Rettungskräfte in Derna
Reuters/Zohra Bensemra
Nach Fluten

Angst vor Seuchen in Libyen

Nach den verheerenden Überschwemmungen im Osten Libyens mit Tausenden Toten haben Hilfsorganisationen vor der wachsenden Gefahr sich ausbreitender Krankheiten gewarnt. In der stark betroffenen Hafenstadt Darna gebe es das Risiko einer „zweiten humanitären Krise“, erklärte die Organisation „Islamic Relief“ und verwies auf die „wachsende Gefahr von durch Wasser übertragene Krankheiten“.

Laut „Islamic Relief“ mangelt es an Nahrungsmitteln, Unterkünften und Medikamenten. „Tausende von Menschen haben keinen Platz zum Schlafen und kein Essen“, sagte Salah Abulgasem von „Islamic Relief“. „In Bedingungen wie diesen können sich Krankheiten schnell ausbreiten, da die Wassersysteme verunreinigt sind“, fuhr er fort. „Die Stadt riecht nach Tod.“

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen verlegte nach eigenen Angaben Teams in den Osten des Landes, um dort die Wasser- und Sanitärversorgung zu überprüfen. Bei dieser Art von Ereignis „können wir uns wirklich Sorgen wegen wasserbedingter Krankheiten machen“, sagte die medizinische Koordinatorin Manoelle Carton.

Sie sprach von einer „chaotischen“ Situation in der Stadt Darna, welche die Zählung und Identifizierung der Opfer erschwert habe. Angesichts von zahlreichen Freiwilligen aus Libyen und dem Ausland sei eine „Koordination der Hilfe dringend erforderlich“, betonte Carton.

Rettungskräfte in Derna
Reuters/Ayman Al-Sahili
Rettungskräfte suchen in Darna in der Nähe des Strandes nach Leichen

9.000 Menschen weiter vermisst

Bei den Überflutungen am vergangenen Sonntag waren zahlreiche Menschen ins Mittelmeer gerissen, deren sterbliche Überreste inzwischen zurück an Land gespült worden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte, die Leichen von 3.958 Menschen seien geborgen und identifiziert worden, 9.000 weitere würden noch vermisst. Der Gesundheitsminister der Regierung in Ostlibyen, Othman Abdeljalil, sprach am Samstag von mindestens 3166 Toten.

WHO warnt vor Massengräbern

Die WHO appellierte an die libyschen Behörden, die Flutopfer nicht weiter in Massengräbern zu bestatten. Bisher seien rund 1.000 Leichname in Massengräbern beigesetzt worden. Das, so warnte die WHO, könne Angehörige der Toten aber traumatisieren. Nahe am Wasser errichtete Massengräber könnten zudem später eine Gesundheitsgefährdung darstellen. Alle Toten sollten in Einzelgräbern, die dokumentiert werden, begraben werden. Das erspare den Behörden auch mögliche künftige rechtliche Klagen von Angehörigen.

Das Rote Kreuz und die WHO erklärten zudem, dass die Leichen von Todesopfern bei Naturkatastrophen entgegen der weit verbreiteten Ansicht grundsätzlich kein Gesundheitsrisiko darstellen, außer sie befinden sich in oder in unmittelbarer Nähe von Frischwasserquellen.

Ibrahim al-Arabi, Gesundheitsminister der Regierung in Tripoli, zeigte sich am Freitag gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters überzeugt, dass das Grundwasser verschmutzt sei – durch Eintritt von Wasser, in dem sich Leichen, Tierkadaver, Müll und chemische Substanzen befänden. Er rief die Bevölkerung in Darna daher dazu auf, kein Wasser aus den Brunnen der Stadt zu verwenden.

Zutritt nur noch für Bergungskräfte

Bei der Suche nach Opfern und Überlebenden sollten ab dem Wochenende „neue Maßnahmen im Katastrophengebiet umgesetzt werden“, wie der Chef der im Osten herrschenden Regierung, Oussama Hamad, mitteilte. Demnach sollen nur noch libysche und ausländische Bergungskräfte Zutritt haben, aber keine Zivilistinnen und Zivilisten sowie Sicherheitskräfte.

Auf dem Flughafen von Bengasi, mehr als 300 Kilometer westlich von Darna, landeten zwei Maschinen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Iran mit Hilfslieferungen, wie eine Korrespondentin der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Der WHO zufolge trafen in Bengasi 29 Tonnen an medizinischen Hilfsgütern ein. Der Flieger aus den Emiraten lieferte nach Angaben der AFP-Reporterin unter anderem Lebensmittel, Kochutensilien und Zelte.

Ein Sturmtief hatte am vergangenen Sonntag den Osten Libyens heimgesucht und zu heftigen Überschwemmungen geführt. Die Küstenstadt Darna wurde besonders schwer getroffen, weil zwei Flussdämme brachen.

US-Diplomatin: Hilfsfonds beaufsichtigen

Die US-Diplomatin und ehemalige UNO-Gesandte für Libyen, Stephanie Williams, forderte im Onlinedienst Twitter (X) eine globale Mobilisierung, um die Hilfsbemühungen zu koordinieren, und die Schaffung eines „gemeinsamen nationalen/internationalen Mechanismus, um die (Hilfs-)Fonds zu beaufsichtigen“. Sie verwies auf die „räuberische“ herrschende Klasse in Libyen, die dazu neige, „unter dem Vorwand der Souveränität“ die Hilfsaktionen „nach ihren Interessen“ zu steuern.

Ein Sprecher des im Osten des Landes mächtigen Generals Chalifa Haftar sagte am Freitagabend in Bengasi bei einer Pressekonferenz, es gebe einen „enormen Bedarf für den Wiederaufbau“.