultasche

Gegen Aiwanger waren seit einer Woche immer neue Vorwürfe laut geworden. Am Samstag vor einer Woche hatte er zunächst schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das zuerst die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien „ein oder wenige Exemplare“ in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf erklärte Aiwangers älterer Bruder, das Pamphlet geschrieben zu haben. Später entschuldigte er sich bei einem wenige Sekunden dauernden Auftritt, sah sich aber gleichzeitig als Opfer einer Kampagne.

Unmittelbar nach Söders Pressekonferenz veröffentlichte die bayrische Staatsregierung den in der Causa an Aiwanger geschickten Fragenkatalog. Auch seine Antworten stehen in dem Dokument auf dem bayrischen Regierungsportal. Aiwanger habe Söders Angaben zufolge der Veröffentlichung zugestimmt.

Aiwanger hält daran fest, das antisemitische Flugblatt nicht verfasst zu haben. Er bleibt bei seinen Antworten in vielen Punkten, auch bei der Darstellung, dass er sich nicht erinnern könne. „Die mit diesem Fragenkatalog angesprochenen Vorgänge liegen rund 36 Jahre zurück. Damals war ich 16 Jahre alt. Ich weise daher darauf hin, dass mir viele Details heute nicht mehr erinnerlich sind.“