Wahlplakat der Progresivne Slovensko zeigen Michal Simecka
IMAGO/Tomas Tkacik
Wahl in Slowakei

Liberale stärkste Herausforderer für Fico

Drei Amtszeiten hat Robert Fico von der sozialdemokratischen Smer als slowakischer Ministerpräsident bereits hinter sich. Nach fünf Jahren Pause will er an die Macht zurück. Seine Partei führt vor der Parlamentswahl am Samstag seit Monaten in den Umfragen. Als stärkster Rivale gilt unerwartet die völlig gegensätzliche liberale Progresivne Slovensko (PS), die mit einem neuen Politikverständnis in die slowakische Regierung kommen möchte und in den Tagen vor der Wahl sogar noch aufgeholt hat.

Eine am Mittwoch veröffentlichte Umfrage der Agentur Ipsos für die slowakische investigative Tageszeitung „Dennik N“ zeigte ein knappes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Smer (20,6 Prozent) und PS (19,8 Prozent). In einer am selben Tag publizierten AKO-Umfrage für den TV-Sender Joj24 ging PS mit 18,2 Prozent vor Smer (19,4 Prozent) sogar leicht in Führung.

Die Polarisierung der slowakischen Bevölkerung spiegelt sich auch in diesen beiden Parteien wider. Fico steht für einfache Botschaften, russlandfreundliche und Anti-EU-Botschaften. Der Vorsitzende der PS, der erst 39-jährige Michal Simecka, ist gleichzeitig auch als erster Slowake Vizepräsident im EU-Parlament. Seine Partei steht für einen klaren Pro-EU-Kurs, die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Umweltschutz, die gleichgeschlechtliche Ehe, und auf der Kandidatenliste wechseln sich Männer und Frauen ab.

Robert Fico, Chef der SMER-SSD und Michal Simecka (Progresivne Slovenska)
Reuters/Radovan Stoklasa
Robert Fico und Michal Simecka (re.) bei einer TV-Diskussion wenige Tage vor der Wahl

„Die Slowakei muss ein respektierter, konstruktiver und vertrauenswürdiger Partner der EU und der NATO sein, sodass wir auch unsere eigenen Interessen verfolgen können“, sagte Simecka kürzlich in einem Bloomberg-Interview. Im Gegensatz zu Fico verzichtet er auf einfache Botschaften. Dem Smer-Vorsitzenden wirft er „Hass und Extremismus“ vor.

Niederlage bei letzter Parlamentswahl

Die erst 2017 gegründete Partei hat bereits Erfolge, aber auch eine einschneidende Niederlage hinter sich. Die PS-Wähler und -Wählerinnen sind vor allem im urbanen Umfeld und bei den Jungen zu finden. Nicht umsonst ist der Bürgermeister von Bratislava, Matus Vallo, von der PS. Auch die noch amtierende slowakische, stark proeuropäisch ausgerichtete Präsidentin, Zuzana Caputova, war in der Führungsriege der PS.

Sie wurde 2019 – im Jahr nach dem Mord an dem Investigativjournalisten Jan Kuciak – gewählt. Nach dessen Recherchen über Korruption und illegale Machenschaften in Verbindung mit Ficos Smer-Partei war der Wunsch nach einem politischen Neustart groß. 2018 war Fico aufgrund des großen Drucks zurückgetreten.

2019 wurde PS stärkste Partei bei den EU-Parlamentswahlen. Bei den Parlamentswahlen 2020 schaffte die Partei im Bündnis mit der Parteikoalition Spolu die Hürde für den Einzug in das Parlament allerdings nicht mehr. Die liberalen Positionen der Partei stießen in der noch vielfach katholisch-konservativ geprägten Slowakei auf Widerstand. Inzwischen holte die Partei in den Umfragen auf 15 bis 17 Prozent auf. Ficos Smer liegt bei 20 bis 21 Prozent.

Zuzana Caputova
Reuters/Radovan Stoklasa
Die proeuropäische slowakische Präsidentin Zuzana Caputova hat enge Verbindungen zur liberalen PS

„Rebranding seit der letzten Wahl“

Nach der letzten Parlamentswahl 2020 kam Igor Matovic mit seiner Partei Normale Menschen und unabhängige Persönlichkeiten (OLaNO) an die Macht. Die Regierungszeit war geprägt von Chaos, mehrfachen Wechseln in der Regierungsmannschaft und letztlich von der Übergabe an eine Expertenregierung, verbunden mit der Ausrufung von Neuwahlen. Matovic sorgte nun sogar im Wahlkampf mit einer Prügelaffäre für Aufsehen. Der populistische Politiker störte eine Smer-Parteiveranstaltung und wurde daraufhin vom ehemaligen Innenminister Robert Kalinak geschlagen.

Die einstige Regierungspartei OLaNO, die in einer Koalition mit der Christlichen Union (KU) und der rechtsliberalen Partei für die Menschen (Za l’Udi) antritt, könnte die für Wahlbündnisse notwendige Siebenprozenthürde nicht schaffen. Die PS konnte zunächst von dem Chaos dieser Regierungsperiode nicht profitieren.

Handgemenge zwischen dem ehemaligern Premierminister Igor Matovic und dem ehemaligen Innenminister Robert Kalinak in Bratislava
Reuters/Ordinary People Party „Olano“
Ex-Premier Matovic sorgte im Wahlkampf mit einer Prügelaffäre für Schlagzeilen

„Seit der letzten Wahl unterzog sich die PS einer Art Rebranding“, analysierte die Slowakei-Expertin Zuzana Zavarska des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) im ORF.at-Interview. Im Mai 2022 übernahm Simecka die Führung der Partei – der vierte Parteivorsitzende seit 2017. Im Gegensatz zu den anderen Parteien gebe es rund um ihn keinen Personenkult, so Zavarska. Simecka sei im Vergleich zu anderen weniger bekannt auf der politischen Bühne in der Slowakei. Zudem baue die Partei auf ein breites Spektrum an erfahrenen, hochrangigen Experten.

„Treibende Kraft der demokratischen Opposition“

„Die meisten Kommentatoren nehmen gar nicht wahr, dass sich Progresivne Slovensko zur treibenden Kraft der demokratischen Opposition im Land entwickelt hat“, sagte der slowakische Publizist Michal Havran im Interview mit der tschechischen Nachrichtenwebsite Novinky.

Unter Simecka würden nun auch die liberalen Standpunkte etwa in Bezug auf die gleichgeschlechtliche Ehe weniger stark betont, sagte Zavarska: „Das könnte helfen, andere Wählergruppen anzusprechen.“ Auch wenn niemand genau wisse, was von der PS in der Regierung zu erwarten wäre, sei es ein Vorteil, dass die Partei nicht bei der chaotischen Vorgängerregierung nach der Wahl 2020 beteiligt gewesen sei.

Schwierige Partnersuche

Der Ausgang der Wahl ist unsicher, sind doch noch viele Slowaken und Slowakinnen unentschlossen. Wie Fico wäre jedenfalls auch Simecka auf Koalitionspartner angewiesen. Das wäre für die PS noch schwieriger. Zu den engsten politischen Alliierten der PS zählen laut Zavarska die Partei Freiheit und Solidarität (SAS), auch die Smer-Abspaltung Hlas, die Christlich-Demokratische Bewegung (KDH) und OLaNO wären mögliche Koalitionspartner. Die Hürden seien aber groß, gebe es doch fundamentale Unterschiede der politischen Programme dieser Parteien.

Diese Parteien würden in Bezug auf ihre EU-Politik übereinstimmen, hinderlich könnte aber der Zugang zu sozialen Fragen wie der gleichgeschlechtlichen Ehe sein – die KDH will darüber nicht einmal diskutieren, berichtete auch das EU-Informationsportal Euractiv. Je stärker die PS in den Umfragen ist, desto mehr mauern andere Parteien gegen die liberale PS. Die Zustimmungswerte der ebenfalls liberalen SAS-Partei etwa wurden seit Mitte letzten Jahres auf rund sechs Prozent mehr als halbiert.

KDH-Vorsitzender Milan Majersky sprach kürzlich davon, dass er bei der PS „Elemente von Extremismus“ sehe. Die Smer warnt vor einer „Genderideologie“, die die PS durchsetzen wolle. Für Simecka stehen andere Themen im Vordergrund: In einer Wahlkampfdiskussion mit Fico warnte er vor einer Isolation der Slowakei, sollte dieser an die Macht kommen. Simecka sieht die Demokratie bedroht.